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FRAGEN/011: Care-Economy - Die unsichtbare Seite der Ökonomie sichtbar machen (spw)


spw - Ausgabe 5/2014 - Heft 204
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Care-Economy: Die unsichtbare Seite der Ökonomie sichtbar machen

Interview mit Cäcilie Schildberg von Myriam Riedel



spw: bewertest Du die Frage der Reproduktion für die Entwicklung unseres Wohlstandes?

C. Sch.: Reproduktion ist für Wohlstand eine ganz zentrale Grundlage. Denn ohne Reproduktion kann Wohlstand gar nicht entstehen. Feministinnen verwenden an Stelle von Wohlstand auch oft den Begriff des "guten Lebens", um ein umfassenderes Konzept zu transportieren.

Um zu verstehen, welche Bedeutung Reproduktion für unseren Wohlstand hat, muss man sich nur einmal verdeutlichen, wie das ökonomische System funktioniert. Ohne Reproduktion, also das Großziehen von Kindern und die Sorge und Pflege von kranken Menschen, würde der Arbeitsmarkt schnell zusammenbrechen, da er kein Reservoir an Arbeitskräften mehr hätte.

Im jetzigen System wird die Reproduktion aus dem System ausgegrenzt, obwohl sie maßgeblich den Fortbestand der Ökonomie sichert. Adelheid Biesecker hat es auf den Punkt gebracht. Sie sagte: Bei Trennung zwischen reproduktiver und produktiver Arbeit handelt es sich um eine voll und ganz künstliche Trennung.

spw: Kannst Du dafür ein Beispiel nennen?

C. Sch.: Wenn ich meiner Tochter ein Mittagessen koche und sie somit versorge, wird das als reproduktive Arbeit angesehen. Wenn ich aber als Köchin in einem Restaurant ein Mittagessen für die Gäste zubereite, wird das als produktive Arbeit betrachtet.

spw: Welche Antworten gibt der Ansatz der care-Economy?

C. Sch.: Der Ansatz der Care-Economy setzt auf die Aufhebung dieser Trennung und der Ausgrenzung der Sorgetätigkeiten. Die unsichtbare Seite der Ökonomie soll sichtbar gemacht werden.

spw: Wie entwickelt sich die Debatte um eine care-economy? Siehst Du Fortschritte? Wo sind Blockaden?

C. Sch.: Die Debatte um care-Economy hat seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise einen Aufschwung erfahren und findet auch in nicht-akademischen Kreisen stärkere Beachtung als zuvor.

Die gestiegene Bedeutung des Themas spiegelt sich auch in den Verhandlungen über die Sustainable Development Goals der UNwider, bei denen care-Economy erstmals eine Rolle gespielt hat und erwähnt wurde. Das zeigt, dass es ein stärkeres Bewusstsein für care-economy gibt als noch im Jahre 2000. Das hängt auch damit zusammen, dass wir unser ökonomisches System seit der Krise stärker in Frage gestellt haben. Wenn man darüber nachdenkt, wie man das System verändern könnte, kommt man automatisch auch zu den Fragen der Verteilung von Sorgearbeit. Allerdings hängen viele Regierungen, vor allem religiöse Regierungen, nach wie vor einem konservativen Geschlechterbild an. Ökonomische Anerkennung und Umverteilung der care-Arbeit wird von ihnen als Angriff auf ihr eigenes Weltbild verstanden.

Eine neue Entwicklung ist die Verbindung von care-Economy und Nachhaltigkeit, eingebunden in Diskurs um eine sozial-ökologische Gestaltung von Transformationsprozessen. So gibt es zunehmend Forscher_innen, die sich mit diesem Thema befassen. Das ist ein neuer Trend in der care-Economy - und meiner Meinung nach auch ein zukunftsweisender.

spw: Welches Verhältnis siehst Du zwischen dem Diskurs einer ökologischen und einer sozialen Nachhaltigkeit? Siehst Du Widersprüche?

C. Sch.: Soziale und ökologische Nachhaltigkeit gehören zusammen und sind nicht voneinander trennbar. Nachhaltigkeit ist als Vorstellung von Gerechtigkeit ja ein normatives Konzept und beinhaltet die Integration der drei Dimensionen sozial, ökologisch und ökonomisch.

Nachhaltigkeit beinhaltet außerdem sowohl inter- als auch intragenerationale Aspekte: So wird ein Blick in die Zukunft geworfen und gefragt, welche Folgen heutige Handlungen für die Zukunft haben werden. Das bedeutet, wenn die Folgen einer Handlung nicht abschätzbar sind, dürfte sie aus einer Nachhaltigkeitsperspektive auch nicht vollzogen werden.

Meiner Meinung nach müssen diese drei Dimensionen von Nachhaltigkeit immer zusammen gedacht werden. In der Debatte werden sie aber oft getrennt voneinander behandelt. So wird etwa oft argumentiert, man müsse sich erst um die ökologische Nachhaltigkeit kümmern, bevor man eine soziale Nachhaltigkeit erreichen könne. Das sehe ich nicht so. Klar ist aber auch, dass es in der praktischen Umsetzung natürlich zu Spannungen zwischen sozialen und ökologischen Aspekten kommen kann. Dies war bzw. ist ja beispielsweise immer wieder Thema bei der Schließung von Kohlebergwerken gewesen. Ich denke aber, dass man die sozialen und ökologischen Aspekte nicht gegeneinander ausspielen darf, sondern sozial-gerechte Lösungen für die Folgen von Veränderungsprozessen gefunden werden müssen.

spw: Gibt es auch Chancen durch eine Verknüpfung von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.

C. Sch.: Ich finde, dass soziale und ökologische Nachhaltigkeit nicht voneinander getrennt werden sollten.

Hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse möchte ich auf das neue Buch von Joan Tronto "Caringdemocracy - Markets, Equality, and Justice" verweisen. Dort wird sehr gut nachgezeichnet, wie care-Arbeit über die Jahrhunderte geschlechterspezifisch geprägt wurde - das heißt, durch Konstruktionen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Das ist natürlich auch mit der strukturellen Verankerung von Machtfragen verbunden. Durch diesen historischen Blick wird deutlich, dass die gesamte Ökonomie, wie wir sie heute kennen, auf diese konstruierten Geschlechterverhältnisse ausgerichtet ist.

Damit wird Geschlechtergerechtigkeit zu einer wichtigen Stellschraube für Transformation. Wir müssen einen Perspektivwechsel einnehmen. Aus nachhaltig-feministischer Perspektive muss man die beiden bis dato ausgegrenzten Bereiche - Natur wie auch Care - integrieren. Das beinhaltet nicht nur ein neues Menschenbild, sondern auch ein neues Mensch-Natur-Verhältnis.

Die Sorge für und um etwas bezieht sich damit nicht mehr nur auf Menschen, sondern ebenso auf die Natur. Im Prinzip geht es um einen erweiterten, umfassenden Sorgebegriff.

spw: Was für ein Wachstumsbegriff steht dahinter?

C. Sch.: Es handelt sich um einen wachstumskritischen Ansatz, insbesondere der Wachstumszwang wird abgelehnt. Es geht vielmehr um einen Entwicklungsprozess. Die Frage ist hier vielmehr was "wachsen" soll, denn nicht jede Form von Wachstum ist schlecht. Ein Wachstum von qualitativ hochwertiger Pflege oder Kinderbetreuung wäre beispielsweise zu begrüßen.

spw: Wie versuchst Du den care-Ansatz im politischen Diskurs stärker zu verankern?

C. Sch.: vielen Industriestaaten und auch in Deutschland gewinnt die Frage um care durch die Alterungsprozesse automatisch an Bedeutung. Wir haben bislang noch keine guten Lösungen für die zunehmende Nachfrage wachsender Pflegebedürfnisse gefunden.

Die bestehenden global care chains, bei denen vor allem weibliche Pflegekräfte aus anderen Ländern nach Deutschland geholt werden, sind mit vielen Problemen verbunden. Denn dadurch entstehen zum einen in den Herkunftsländern wiederum Pflegelücken - sowohl bei der Pflege von Alten als auch bei der Kindererziehung. Darüber hinaus sind es oftmals nicht die Geringqualifizierten, die in die Industrieländer kommen und care-Aufgaben übernehmen.

Ich nenne hier nur das Stichwort Braindain. Fachkräfte werden aus den betreffenden Staaten abgezogen und zum Teil überqualifizierte Menschen führen die Pflegetätigkeiten in Aufnahmeländern aus.

Wir müssen uns bewusst machen, dass care eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens umsorgt werden muss.

Das bietet den Ausgangspunkt für die Debatte, da care ein universelles menschliches Anliegen ist. Das Bewusstsein hierfür muss weiter geschärft werden.

Wir haben hier noch einiges zu tun. Die Debatten um care werden aber mit der zunehmenden Arbeitsmarktintegration von Frauen automatisch auch stärker auf die Tagesordnung kommen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein zentraler Aspekt des Themas.

Die Pflegefrage wird uns also sowieso beschäftigen. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass es zu einem Umdenken kommt und nicht nur nach kurzfristigen Lösungen gesucht wird.

Auf internationaler Ebene muss das Thema auf der Agenda gehalten werden. Hier leistet die Womens Major Group (ein Netzwerk von über 450 internationalen NGOs vor allem aus globalem Süden) eine vorbildliche Arbeit.


Dr. Cäcilie Schildberg ist Referentin im Referat Globale Politik und Entwicklung der Friedrich-Ebert Stiftung. Sie koordiniert das Projekt Geschlechtergerechte Gestaltung der Globalisierung.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2014, Heft 204, Seite 25 - 27
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2014