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ARMUT/158: Brasilien - Glückliches Schwellenland, bei Armutsbekämpfung vorn (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juli 2011

Brasilien: Glückliches Schwellenland - Bei Armutsbekämpfung vorn

Von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 8. Juli (IPS) - In Brasilien ist die Kluft zwischen Arm und Reich während der Amtszeit von Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva deutlich geschrumpft. Eine Studie der Getulio Vargas Stiftung belegt, dass das größte südamerikanische Land andere Schwellenländer bei der Armutsbekämpfung überrundet hat. Das Resultat: eine glücklichere Bevölkerung.

Der kürzlich in Rio de Janeiro vorgestellte Bericht, für den die Stiftung Unterstützung von der Interamerikanischen Entwicklungsbank erhielt, vergleicht die wirtschaftliche und soziale Lage in Brasilien mit der Situation in Russland, Indien, China und Südafrika. Diese Länder bilden die Gruppe der so genannten 'BRICS'-Staaten, die ein hohes Wirtschaftswachstum vorweisen können.

In diesen aufstrebenden Ländern lebt zwar mehr als die Hälfte aller Armen der Welt. Laut Prognosen der Investmentbank Goldman Sachs wird aber spätestens 2050 die Wirtschaftsleistung aller BRICS-Staaten zusammengenommen die der sieben reichsten Industrieländer (G-7) übertreffen.

Der Koordinator der Studie, Marcelo Neri, legte eine Gallup-Untersuchung über die Zufriedenheit von Menschen mit ihren Lebensbedingungen zugrunde, um die 'Glücksindizes' der BRICS-Staaten zu ermitteln. Auf einer Skala von 0 bis 10 liegt demnach Brasilien mit einem Wert von 8,7 an der Spitze, gefolgt von Südafrika und Russland mit je 5,2 sowie China und Indien mit 4,5.


Glücksindex im weltweiten Vergleich verbessert

"Brasilien ist das einzige 'BRICS'-Land, das seinen Glücksindex im globalen Vergleich verbessert", sagte Neri im Gespräch mit IPS. Zwischen 2006 und 2009 sei das Land von Rang 22 auf Rang 17 aufgestiegen. Dies hänge sicherlich vor allem damit zusammen, dass seit 2003 rund 48,7 Millionen Brasilianer die Armut überwunden hätten.

Dass so viele Menschen in die Mittelschicht aufsteigen konnten, sei der wirtschaftlichen Stabilität unter der Lula-Regierung zu verdanken, betonte Neri. Zwischen 2003 und 2011 seien mehr Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt entstanden und staatliche Sozialprogramme wie 'Bolsa Familia' eingeführt worden.

Es sei so, als wären auf einmal alle Armen in Spanien und Argentinien in die Mittelschicht aufgerückt, erklärte Neri, der die Dimension der Fortschritte Brasiliens durch Vergleiche veranschaulichen wollte. Es habe ihn selbst überrascht, wie stark in seinem Land die neue Konsumentenschicht angewachsen sei, meinte er.

Diese Entwicklung hat laut dem Studienkoordinator zu internationalen Großfusionen geführt. Die größte brasilianische Supermarktkette 'Pão de Açucar' habe sich beispielsweise mit dem französischen Branchenriesen 'Carrefour' zusammengeschlossen. "Viele Leute wollen jetzt mehr und besser essen", folgerte Neri.

Der Studie zufolge verdienen mittlerweile mehr als die Hälfte der insgesamt etwa 191 Millionen Einwohner Brasiliens monatlich zwischen umgerechnet 750 und 3.230 US-Dollar. Damit sei "eine neue aufstrebende Klasse in einem Schwellenland" entstanden, während die soziale Ungleichheit überraschend schnell reduziert worden sei. Zwar verzeichne Brasilien nicht das höchste Wachstum aller BRICS-Staaten, dafür aber die gerechteste Verteilung des Reichtums innerhalb der Gesellschaft.

Das Einkommen der Haushalte stieg laut Neri zwischen 2003 und 2010 mit einer jährlichen Zuwachsrate von 1,8 Prozent schneller als das Bruttoinlandsprodukt. In China und anderen BRICS-Ländern sei dagegen eine entgegengesetzte Entwicklung zu beobachten. In Brasilien erhöhte sich das Einkommen der ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung seit 2003 um 68 Prozent, während die reichsten zehn Prozent der Brasilianer nur zehn Prozent mehr verdienten.


Auch ungelernte Arbeitskräfte spüren Aufschwung

Der Ökonom wies zudem darauf hin, dass sich in China und Indien vor allem die Situation der Besserverdienenden mit guter Ausbildung verbessert habe. In Brasilien profitierten von dem Wachstum dagegen auch ungelernte Arbeiter, die früher als billige Hilfskräfte in Haushalten, Restaurants, auf dem Bau und in der Landwirtschaft ausgebeutet worden seien.

Der Wirtschaftswissenschaftler Adhemar Mineiro von dem von Gewerkschaften getragenen Sozialforschungsinstitut DIEESE führt die Entwicklungen unter anderem auf die Anhebung der Mindestlöhne und in geringerem Umfang auf die Hilfsprogramme der Lula-Regierung zurück. Hinzu komme, dass die demokratische Regierungsform mit einem Zyklus wirtschaftlichen Wachstums zusammengetroffen sei, erklärte der Gewerkschafter. Dies sei seit den 1950er Jahren nicht mehr der Fall gewesen. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.cdes.gov.br/noticia/22636/os-emergentes-dos-emergentes-reflexoes-globais-e-acoes-locais-para-a-nova-classe-media-brasileira.html
http://mds.gov.br/bolsafamilia
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98576
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56380

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2011