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FRAUEN/393: Nepal - Verprügelt und verstoßen, Frauen ohne Schutz gegen häusliche Gewalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. April 2012

Nepal: Verprügelt und verstoßen - Frauen ohne Schutz gegen häusliche Gewalt

von Naresh Newar


Misshandlungsopfer gemeinsam gegen Gewalt - Bild: © Naresh Newar/IPS

Misshandlungsopfer gemeinsam gegen Gewalt
Bild: © Naresh Newar/IPS

Dailekh, Nepal, 19. April (IPS) - Im nepalesischen Bürgerkrieg von 1996‍ ‍bis 2006 kämpften Frauen Seite an Seite mit ihren Männern, um die repressive Monarchie erfolgreich zu Fall zu bringen. Sechs Jahre später sind viele von ihnen, die sich Befreiung und Gleichberechtigung erhofft hatten, Zielscheibe massiver innerfamiliärer Gewalt.

Rachna Shahi war erst 15 Jahre alt, als sie sich 2004 der Maoistischen Befreiungsarmee anschloss. Inzwischen ist sie verheiratet, wurde von ihrer Schwiegerfamilie jedoch vor die Tür gesetzt und soll einer Scheidung zustimmen. Ihre eigenen Eltern sind nicht bereit, sie aufzunehmen.

"Ich bin damals in den Krieg gezogen, um für mehr Gleichberechtigung zu kämpfen", sagt Rachna. "Heute aber sind viele Frauen in der Familie und in der Gesellschaft zu Opfern geworden. Ich weiß nicht, wie ich überleben soll."

Dhansara Majhi, die ebenfalls im Distrikt Dailekh etwa 700 Kilometer westlich der Hauptstadt Katmandu lebt, hätte die Brutalität ihres Ehemanns längst in den Selbstmord getrieben, wären da nicht die Kinder gewesen. "Manchmal würde ich mich am liebsten umbringen. Doch wer wird sich um die Kinder kümmern, wenn ich tot bin?"


Mit der Axt bedroht

Ihr Mann Keshab Majhi prügelt sie mit allen Gegenständen, die ihm in die Hände fallen. Mal ist es eine Eisenstange, mal ein Hammer. Einmal bedrohte er sie sogar mit einer Axt. Besonders schlimm wütet er unter Alkoholeinwirkung. "Meine Kinder und ich laufen meistens weg und verstecken uns im Wald, bis er wieder nüchtern ist", erzählt Dhansara. Sie macht sich vor allem Sorgen um ihren zwölfjährigen Sohn Rosan, bei dem vieles auf eine psychische Störung hindeutet.

Die Polizei schaltet sie deshalb nicht ein, weil sie fürchtet, ihren Mann damit zu reizen. Von der Dorfgemeinschaft kann sie keine Hilfe erwarten. "Meine Nachbarn werfen mir oft vor, dass ich ihn provoziere. Ich weiß also nicht, an wen ich mich wenden kann."

Viele Frauen in dem kleinen südasiatischen Land sind in einer ähnlich desolaten Lage wie Dhansara und Rachna. Besonders in den Dörfern, wo sie keinen oder nur begrenzten Zugang zu rechtlicher Hilfe haben, leben sie in ständiger Angst vor Übergriffen.

Frauenaktivisten werfen der Regierung vor, trotz der alarmierend hohen Zahl von Misshandlungen wenig für den Schutz der Betroffenen zu tun. Allein 2011 wurden fast 700 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. In 40 Prozent handelte es sich innerfamiliäre Gewalt, wie die nichtstaatliche Organisation INSEC mitteilte.

"Viele Angriffe werden nicht angezeigt, weil die Opfer Repressalien fürchten und keinen Zugang zu rechtlicher Hilfe haben", bestätigt Khadga Raj Joshi, der regionale INSEC-Koordinator für den Westen Nepals.

Im vergangenen Jahr wurden der Organisation zufolge 54 Nepalesinnen von ihren Angehörigen getötet, weil sie ihren Männern oder Schwiegerfamilien nicht gehorcht hatten. Manchmal reichte es schon, dass sie den Alkoholkonsum ihrer Männer kritisierten. Wie INSEC berichtete, werden die meisten Täter aus Mangel an Beweisen freigelassen.


Gewalt in der Ehe gesellschaftlich akzeptiert

Die Anwaltsvereinigung in Nepal bietet zwar an den Distriktgerichten Rechtsbeistand an. Doch die meisten seien für die Frauen aus den ländlichen Gebieten unerreichbar, sagt Joshi. "Diese Frauen sind allein auf sich gestellt und erhalten nicht einmal in den eigenen Herkunftsfamilien Unterstützung", erklärt die Sozialarbeiterin Deepa Bohara. "Dass Frauen von ihren Männern gezüchtigt werden, ist gesellschaftlich akzeptiert."

Eine im Jahr 2001 durchgeführte Untersuchung über die demografische Entwicklung und die öffentliche Gesundheit kam zu dem Ergebnis, dass sogar Nepalesinnen in Städten und Dörfern der Ansicht sind, Männer hätten ein Recht, ihre Frauen zu schlagen, wenn sie ihre Haushaltsverpflichtungen vernachlässigen, ohne Erlaubnis das Haus verlassen oder den Geschlechtsverkehr verweigern.

Ähnlich stellt sich die Lage auch in Pakistan, Indien und anderen Staaten der Region dar. Pakistan und Indien kamen in einer Untersuchung über Gefahren für Frauen weltweit auf den dritten und vierten Platz. Der im Juni 2011 von dem auf Rechtsfragen spezialisierten Nachrichtendienst 'TrustLaw' der Thomson-Reuters-Stiftung verbreitete Bericht thematisiert frauenfeindliche Übergriffe von häuslicher Gewalt über wirtschaftliche Diskriminierung bis zur Abtreibung weiblicher Föten. In Ländern mit korrupten Regierungen, in denen die Rechte von Frauen weitgehend missachtet würden, sei Gerechtigkeit nicht zu erwarten, hieß es.

In Nepal können sich Frauen in ländlichen Gebieten höchstens an so genannte Dorfentwicklungsausschüsse (VDC) wenden. "Die Ausschüsse sind aber nicht befugt, rechtliche Entscheidungen zu treffen und können nur als Schlichter auftreten, um eine Einigung innerhalb der Familie herbeizuführen", sagt die Juristin Bindu Khadka, die für das Forum für Frauen, Recht und Entwicklung arbeitet.

Die Polizei, deren Aufgabe es eigentlich ist, Straftäter zu verfolgen, drängt die Opfer häufig dazu, im Namen des Friedens einen Kompromiss einzugehen, wie INSEC-Koordinator Khadga kritisiert.

Seit dem Ende des Bürgerkriegs, der zum Sturz der Monarchie führte, wurden in der Republik Nepal mehrere Reformen durchgeführt, die die Rechte der Frau in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht stärken. So wurde 2006 ein Gesetz verabschiedet, das Frauen die gleichen Erbansprüche wie Männern zugestand sowie häusliche und sexuelle Gewalt unter Strafe stellte. Nach Ansicht von Aktivisten kann die breite Bevölkerung diese Rechte bisher noch nicht für sich in Anspruch nehmen. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www.inseconline.org/
http://www.trust.org/trustlaw/
http://www.fwld.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107327

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2012