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FRAUEN/567: Argentinien - Mehr Morde an Mädchen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Januar 2015

Argentinien: Mehr Morde an Mädchen

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Juan Moseinco/IPS

In Argentinien werden pro Jahr durchschnittlich 21 Mädchen im Teenageralter Opfer eines Frauenmordes
Bild: © Juan Moseinco/IPS

Buenos Aires, 29. Januar (IPS) - Der Anstieg von Frauenmorden bedeutet eine Zunahme von Mädchenmorden. Darauf haben argentinische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) hingewiesen.

Die NGO 'Haus der Bewegung' hatte sich die in Argentinien von 2008 bis 2014 begangenen Frauenmorde näher angeschaut und herausgefunden, dass die Zahl der Unter-18-Jährigen, die aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit umgebracht werden, zunimmt.

"In diesem konkreten Zeitraum konnten wir beobachten, wie sich die Zahl der an Teenagern verübten Frauenmorde langsam erhöhte", berichtet die Leiterin der Hilfsorganisation Fabiana Túñez. "Der Anstieg war entweder auf eine Zunahme der innerpartnerschaftlichen Gewalt oder auf sexuelle Übergriffe mit Todesfolge zurückführen."

Ein weiterer Bericht, den die 'Adriana-Marisel-Zambrano-Beobachtungsstelle' vorgelegt hat, kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Grundlage ihrer Untersuchungen waren Zeitungsberichte der Jahre 2008 bis 2013. Demnach waren 1.236 Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit ermordet worden, unter ihnen mindestens 124 Teenager.

Etwa zeitgleich zu der Veröffentlichung des Berichts sorgte der Fall einer 15-jährigen Argentinierin für Schlagzeilen, die Ende Dezember bei einem Ferienaufenthalt im Nachbarland ermordet worden war.

Dazu schrieb die argentinische Frauenaktivistin Verónica Lemi auf ihrer Facebook-Seite: "Noch immer werden wir umgebracht, und noch immer stellt man uns die Frage, was wir allein am Strand zu suchen haben", kritisierte sie. Solange Frauen aus Sicherheitsgründen zur Mitnahme von Pfefferspray oder einer Begleitperson gezwungen seien, könne von gleichen Rechten für die Frau nicht die Rede sein. "Nehmen wird die gleichen Rechte wie Männer in Anspruch, riskieren wir, getötet zu werden, nur weil wir Frauen sind."

Túñez zufolge gehen der Hälfte aller in Argentinien begangenen Frauenmorde sexuelle Übergriffe voraus. Die andere Hälfte ist auf Gewalt in der Partnerschaft zurückzuführen. Wie sie kritisiert, werden diese Morde von den Medien nach wie vor als 'Verbrechen aus Leidenschaft' verharmlost.


Altbekannte Muster

Die argentinischen Erkenntnisse spiegeln einen weltweiten Trend. So hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, dass drei von zehn Mädchen im Teenageralter von ihren männlichen Freunden Gewalt erfahren. Die Ursachen dafür sind stets die gleichen, wie Túñez betont. "Gewalttätige Jungen kontrollieren, dominieren und sind extrem besitzergreifend. Und ihre Opfer bilden sich ein, die Situation ändern zu können. Doch irgendwann sind sie in einem riesigen Spinnennetz gefangen, aus dem sie nicht mehr herauskommen."

Wie Alda Rico, Mitbegründerin der NGO Haus der Begegnung, betont, wird es höchste Zeit, darüber zu reden, was in Beziehungen erlaubt ist und was nicht. "Es ist nicht OK, dass dein Freund ständig eifersüchtig ist, dass du nichts mehr allein unternehmen darfst, dass dein Freund alle deine Bewegungen verfolgt, dir hinterherschnüffelt, deine Anrufe kontrolliert, dich beschimpft oder schlägt", so die Expertin an die Adresse der Mädchen.


"Aggressive sexistische Kultur"

Die Frauenaktivistin Lemi denkt ähnlich, wenn sie auf ihrer Facebookseite fordert, eine "aggressive sexistische Kultur" als abnorm zu entlarven, die vergewaltigte Mädchen zu Schlampen degradiert und Frauen, die ihre sexuellen Rechte ausüben, als Huren beschimpft. "Frauen sehen sich unterschiedlichen Formen der Gewalt ausgesetzt", betont sie. "Solange Gewalt gegen Frauen verharmlost oder gerechtfertigt wird, ist es kein Wunder, dass es zu Femiziden kommt."

Wie das Netzwerk für Kinderrechte (REDIM) in einem im Dezember veröffentlichten Bericht erklärte, geht auch in Mexiko die Zahl der Frauenmorde mit einem Anstieg der Mädchenmorde einher. So wurden 2013 315 Teenager umgebracht. Das 6,2 Millionen Einwohner zählende El Salvador erlebte in den ersten elf Monaten des letzten Jahres 261 Frauenmorde. Unter den Opfern befanden sich 28 Mädchen unter 17 Jahren. Und in Panama mit einer Bevölkerung von 3,9 Millionen Menschen waren drei von zehn Femizidopfern minderjährig, wie die Ombudsstelle des Landes berichtete. Zwischen 2009 und 2014 starben 343 Frauen, in 226 Fällen waren sie Opfer von Frauenmorden.

Natalia Gherardi, Geschäftsführerin des Lateinamerikanischen Teams für Gerechtigkeit und Gender (ELA), führt den Anstieg der Zahlen nicht zuletzt auf eine umfassendere Berichterstattung zurück. "Die Verbrechen sind sichtbarer geworden. Das ist ein Grund, warum wir mehr von den Morden erfahren."

Argentinien gehört zu den Ländern der Region, in denen die meisten Fortschritte in Sachen Geschlechtergerechtigkeit und Gleichheit beim Zugang zu Bildung und Führungspositionen verbucht werden konnten. So hatte das Parlament 2012 ein Gesetz verabschiedet, das Gewalt gegen Frauen mit hohen Strafen belegt. Doch anders als in einigen anderen Ländern wurden Femizide nicht als eigenständige Straftat anerkannt. Nach argentinischem Recht drohen Männern, die ihre Frauen oder Freundinnen umbringen, lebenslange Haftstrafen. (Ende/IPS/kb/2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/01/adolescentes-argentinas-victimas-escondidas-de-femicidios
http://www.ipsnews.net/2015/01/teenage-girls-in-argentina-invisible-victims-of-femicide/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2015


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