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FRAUEN/531: Nepal - Trotz existierender Gesetze rechtlos, Dalit-Frauen dreifach diskriminiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Februar 2014

Nepal: Trotz existierender Gesetze rechtlos - Dalit-Frauen dreifach diskriminiert

von Mallika Aryal


Bild: © Mallika Aryal/IPS

Protest gegen die Diskriminierung der Dalit in Nepal
Bild: © Mallika Aryal/IPS

Katmandu, 4. Februar (IPS) - Als Maya Sarki aus Belbari, einem Dorf im Norden Nepals, im letzten Jahr in einer Sommernacht nach Hause kam, wäre sie fast vergewaltigt worden. Doch Nachbarn hörten ihren Hilfeschrei und der Angreifer konnte vertrieben werden.

Doch Sarki hatte den Mann an seiner Stimme erkannt und angezeigt. Schon am nächsten Tag stellte sich ihr auf dem Marktplatz eine Horde Menschen in den Weg, die sie beschimpften, ihr die Kleider zerrissen und ihr Gesicht mit Ruß beschmierten. Dann wurde sie getreten, geschlagen und durch die Ortschaft geschleift. Kurz danach zog das Opfer weg.

In Dailekh im Westen Nepals war Sushila Nepali Jahre lang von einem örtlichen Lehrer sexuell missbraucht worden. Zwei Mal wurde sie schwanger, zwei Mal zu einer Abtreibung gezwungen. Nach einer weiteren Schwangerschaft brachte sie zwei Kinder zur Welt. Von ihrer Familie verstoßen, lebt die 28-Jährige heute auf der Straße.

Sarki und Nepali stammen aus unterschiedlichen Teilen des Landes. Und doch haben sie eines gemein: Sie sind Mitglieder der indigenen Gemeinschaft der Dalit, die in der hinduistischen Kastenhierarchie an unterster Stelle stehen. Und die Männer, die sie ins Unglück stürzten, sind Angehörige höherer Kasten.


Überdurchschnittlich von Armut betroffen

In Nepal gibt es 22 Dalit-Gemeinden. Wissenschaftlern und Hilfswerken zufolge stellen die Dalit ein Fünftel der 27 Millionen Nepalesen und bilden die Schlusslichter der etwa 100 Kasten und Indigenen. 42 Prozent der Dalit leben unterhalb der Armutsgrenze, bei Nicht-Dalit trifft dies zu 23 Prozent zu.

Nach einer langen politischen Hängepartie fanden in Nepal im November Wahlen statt. Nach zweimonatigen Verhandlungen arbeiten die Mitglieder der Nationalversammlung nun an einer neuen Landesverfassung. Auch hier sind die Dalit mit 38 von 575 Sitzen unterrepräsentiert.

Rajesh Chandra Marasini, Programmleiter des Jagaran-Medien-Zentrums, einer Allianz aus Dalit-Journalisten zur Bekämpfung der kastenbedingten Diskriminierung, fürchtet deshalb, dass die Belange der Dalit auch diesmal nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erfahren werden. "Ich gehe davon aus, dass auch für die neuen Dalit-Mitglieder Parteiinteressen im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen und die Rechte der Dalit zweitrangig sind."

Nepals Bürgerliches Gesetzbuch von 1854 hatte das Kastensystem legalisiert und die Dalit zu 'Unberührbaren' erklärt. In der hinduistischen Hierarchie bestimmt ein solcher Stempel etwa, wo die Dalit leben oder ob sie studieren dürfen.

1963 wurde die kastenbedingte Diskriminierung verboten und die Nationale Dalit-Kommission gegründet. 2011 folgte ein entsprechendes Gesetz, der sogenannte 'Caste Based Discrimination and Untouchability Act'. Dennoch ist es für die Dalit weitgehend aussichtslos, zu ihrem Recht zu kommen.

"Die Gewalt gegen die Gemeinschaft wird meist ignoriert", berichtet Padam Sundas, Vorsitzender der Nepalesischen Samata-Stiftung, die für die Rechte der marginalisierten Bevölkerungsgruppe eintritt.

Den Dalit ist es bis heute nicht erlaubt, an den gleichen Tempeln wie die Mitglieder höherer Kasten zu beten. Diese essen nichts, was Dalit berührt haben und weigern sich, Wasser aus dem gleichem Hahn wie die Dalit zu benutzen.

Doch noch schlechter als die Dalit sind die Dalit-Frauen dran, wie Bhakta Bishwokarma, Vorsitzende der Nationalen Dalit-Wohlfahrtsorganisation Nepals (NNDSWO) erklärt, die sich für ein Ende der Kastendiskriminierung in Nepal engagiert. "Eine Dalit-Frau wird gleich dreifach diskriminiert: von der nepalesischen Gesellschaft weil sie erstens eine Frau und zweitens eine Dalit ist, und von ihrer eigenen Gemeinschaft, weil sie eine Frau ist".

Frauenaktivistinnen zufolge werden Dalit-Frauen besonders häufig Opfer von Unrecht. "Untersuchungen haben festgestellt, dass es sich bei Frauen, die der Hexerei beschuldigt werden, meist um Dalit handelt. Sie sind leichte Beute für Frauenhändler und müssen unter den furchtbarsten Bedingungen arbeiten", erzählt Durga Sob von der Feministischen Dalit-Organisation (FEDO).


Institutionelle Diskriminierung

Wollen sich Dalit rechtlich gegen erlittenes Unrecht wehren, wird ihnen meist davon abgeraten. "Man sagt ihnen, dass in einem solchen Fall der soziale Frieden gefährdet werde. Opfer hält man dazu an, sich informell mit ihren Peinigern auf einen Kompromiss zu einigen", betont Bishwokarma. "In Nepal wird für die Diskriminierung von Dalit niemand bestraft."

Über das, was Sarki widerfahren ist, hatten die Medien ausgiebig berichtet. Der Übergriff stieß zudem auf massive Ablehnung, und eine kleine Gruppe von Frauenaktivistinnen protestierte mehrere Tage. "Doch nach der Übergabe eines Memorandums an die Regierung war das Ganze vergessen", wie Thapa Pariyar von der Nepalesischen Vereinigung zur Förderung von Dalit-Frauen (ADWAN) kritisiert.

Wissenschaftlern zufolge gibt es Gründe, warum die Dalit im Kampf um ihre Rechte nicht vorankommen: Die durchaus zahlreichen Gesetze und Regelungen werden nicht umgesetzt. "Und selbst in Fällen, in denen wir versuchen, den Dalit zu Gerechtigkeit zu verhelfen, sind wir erfolglos", berichtet Sob von FEDO. Ihrer Meinung nach müssen die Gesetze so umgeschrieben werden, dass sie für jeden verständlich sind, und Polizei und Juristen in Seminaren mit den Rechten der Dalit vertraut gemacht werden.

Nach Ansicht von Pariyar ist es wichtig, Druck auf die Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung auszuüben. "Wir müssen jetzt aktiv werden. Sonst kommen wir nie voran." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/02/dalit-women-face-multiplied-discrimination/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2014