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ARMUT/132: Folgen der gegenwärtigen Krisen auf die Frauen im Süden (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 109, 3/09

Armutsbekämpfung - Wirtschaft - Krise
Auswirkungen haben Geschlecht
Über die Folgen der gegenwärtigen Krisen auf die Frauen im Süden

Von Brita Neuhold


Aufgrund des blinden Flecks, den geschlechtsspezifische Fragen innerhalb aller makroökonomischen Politiken nach wie vor darstellen, wirkt sich die gegenwärtige Krise besonders auf die Lebenssituation von Frauen in Ländern des Südens aus. Im Folgenden beleuchtet die Autorin die geschlechtsspezifischen Verschlechterungen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Ernährung, Gesundheit und Bildung und fordert einen langfristigen Perspektivenwechsel.


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Die geschlechtsspezifische Auswirkung der Finanzkrise stellt sich am augenfälligsten im Bereich des Arbeitsmarkts dar: Schon jetzt prophezeit die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), dass zusätzlich zu den bereits Betroffenen weitere 22 Mill. Frauen der Arbeitslosigkeit anheim fallen werden(1).


Unsicherheit in allen Bereichen

Die Hintergründe für die Entlassungen sind u. a. folgende: Frauen werden aus dem bezahlten Arbeitsmarkt, an dem sie von vornherein zu schlechteren Bedingungen als Männer beteiligt waren, hinausgedrängt und müssen mit den gesundheitlich und pekuniär problematischen Konditionen des informellen Sektors und mit der Zunahme ihrer unbezahlten Arbeit in Haushalt und Pflege kämpfen. Mädchen werden aufgrund der Verhärtung der wirtschaftlichen Bedingungen wieder zu Kinderarbeit in ausbeuterischen, gewissenlosen Betrieben gezwungen und durch die fehlende Möglichkeit des Schulbesuchs in lebenslange Rechtlosigkeit und Unterentwicklung getrieben. Diese Tendenzen spitzen sich im Rahmen von "Krisen" zu. Bereits jetzt werden z.B. im asiatisch-pazifischen Raum, wo vor allem im Bereich der Exportindustrie besonders hohe Arbeitslosigkeit droht, Frauen und junge Mädchen im Rahmen von betrieblichen Maßnahmen der "Krisenbewältigung" zu den vorrangig Entlassenen gehören. Schon jetzt gibt es Nachrichten von Schritten von Seiten multinationaler Großkonzerne wie Siemens und Wintek, die in China und Taiwan die Arbeitsbedingungen von Frauen in ihren Betrieben skandalös verschlechtern oder überhaupt Massenentlassungen von Frauen vornehmen(2). Negativ wirken sich darüber hinaus die finanziellen Einbußen von Mikrokredit-Organisationen und insbesondere der diesbezüglichen von Frauen gegründeten Gruppierungen auf die Überlebenschancen von Kleinunternehmerinnen aus.

Besonders drastisch wird sich auch die Situation in Ländern des Südens für Menschen beiderlei Geschlechts im Bereich der Ernährungssicherheit darstellen, die vor allem seit den 1990er Jahren nachhaltig zerstört wurde. Nach Angaben der FAO waren 2007 und 2008 aufgrund höherer Lebensmittel- und Energiepreise 115 Mill. Menschen Hungersnöten ausgeliefert, schon vorher aber litten zwei Mrd. Menschen aufgrund ungerechter Handelsbedingungen, durch fehlende Maßnahmen im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes und durch Vernachlässigung bzw. Überbeanspruchung des landwirtschaftlichen Sektors an Ernährungsmangel(3). In dieser Situation, die vor allem in Südostasien, in der Karibik und in Afrika südlich der Sahara katastrophal ist, sind viele Frauen und Mädchen besonderen Belastungen ausgesetzt, da sie schon im Säuglingsalter in Notsituationen schlechter ernährt werden als die Knaben und da sie sich im Erwachsenenalter für ihre Familie - und hier besonders für ihre Männer und Söhne - zurückzustehen gezwungen sehen.


Rückschläge in Ökologie, Gesundheit, Bildung

In diesem Zusammenhang sind weitere Gefährdungen des ökologischen Gleichgewichts zu erwarten. Wenn auch die Gasemissionen durch die sinkende Nachfrage nach Treibstoffen kurzfristig sinken, nehmen die Bereitschaft und die Möglichkeiten zu Investitionen in alternative Energien und Strategien des Umweltschutzes ab. Gerade Frauen und Mädchen sind traditionell mit Aufgaben der ländlichen Entwicklung und des Umweltschutzes betraut und können ihre Erfahrungen weitergeben, sie haben aber auch in diesem Bereich mit Rückschlägen und mangelnder Unterstützung zu rechnen.

Die genannten Tendenzen führen zu einer Zunahme der Kindersterblichkeit. Nach Berechnungen der Weltbank, die schon 2007 angestellt wurden, könnten als Folge der Krise 200.000 bis 400.000 Kinder, vor allem Mädchen, pro Jahr sterben, falls nicht Gegenmaßnahmen ergriffen werden(4). Darüber hinaus hat sich die Krise - nicht nur - in Ländern des globalen Südens sehr belastend auf den gesamten Gesundheitsbereich ausgewirkt und vor allem den Zugang der Menschen - und dabei wieder v.a. von Frauen und Mädchen - zu ärztlicher Behandlung in und außerhalb von Spitälern erneut beeinträchtigt. Wie skandalös die Diskriminierung von Frauen in diesem Bereich einfach aufgrund ihres Geschlechts konkret sein kann, zeigt ein Beispiel aus Chile: Dort zahlen Frauen dreimal so hohe Beiträge wie Männer in Versicherungen ein, weil sie als Gesundheitsrisiko eingestuft werden, wobei das bereits eine "Verbesserung" gegenüber der Zeit vor der Reform darstellt, wo die Frauen sechsmal mehr als die Männer einzahlen mussten. Ein weiterer, sehr negativ betroffener Bereich, dem innerhalb der MDGs besondere Aufmerksamkeit gezollt wird, ist der Bildungssektor. Auch hier sind in erster Linie Frauen und Mädchen Opfer der Einschränkungen, was wiederum zur Aufrechterhaltung ihres niedrigen Status in der Gesellschaft, zur Verhärtung traditioneller Ansichten bezüglich ihrer Rolle als Dienende sowie zu ihrer Ausgrenzung vom und Ausbeutung am Arbeitsmarkt, zu politischer Rechtlosigkeit und Unsichtbarkeit führen kann. Wenn Ziel 3 der MDGs, nämlich die Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter und des Empowerments von Frauen, verwirklicht werden soll, muss den Anliegen der institutionellen Erziehung und der Bewusstseinsbildung vorrangige Aufmerksamkeit gezollt werden.


Langfristiger Perspektivenwechsel gefragt

Aufgrund der eben skizzierten Tatsachen wird es außerordentlich wichtig sein, genderspezifische Erkenntnisse und Lösungsvorschläge vorrangig in alle Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise einfließen zu lassen - v.a. aber dabei die notwendige Langfristigkeit eines solchen entwicklungspolitischen Perspektivenwechsels einzusehen! Eine kürzlich unternommene "rapid assessment study" von UNIFEM(5) geht auf den Hintergrund und den aktuellen Stand von Konjunkturentwicklungsprogrammen in zehn Ländern des asiatisch-pazifischen Raums ein und hebt genau diese Überzeugungen hervor.

"If seen as a development instrument and not just short-term response to the crisis, stimulus packages can make far-reaching changes in macro-economic policy and expenditure frameworks to ensure that women's contributions to economic recovery and future growth are fully harnessed, and gender outcomes are achieved."

Konkret sind nicht nur ausgeklügelte nationale und internationale handels- und wirtschaftspolitische Strategien erforderlich, die einerseits das Potential von Frauen und Mädchen entfalten und diese andererseits vor Übervorteilung und Ausbeutung schützen, sondern vor allem eine engagierte und großzügige auf diese Ziele ausgerichtete Entwicklungspolitik. Einem solchen Vorgehen muss ein Wirtschaftsbegriff zugrunde liegen, in dessen Mittelpunkt Verteilungsgerechtigkeit und ökologische Achtsamkeit stehen. Darüber hinaus aber muss die - in Zeiten des ungebremsten Neoliberalismus verpönte - sozialpolitische Verantwortung des Staates wieder eingefordert werden. Auf der internatonalen Ebene sollten Empfehlungen der Vereinten Nationen und von Zusammenschlüssen von NGOs aus Süd und Nord - und nicht die Vorstellungen begrenzter Interessengruppen wie beispielsweise der G20 - eine tragende Rolle spielen. Aber auch hier ist höchste Achtsamkeit geboten, um zu verhindern, dass Beurteilungen und Handlungsvorschläge geschlechtsneutral und ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Probleme und Bedürfnisse von Frauen und Männern formuliert werden(6). Um ein erhöhtes Bewusstsein in dieser Hinsicht zu erreichen, wäre es - auch von österreichischer Seite - erforderlich, für die Umsetzung einer mutigen Gender Equality Architecture Reform (GEAR), also einer tragfähigen frauen- und genderpolitischen Organisationsstruktur, wie sie von Feministinnen in Nord und Süd und auch von WIDE International gefordert wird, einzutreten.


Zur Autorin:
Brita Neuhold ist Mitglied von WIDE und arbeitet zu Menschenrechten von Frauen, Frauenpolitik der Vereinten Nationen sowie zu internationaler Wirtschaft und Geschlechterverhältnisse. Sie lebt in Wien.


Anmerkungen:

(1) ILO (www.ilo.org): Press Release: 5th of March, 2009.

(2) Frauensolidarität: E-mail newsletter 02/09 zum Thema "DECENT WORK FOR ALL (www.frauensolidaritaet.org).

(3) United Nations: Conference on the World Financial and Economic Crisis and its impact on development;. A/CONF.214/4, New York 2009, S. 11.

(4) Siehe S. Baird/J. Friedman/N. Schady: Aggregate income shocks and infant mortality in the developing world (World Bank Policy Research Paper 4346, Washington 2007); s.a.: Buvinic, Mayra: The Gender Perspectives of the Financial Crisis (World Bank Paper for the CSW, 2009).

(5) UNIFEM: News Release: Making economic stimulus packages work for women, 24th June, 2009.

(6) So geht z.B. das Schlussdokument der UNO-Konferenz zur Internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise in diesem Jahr nur in zwei sehr allgemein gehaltenen Absätzen auf die Probleme von Frauen und Mädchen in Zusammenhang mit der gegenwärtigen Rezession ein.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 109, 3/2009, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2009