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ARBEIT/530: Arbeiten für "Fast Fashion" (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 123, 1/13

Arbeiten für "Fast Fashion"
Arbeitsbedingungen in der marokkanischen und rumänischen Bekleidungsindustrie

Von Cornelia Staritz und Leonhard Plank



Die Weltwirtschaft hat sich in den letzten drei Jahrzehnten stark gewandelt. Internationaler Handel und globale Produktion sind zunehmend in globalen Produktionsnetzwerken organisiert, in denen transnationale Unternehmen den Produktionsprozess in unterschiedliche Segmente aufspalten und diese auf verschiedene Länder verteilen.


Für ein durchschnittliches T-Shirt könnte dies wie folgt aussehen: Die Baumwolle wird in Usbekistan oder Indien geerntet, in der Türkei oder China wird daraus Stoff produziert, zugeschnitten und zusammengenäht wird dieser in Marokko, Rumänien oder Bangladesch, Knöpfe oder andere Accessoires kommen aus Italien oder der Türkei, und zuletzt wird das T-Shirt in Österreich verkauft - bei Handelsketten wie H&M oder Zara, die den gesamten Produktionsprozess koordinieren.

Die Anfänge dieser Entwicklungen reichen bis in die 1960er-Jahre zurück, als Unternehmen in den damaligen Industrieländern begannen, einfache und arbeitsintensive Tätigkeiten in die peripheren Länder des globalen Südens zu verlagern. Damit wurden diese Länder zunehmend in den Weltmarkt integriert und bauten teilweise bedeutende exportorientierte Sektoren auf - gerade die Bekleidungsindustrie zählt neben der Elektronikindustrie zu den Sektoren mit dem höchsten Globalisierungsgrad. Diese Entwicklung wurde durch den ökonomischen Paradigmenwechsel seit den 198Oern - Stichwort "Washington Consensus" - gefördert, bei dem u. a. die Liberalisierung des Handels forciert wurde. Die geschlechtsspezifische Dimension dieser "neuen internationalen Arbeitsteilung" ist weithin bekannt. Auch wenn zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten insbesondere für junge Frauen jenseits der Landwirtschaft und des informellen Sektors geschaffen wurden, ist die Qualität der Arbeitsbedingungen oft sehr fragwürdig. In der Regel sind diese von hoher Flexibilität und Unsicherheit geprägt.

Ein wesentlicher Bestandteil dieses Produktionsmodells sind Sonderwirtschaftszonen, wo bis zu 90% Frauen (z. B. in Bangladesch, Jamaika und Nicaragua) in Exportfabriken arbeiten. Dieser hohe Frauenanteil erklärt sich nicht zuletzt auch durch die niedrigeren Löhne und schlechteren Arbeitsbedingungen im Vergleich zu denen von Männern. Auslagerungen finden aber nicht nur nach Asien und Lateinamerika statt. Auch an den Rändern Europas, insbesondere in vormals kommunistischen Ländern sowie in Nordafrika wird vorwiegend für den Export in den EU-15-Markt produziert. Die Unternehmen aus diesem "europäischen Gürtel" beziehen ihren Wettbewerbsvorteil vor allem aus ihrer räumlichen Nähe zu den zentralen Absatzmärkten der EU-15. Diese geografische Position erlaubt es ihnen, in ausgewählten Teilmärkten ihre "Standortnachteile" (insbesondere bei den Lohnkosten) gegenüber großen asiatischen Lieferländern wie China oder Bangladesch auszugleichen. In der Bekleidungsindustrie trifft das insbesondere auf das "Fast Fashion"-Segment zu, wo es auf immer kürzere Produktlebenszyklen und schnellere Reaktionen auf die Wünsche der KonsumentInnen ankommt. Daher spielen Länder wie Marokko und Rumänien in diesem Bereich eine wichtige Rolle, was sich auch an den Aktivitäten der "Fast Fashion"-Vorreiter Zara und H&M ablesen lässt.

Vor diesem Hintergrund haben wir anhand von Marokko und Rumänien untersucht, wie sich die Einbindung in "Fast Fashion"-Produktionsnetzwerke auf die Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingungen auswirkt. Rumänien ist der wichtigste Bekleidungs-Exporteur aus der Region Mittel- und Osteuropa. Lieferbeziehungen mit Westeuropa bestanden bereits vor dem Zusammenbruch des Kommunismus, intensivierten sich aber seit den 1990er-Jahren im Kontext von Handelsabkommen. Marokko scheint seit vielen Jahren unter den Top-Exporteuren auf dem EU-15-Markt auf. In beiden Ländern machen Frauen den überwiegenden Teil der Beschäftigten im Bekleidungssektor aus - ihr Anteil liegt zwischen 85% und 90%.


Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung

Beschaffungspraktiken von Handelsunternehmen wie H&M und Zara haben einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der Arbeit. Insbesondere die Charakteristika des "Fast Fashion"-Geschäftsmodells wie kurze Lieferzeiten, schwankende Bestellmengen und flexible Lagerhaltung stellen erhebliche Hürden für gute Arbeitsbedingungen dar. "Fast Fashion" bedeutet für ArbeiterInnen u. a. flexible Arbeitsverhältnisse, unrealistische Produktionsziele, Überstunden und erhöhte Arbeitsintensität.

Die Einbindung in globale Produktionsnetzwerke wirkt selektiv in Bezug auf die Beschäftigten und auf ihre Arbeitsbedingungen. Insbesondere ArbeiterInnen in regulären Beschäftigungsverhältnissen in Kernunternehmen haben teilweise eine Verbesserung aufgrund der höheren Qualifikationserfordernisse, die für die "Fast Fashion"-Produktion erforderlich sind, erfahren. Auf der anderen Seite fungieren aber Beschäftigte mit irregulären Verträgen und solche in Subunternehmen als Puffer, um den Kosten- und Flexibilitätsdruck abzufangen. Dies schlägt sich in dementsprechend schlechteren Arbeitsbedingungen nieder.

Aber auch bei der Kernbelegschaft sind Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte umkämpft, die mit dem Geschäftsmodell von Handelsunternehmen potentiell im Widerspruch stehen, wie Löhne, Flexibilität (Arbeitszeit, Arbeitsintensität) und Gewerkschaftsrechte.

"Corporate Social Responsibility (CSR)"-Praktiken von Handelsunternehmen befördern teils diese Fragmentierung der Beschäftigung. Einerseits verlangen die Unternehmen von den Zulieferern hohe Produktqualität bei möglichst niedrigen Kosten sowie Zuverlässigkeit und schnelle Lieferzeiten. Andererseits fordern sie auch die Einhaltung von CSR-Standards und arbeitsrechtlichen Vorschriften. Letzeres wird aber teils durch ihre eigenen Beschaffungspraktiken verunmöglicht, was dazu führt, dass die Randbelegschaft (mit irregulären Verträgen und in Subunternehmen) aus dem CSR-Radar weitgehend ausgeblendet wird.

Lokale institutionelle Strukturen und Regulierungen beeinflussen den Umgang mit dem Druck des "Fast Fashion"-Modells. Während in Marokko ArbeiterInnen in regulären und irregulären Beschäftigungsverhältnissen oft nebeneinander in derselben Fabrik arbeiten, setzen Bekleidungsfirmen in Rumänien häufig auf Subunternehmen, weil arbeitsrechtliche Vorschriften in den Kernunternehmen stärker kontrolliert werden. In dieser Hinsicht bietet das kommunistische Erbe wichtige Anknüpfungspunkte wie etwa gewerkschaftliche Strukturen und Arbeitsinspektorate, um grundlegende Arbeitsrechte durchzusetzen.

In Marokko hat das Label "Fibre Citoyenne" zu einem erhöhten Bewusstsein für CSR-Aktivitäten geführt, weil Zara nun die Teilnahme daran für die Abnahme von Produkten voraussetzt. Diese Strukturen haben bis zu einem gewissen Grad zum Schutz von regulären Kernbeschäftigten beigetragen, allerdings bleibt die Randbelegschaft weitgehend ungeschützt.

Welche politischen Schlussfolgerungen ergeben sich daraus? Wenn es Handelsunternehmen ernst mit ihren CSR-Bemühungen meinen, müssen ihre CSR-Standards in ihr Kerngeschäft und ihre Beschaffungspraktiken integriert werden. Weiters sollten sie ihre unilateralen CSR-Initiativen aufgeben und sich stattdessen in einem Dialog mit lokalen Stakeholdern, u. a. Gewerkschaften bzw. ArbeiterInnenorganisationen, NGOs, Arbeitsinspektoraten und anderen öffentlichen Regulierungseinrichtungen begeben, um verbindliche Standards zu entwickeln und durchzusetzen. Zivilgesellschaftliche AkteurInnen sollten weiterhin auf die Einhaltung grundlegender Rechte pochen und dafür in breiten Bündnissen mobilisieren. Die Kooperation von AkteurInnen auf regionaler oder internationaler Ebene sowie die Rolle von kollektiven AkteurInnen zur Stärkung ihrer Verhandlungsmacht ist auf jeden Fall zentral.

Neben diesen Initiativen braucht es aber einen internationalen verbindlichen Rechtsrahmen, der Handelsunternehmen für die Verletzung von ArbeitnehmerInnenrechten in globalen Produktionsnetzwerken zur Rechenschaft zieht. Die derzeitige internationale institutionelle Schieflage, die rechtlich bindende Mechanismen hinsichtlich Handel und Investitionen favorisiert, während die Einführung von verbindlichen Abkommen bezüglich ArbeitnehmerInnenrechten hinterherhinkt, muss geändert werden.


LESETIPPS:

- Plank, Leonhard/Staritz, Cornelia/Rossi, Arianna (2012): Workers and Social Upgrading in "Fast Fashion": The Case of the Apparel Industry in Morocco and Romania. ÖFSE Working Paper 33. Wien: ÖFSE.

- Lukas, Karin/Plank, Leonhard/Staritz, Cornelia (2010): Securing Labour Rights in Global Production Networks - Legal Instruments and Policy Options. Bericht für das "Netzwerk Wissenschaft" der Arbeiterkammer Wien, Wien, Juli 2010.


ZU DEN AUTOR_INNEN:

Leonhard Plank arbeitet am Department für Raumplanung an der Technischen Universität Wien; Cornelia Staritz an der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 123, 1/2013, S. 22-23
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2013