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ARMUT/209: Mexiko - Keine Fortschritte bei Armutsbekämpfung, staatliche Programme in der Kritik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. August 2015

Mexiko: Keine Fortschritte bei Armutsbekämpfung - Staatliche Programme in der Kritik

von Emilio Godoy



Bild: © Regierung von Mexiko

Eine Mutter mit ihren Kindern beim Essen in einer mexikanischen Landschule
Bild: © Regierung von Mexiko

MEXIKO-STADT (IPS) - Im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten Lateinamerikas kommt Mexiko bei der Armutsbekämpfung nicht voran. Offiziellen Erhebungen zufolge ist die Zahl der Notleidenden in den vergangenen zwei Jahren gestiegen, obwohl Milliarden US-Dollar für Hilfsprogramme bereitgestellt worden sind.

Experten führen diese Entwicklung unter anderem auf die Steuerreform von 2014 zurück sowie auf eine schlechte Planung und Umsetzung staatlicher Maßnahmen, das zögerliche Wirtschaftswachstum und stagnierende Einkommen. Mexiko ist das zweitbevölkerungsreichste Land Lateinamerikas.

"Wir haben einige gut konzipierte Sozialprogramme, während andere vom richtigen Weg abgekommen sind", sagt Edna Jaime, Direktorin des mexikanischen Think Tanks 'Evalúa'. "Die Programme geben vor, Armut zu bekämpfen und Beschäftigung zu fördern, zeigen aber keine Wirkung. Sie dienen einer politischen Klientel und nicht der Öffentlichkeit."


Projekte nutzen vor allem Großproduzenten

Die Kritik bezieht sich unter anderem auf das Projekt für direkte Unterstützung ländlicher Gebiete (Procampo), über das jährlich Subventionen von umgerechnet etwa vier Milliarden US-Dollar bereitgestellt werden. Das Geld kommt vor allem großen Agrarexporteuren im Norden Mexikos zugute. Ursprünglich sollte das Programm jedoch Kleinbauern helfen, den Auswirkungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zu trotzen, das 1994 von den USA, Kanada und Mexiko geschlossen wurde.

Auch die Tatsache, dass mehr als 15 Milliarden Dollar pro Jahr an Subventionen für Gas und Strom zur Verfügung gestellt wurden, hat Missfallen erregt. Denn Nutznießer sind in erster Linie die großen Verbraucher. In der zweitgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas fließen jährlich sieben Milliarden Dollar in 48 föderale Programme, die die Produktion voranbringen, Arbeitsplätze schaffen und die Einkommen verbessern sollen. Ein ähnlich hoher Betrag wird für die Finanzierung der Programme 'Prospera' zur Förderung sozialer Inklusion und 'Seguro Popular' bereitgestellt.

Über das Programm 'Prospera', das bisher unter dem Namen 'Oportunidades' lief, erhalten Familien unter der Bedingung Unterstützung, dass sie ihre Kinder zur Schule und zu regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen schicken. 'Seguro Popular' bietet Familien auch einen Sozialversicherungsschutz.


Zahl der Armen gestiegen

Laut der jüngsten Untersuchung des Nationalen Rats für die Evaluierung der sozialen Entwicklungsprogramme (Coneval), die am 23. Juni veröffentlicht wurde, leben 55,3 Millionen Menschen in Mexiko in Armut, drei Millionen mehr als im Jahr 2012. Dieser Anteil entspricht 46,2 Prozent der insgesamt 121 Millionen Einwohner des Landes. Aus der Studie geht weiter hervor, dass zwölf Millionen Mexikaner mit umgerechnet weniger als einem Dollar täglich auskommen müssen.

Mexiko ist einer der wenigen Staaten der Region, die bei der Armutsbekämpfung keine Fortschritte mehr machen. Die Gründe dafür seien ein zu niedriges Wirtschaftswachstum und die Tatsache, dass die Ausgaben keinen Umverteilungseffekt haben, sagte Rodolfo de la Torre, Koordinator des Berichts des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in Mexiko. Einige Programme zur Armutsbekämpfung hätten dadurch ihre Wirksamkeit eingebüßt.

Am 29. Juli stufte die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) ihre diesjährige Wachstumsprognose für Mexiko von 3,0 auf 2,4 Prozent zurück. Diese Wirtschaftsleistung reicht nicht aus, um eine Million Arbeitsplätze zu schaffen, die dringend benötigt werden. Der geltende Mindestlohn von fünf Dollar am Tag gehört zu den niedrigsten Löhnen in ganz Lateinamerika, wie eine Untersuchung an der privaten Iberoamerikanischen Universität in der zentralmexikanischen Stadt Puebla ergeben hat.


Präsidiales Leuchtturm-Projekt

Der Anstieg der Armut macht die Defizite von 'Prospera' und des von dem konservativen Präsidenten Enrique Peña Nieto als 'Leuchtturm'-Programm geförderten 'Kreuzzugs gegen den Hunger' deutlich sichtbar. Letzteres ist auf Menschen zugeschnitten, die in extremer Armut leben und mangelernährt sind. Das Projekt, das in 400 Kommunen in Zusammenarbeit mit 70 föderalen Programmen durchgeführt wird, soll 7,4 Millionen Menschen erreichen, von denen 3,7 Millionen in Städten leben.


Bild: © Regierung von Mexiko

Verteilung von Finanzhilfen an mexikanische Kleinbauern
Bild: © Regierung von Mexiko

Edna Jaime sieht die Umsetzung dieser multisektorialen Strategie als "sehr komplexe Aufgabe", auch wegen des Risikos der Vetternwirtschaft. "Es gibt Instrumente zur Unterstützung der Armen, die sich als effizienter erwiesen haben", erklärt sie.

Jaimes Think Tank 'Evalúa', der Teil des Netzwerks 'Bürgeraktion gegen Armut' ist, hat seit dem Start des Programms im Januar 2013 öffentlich Bedenken geäußert. De la Torre sieht 'Prospera' zwar nicht als gescheitert an, fordert aber eine gründliche Revision. "Die gesamte Bürde der Armut kann nicht von einem einzigen Programm geschultert werden", so der UNDP-Experte. "Auch Gesundheits- und Bildungsmaßnahmen müssen eine Rolle spielen. Wenn keine neuen Finanzmittel investiert werden, wird die Armut kaum reduziert werden können."

Aus Sicht der UNDP darf Mexiko nicht auf eine wirtschaftliche Erholung warten, um gegen die Armut anzukämpfen. "Die Hilfen für diejenigen, die am dringendsten auf sie angewiesen sind, müssen auf anderen Wegen weitergeleitet werden. Denn diese Mittel kommen bisher nicht bei den Allerärmsten an", kritisiert de la Torre. UNDP will nun untersuchen, wo sich bei der Bereitstellung staatlicher Zuschüsse Budgetlücken auftun und in welchem Maß der Arbeitsmarkt zur menschlichen Entwicklung beiträgt. (Ende/IPS/ck/24.08.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/08/mexicos-anti-poverty-programmes-are-losing-the-battle/
http://www.ipsnoticias.net/2015/08/pobreza-gana-batalla-en-mexico-a-los-programas-para-abatirla/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

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