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ARMUT/232: Kinderarmut in Deutschland - Deutlicher Zuwachs durch Zuwanderung (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 18.04.2017

Kinderarmut in Deutschland: Deutlicher Zuwachs durch Zuwanderung

Neue Auswertung mit Daten für Bund, Länder und Regionen


Die Zahl der armen Kinder in Deutschland steigt seit einigen Jahren wieder an. Zuletzt war ein deutlicher Anstieg um 77.000 zu verzeichnen. Die Quote der Kinderarmut kletterte um 0,7 Prozentpunkte auf 19,7 Prozent. Am weitesten verbreitet ist Kinderarmut nach wie vor in Bremen (34,2 Prozent), Berlin (29,8 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (29 Prozent). Die Regierungsbezirke mit der geringsten Quote sind Oberbayern (10 Prozent), Tübingen (10,6 Prozent) und die Oberpfalz (11,0 Prozent).

Das sind zentrale Ergebnisse aus dem neuen Kinderarmutsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Für diese Studie hat der WSI-Sozialexperte Dr. Eric Seils die neuesten verfügbaren Daten aus dem Mikrozensus für alle Bundesländer und detailliert für insgesamt 39 Regionen, meist Regierungsbezirke, ausgewertet (siehe auch die ausführlichen Tabellen im Anhang). Die im WSI-Bericht erstmals veröffentlichten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2015.

Als arm gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens beträgt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag die Armutsschwelle 2015 bei einem verfügbaren Nettoeinkommen von weniger als 1978 Euro im Monat. Den größten Einfluss auf Höhe und Entwicklung der Armutsquote hat laut Seils die Situation am Arbeitsmarkt. Aber auch die Familienstruktur spiele eine Rolle, weil Alleinerziehende und ihre Kinder besonders häufig von Armut betroffen sind. In Familien mit Migrationshintergrund trage wiederum eine oft unterdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung von Frauen zum erhöhten Armutsrisiko bei. Hinzu kommt in letzter Zeit die Flüchtlingsmigration als Faktor, der sich spürbar in der Statistik niederschlägt.

• Einheimische Kinder von steigender Armut nicht betroffen - Der Anstieg der vergangenen Jahre beruht ganz überwiegend auf der starken Zuwanderung von Minderjährigen, die als Flüchtlinge zumeist unter der Armutsgrenze leben müssen. Dagegen hat sich das Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden, seit Einsetzen der Flüchtlingszuwanderung kaum verändert. Bei Kindern ohne Migrationshintergrund ist die Quote zuletzt sogar geringfügig von 13,7 auf 13,5 Prozent zurückgegangen. "Der Anstieg der Kinderarmut durch die Flüchtlingseinwanderung ist damit an den einheimischen Kindern spurlos vorübergegangen", sagt Seils. Das Armutsrisiko der eingewanderten Kinder und Jugendlichen sei zwar enorm hoch, "kurzfristig kommt es aber vor allem darauf an, dass sie nun in Sicherheit sind. Längerfristig besteht die Herausforderung darin, die Eltern von Flüchtlingskindern zu Löhnen und Bedingungen in Arbeit zu bringen, die der gesamten Familie ein Leben über der Armutsgrenze und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Das geht nur mit intensiver Qualifizierung."

• In NRW Rückgang gegen den Bundestrend - Die Höhe der Kinderarmut unterscheidet sich regional stark. Auch bei der jüngsten Entwicklungstendenz gibt es Unterschiede: In 13 von 16 Bundesländern ist die Armutsquote von 2014 auf 2015 nach oben gegangen. Dagegen hat sie im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen gegen den Bundestrend abgenommen - um 0,7 Prozentpunkte. Auch in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist der Anteil der Kinder, die in Armut leben, gesunken.

Generell hat sich die Lage in Ostdeutschland in Folge abnehmender Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren deutlich entspannt. Zuletzt ist die Kinderarmut jedoch wieder um 1,4 Prozentpunkte auf durchschnittlich 26 Prozent angestiegen. Durch den jüngsten Anstieg hat sich der Abstand zwischen den neuen Ländern und den alten Ländern wieder vergrößert. Im Westen stieg die Quote um einen halben Prozentpunkt auf 18,3 Prozent. Dies dürfte nicht zuletzt auf die gewichtige Ausnahme Berlin zurückzuführen sein, wo die Kinderarmut seit zehn Jahren steigt. Zuletzt ist die Armutsquote der Kinder dort um 3 Prozentpunkte auf 29,8 Prozent gestiegen. Auch in Thüringen verbreitet sich die Kinderarmut wieder. Von 2014 auf 2015 ist dort ein Zuwachs um 2,9 Prozentpunkte auf 26,6 Prozent zu verzeichnen. Während in Berlin neben einer insgesamt schwachen Einkommensentwicklung die Zuwanderung von geflüchteten Familien eine große Rolle gespielt habe, sei in Thüringen bei recht geringer Zuwanderung vor allem eine sinkende Erwerbstätigenquote ausschlaggebend.

Auch in Bayern (von 11,9 Prozent auf 12,3 Prozent) und Baden-Württemberg (von 12,7 auf 13,4 Prozent) haben die Zahlen und der Anteil armer Kinder auf vergleichsweise niedrigem Niveau wieder zugenommen - mit der Folge, dass es laut Seils "erstmals seit zehn Jahren keinen Regierungsbezirk mehr gibt, in dem weniger als jedes zehnte Kind armutsgefährdet ist." Insgesamt leben in acht der 39 deutschen Regierungsbezirke und Regionen mehr als ein Viertel der Kinder und Jugendlichen unter der Armutsgrenze, zuvor galt das für sechs.

Gegen den Bundestrend und trotz ebenfalls erheblicher Flüchtlingszuwanderung hat die Kinderarmutsquote in Nordrhein-Westfalen abgenommen - von 23,6 Prozent auf nun 22,9 Prozent im Landesdurchschnitt. Allerdings fiel die Entwicklung in den Regionen des bevölkerungsstärksten Bundeslandes unterschiedlich aus: Während die Kinderarmut in den Regierungsbezirken Köln, Detmold und Münster bei guter Arbeitsmarktentwicklung zurückging, stieg sie im Regierungsbezirk Düsseldorf, wo viele Geflüchtete untergebracht wurden, spürbar und im Regierungsbezirk Arnsberg geringfügig an. Beide Regierungsbezirke umfassen Teile des Ruhrgebiets und zeigten eine vergleichsweise schwache Arbeitsmarktentwicklung.

Hessen weist mit 18,2 Prozent eine eher unterdurchschnittliche Kinderarmutsquote auf. Nachdem das Armutsrisiko dort zwischen 2005 und 2010 sank, ist mit dem Einsetzen der Einwanderungswelle aber ein Wiederanstieg zu verzeichnen: Dies zeigt sich insbesondere im kleinen Regierungsbezirk Gießen, wo der Anteil der Einwanderer stärker gestiegen ist als in allen anderen Regionen Deutschlands. In Kombination mit einer schwachen Arbeitsmarktentwicklung begünstigte dies den starken Anstieg der Kinderarmut um 3,7 Prozentpunkte.


Weitere Informationen unter:
http://www.boeckler.de/wsi_62998.htm
- Die Auswertung im WSI-Verteilungsmonitor mit allen Daten für die Regierungsbezirke.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution621

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 18.04.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2017

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