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FRAUEN/325: Irak - Viele Frauen landen in Bordellen, Sexhandel hat seit Golfkrieg rapide zugenommen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. August 2011

Irak: Viele Frauen landen in Bordellen - Sexhandel hat seit Golfkrieg rapide zugenommen

von Rebecca Murray

Al-Battaween, der Rotlichtbezirk von Bagdad - Bild: © Rebecca Murray/IPS

Al-Battaween, der Rotlichtbezirk von Bagdad
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Bagdad, 30. August (IPS) - Rania war 16 Jahre alt, als sie von Offizieren des Saddam-Regimes 1991 während einer Offensive gegen Schiiten im Südirak vergewaltigt wurde. "Man hatte meine Brüder zum Tode verurteilt. Um sie zu retten, bot ich meinen Körper an", erinnert sie sich heute. "Das war der Preis."

Doch die Familie hat es der jungen Frau nicht gedankt. Sie wurde verstoßen, weil sie angeblich Schande über ihre Angehörigen gebracht hatte. Rania schlug sich bis in die Hauptstadt Bagdad durch, wo sie bald im Rotlichtmilieu landete.

In dem durch militärische Besatzung und ethnische Konflikte gezeichneten Land sind Prostitution und Frauenhandel weit verbreitet. Die staatlichen Einrichtungen liegen am Boden, die Bevölkerung ist verarmt, Familien wurden auseinandergerissen. Seit 2003 wurden mehr als 100.000 Zivilisten getötet und schätzungsweise 4,4 Millionen Menschen vertrieben. "Kriege und Konflikte, wo immer sie stattfinden, führen zu einem unerträglich hohen Ausmaß an Gewalt gegen Mädchen und Frauen", meint dazu die Menschenrechtsorganisation 'Amnesty International'.

Rania wurde schließlich die rechte Hand eines Frauenhändlers und dafür zuständig, die Kunden abzukassieren. "Vier Mädchen können bis zu 200 Kunden pro Tag bedienen", berichtet sie. An ihnen habe man 20.000 US-Dollar am Tag verdient. Jungfrauen ließen sich für 5.000 Dollar in den Norden des Landes, nach Syrien und in die Vereinigten Arabischen Emirate verkaufen, während die übrigen Frauen für Hälfte des Preises zu haben seien.


Schutzlos

Mädchen, die vor häuslicher Gewalt und Zwangsheiraten fliehen, fallen besonders rasch Helfern von Zuhältern in die Hände, die an Bushaltestellen oder Taxiständen warten. Andere junge Frauen werden von ihren eigenen Verwandten an Männer oder Verbrecherbanden verkauft.

Die meisten Frauenhändler im Irak sind weiblich und betreiben kleine Bordelle in heruntergekommenen Vierteln wie Al-Battaween im Zentrum Bagdads. US-Truppen stießen vor sechs Jahren bei einer Razzia auf Rania und andere Prostituierte, die danach jedoch gleich in neue Schwierigkeiten gerieten. Sie wurden angeklagt, Beihilfe zum Terrorismus geleistet zu haben.

Rania kam in das Al-Kadimiyah-Gefängnis, wo die Hälfte der weiblichen Häftlinge wegen Prostitution einsitzt. Dort nahm eine Hilfsorganisation für Frauen Kontakt zu ihr auf. Inzwischen arbeitet Rania für die Gruppe und verschafft sich heimlich Zugang zu Bordellen, um Informationen über die Zustände dort weiterzugeben.

"Ich treffe dort auf Zuhälter und Frauenhändler", sagt Rania, die in Schwarz gekleidet ist, schwarz lackierte Fingernägel hat und goldene Armreifen trägt. Dass sie für eine Menschenrechtsorganisation tätig ist, hält sie lieber geheim. Stattdessen gibt sie sich als Frauenhändlerin aus. Ansonsten müsste sie um ihr Leben fürchten, berichtet sie.

Rania erinnert sich an ein Bordell im Bagdader Bezirk Al-Jihad, in dem 16-jährige Mädchen US-Soldaten zu Willen sein mussten. Die Bordellbesitzerin habe ihr erzählt, dass ein US-amerikanischer Dolmetscher als Vermittler aufgetreten sei und die jungen Frauen zur US-Luftwaffenbasis hin- und zurückgebracht habe.


Rechtlos

Seit dem Golfkrieg 1991 hat sich die Lage der Irakerinnen in vieler Hinsicht drastisch verschlechtert. Früher gab es hier mehr Frauen als in anderen Ländern der Regionen, die lesen und schreiben konnten. Zudem arbeiteten viele Irakerinnen in Berufen, die eine höhere Ausbildung voraussetzten. 20 Jahre später wird ihr Alltag dagegen zunehmend von dem islamischen Recht, der Scharia, geprägt, was heißt, daß über Hochzeiten, Scheidungen und Ehrenmorde außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der staatlichen Gesetze entschieden wird.

Mehrere Faktoren sind für die Zunahme von Prostitution und Sexhandel im Irak verantwortlich. So heißt es in einem 2010 veröffentlichten Bericht der Organisation 'Norwegian Church Aid', dass der US-geführte Krieg im Land zu wachsender Unsicherheit und Gesetzlosigkeit geführt habe. Auch die Korruption in den Behörden und religiöser Fanatismus hätten zugelegt. Frauen seien immer häufiger Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt, ohne dass die Täter zur Verantwortung gezogen würden, prangerte die Organisation an. Mädchen und Frauen würden entführt und in die immer stärker globalisierte Sexindustrie hineingezogen.

Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) werden weltweit jährlich rund 800.000 Personen von Menschenhändlern in andere Länder geschleust. Obwohl die Praktiken im Irak verfassungswidrig sind, fehlen entsprechende Gesetze.

Solange die irakische Regierung nicht entschieden gegen die Menschenhändler vorgeht, werden vermutlich noch viele andere Frauen das gleiche Schicksal erleiden wie die 18-jährige Zeina. Ihr Großvater hatte sie mit 13 an einen Zuhälter in Dubai verkauft, wie die Organisation für die Freiheit von Frauen im Irak (OWFI) herausfand.

Nach vier Jahren als Prostituierte gelang Zeina die Flucht. Als sie nach Bagdad zurückkehrte, zeigte sie ihren Großvater an. Seitdem ist sie verschwunden. Nach Erkenntnissen von OWFI wurde sie dieses Mal von ihrer Mutter an Kriminelle in Erbil im Nordirak verkauft. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.amnesty.org/en/region/iraq
http://www.kirkensnodhjelp.no/en/
http://www.equalityiniraq.com/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104911

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2011