Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/449: Südasien - Kriegswitwen in Nepal und Sri Lanka kämpfen um Existenz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2012

Südasien: Kriegswitwen in Nepal und Sri Lanka kämpfen um Existenz

von Amantha Perera


Die srilankische Kriegswitwe Rajina Mary - Bild: © Amantha Perera/IPS

Die srilankische Kriegswitwe Rajina Mary
Bild: © Amantha Perera/IPS

Dharan, Nepal, 18. Dezember (IPS) - Sita Tamangs Mann ist seit 2004 verschollen. Der Bürgerkrieg im Himalaja-Staat Nepal ging erst zwei Jahre später zu Ende. Tamang, die aus der Stadt Dharan rund 600 Kilometer südöstlich von Katmandu stammt, wartete nach dem Verschwinden ihres Mannes fast sieben Jahre, bis sie die von der nepalesischen Regierung nach dem Friedensabkommen 2006 angebotene Entschädigung für Hinterbliebene beantragte.

Als sie endlich mit Regierungsbeamten in Kontakt kam, die in Dharan die Entschädigungsverfahren beaufsichtigten, wurde sie aufgefordert, zu 'beweisen', dass sie tatsächlich mit dem Vater ihrer drei Kinder verheiratet war. Mit ihm hatte sie etwa 15 Jahre zusammengelebt.

Tamang besitzt jedoch keine Heiratsurkunde. Sie hat wie viele Nepalesen traditionell geheiratet, ohne die Ehe standesamtlich registrieren zu lassen. Die Frau, die allein für ihre Kinder sorgt, musste einen Papierkrieg mit den Behörden ausfechten, bevor ihr Antrag überhaupt zur Bearbeitung angenommen wurde. "So laufen die Dinge hier", sagt sie. "Frauen haben es immer schwer."

Tausende Kilometer entfernt im Norden von Sri Lanka ist die 38-jährige Kriegswitwe Rajina Mary auf ähnliche Hürden gestoßen. Die Mutter von vier Kindern begann Ende 2010, etwa anderthalb Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs in dem südasiatischen Inselstaat, mit Unterstützung des Roten Kreuzes ein neues Haus zu bauen.

"Die Arbeiter folgten meinen Anweisungen nicht, weil ich eine Frau bin", berichtet Mary, die in dem Dorf Selvanagar im nördlichen Bezirk Kilinochchi lebt, einem der Hauptschauplätze des bewaffneten Konflikts. "Sie sind daran gewöhnt, Befehle von Männern entgegenzunehmen." Die Witwe und ihre Kinder waren gezwungen, selbst Hand anzulegen. Sie hoben den Grund für das Fundament des Hauses weitgehend selbst aus und schleppten Hunderte Ziegel und Zementsäcke.


Kriegswitwen isoliert

Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und andere Experten, die seit dem Ende der Bürgerkriege in den beiden Staaten arbeiten, sind sich ebenfalls bewusst, dass die patriarchalischen Strukturen in den ländlichen Gebieten Kriegswitwen und weiblichen Haushaltsvorständen das Leben schwer machen.

"Viele Frauen haben Angst und leiden unter Depressionen", erläutert Srijana Bhandari vom 'Women's Rehabilitation Centre' (Worec) in Dharan. "Die meisten dieser Frauen leben isoliert und können mit niemandem reden." Sie weiß von einer Frau, die sich nach dem Verschwinden ihres Mannes jahrelang allein abgemüht habe, um ihren Sohn zur Schule zu schicken und ihre an Epilepsie leidende Tochter behandeln zu lassen.

Erst im November 2011, als Worec mit ihr Kontakt aufnahm, begannen sich die Dinge zum Besseren zu wenden. Inzwischen erhält der Sohn ein Schulstipendium, und für die Tochter wird monatlich eine Beihilfe zur medizinischen Behandlung ausgezahlt. "Bevor wir mit ihr sprachen, half ihr niemand. Einige Familienmitglieder betrachteten sie sogar als Bürde", sagt der Worec-Programmkoordinator Kamal Koirala.

Frau bei einem Treffen von Angehörigen vermisster Personen in Nepal - Bild: © Amantha Perera/IPS

Frau bei einem Treffen von Angehörigen vermisster Personen in Nepal
Bild: © Amantha Perera/IPS

Selbst wenn Witwen heiratswillige Männer finden, stehen sie unter einem enormen Druck. Denn die Schwiegerfamilien wollen solche Verbindungen häufig verhindern. Nach Angaben von Worec ergreifen viele Frauen nach einer erneuten Eheschließung die Flucht und lassen die Kinder zurück. Laut Koirala haben Hilfsorganisationen den starken Verdacht, dass viele Kriegswitwen als Prostituierte Geld verdienen.

In Sri Lanka sei die Situation nicht grundlegend anders, erklärt Saroja Sivachandran, die Leiterin des nichtstaatlichen Zentrums für Frauen und Entwicklung, das seinen Sitz auf der nördlichen Halbinsel Jaffna hat. Obwohl viele Srilankerinnen während des 30-jährigen Konflikts Seite an Seite mit den Männern kämpften, vor allem in den Reihen der Separatistenbewegung von Tamil Eelam (LTTE), dominieren auch in dieser Region patriarchalische Werte.


Konkurrenzprobleme

"Das Problem besteht darin, dass alleinstehende Frauen - und es gibt Tausende von ihnen - überall mit Männern konkurrieren müssen - etwa bei der Arbeitssuche oder beim Wohngeld", berichtet Sivachandran.

Dem Nepalesischen Roten Kreuz zufolge werden in dem Himalajaland sechs Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs noch immer 1401 Menschen vermisst. Offiziellen Angaben zufolge werden mindestens 90 Prozent der zurückgelassenen Haushalte von Frauen versorgt. 80 Prozent von ihnen sind Mütter.

In Sri Lanka gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass 30.000 der 110.000 Familien, die nach dem Friedensschluss in die früheren Kriegsgebiete im Norden des Landes zurückgekehrt sind, weibliche Haushaltsvorstände haben. 2010 fand die Weltbank heraus, dass zwei Drittel der Teilnehmer eines Arbeitsbeschaffungsprogramms im Umfang von 5,5 Millionen US-Dollar Frauen waren. Sie konnten ihre Arbeitszeit im Rahmen des Programms flexibel gestalten, um für die Familie sorgen zu können. Ältere Menschen, die sich während der Abwesenheit der Mütter um die Kinder kümmerten, erhielten eine Aufwandsentschädigung. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.worecnepal.org/
http://womendev.org/
http://www.nrcs.org/home/index.php
http://www.ipsnews.net/2012/12/war-widows-struggle-in-a-mans-world/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Dezember 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2012