Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

ARBEIT/523: Bangladesch - Überlebende des Savar-Unglücks melden sich zu Wort (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2013

Bangladesch: 'Keine Rückkehr in die Todesfalle' - Überlebende des Savar-Unglücks melden sich zu Wort

von Naimul Haq


Bild: Naimul Haq/IPS

Viele Opfer des Fabrikunglücks in Bangladesch haben Gliedmaßen verloren
Bild: Naimul Haq/IPS

Dhaka, 21. Mai (IPS) - "Es war dunkel und heiß und überall dieser erstickende Staub. Es roch nach Verwesung", berichtet Nasima, die bis zu ihrer Rettung vier Tage lang unter den Trümmern des zusammengestürzten Fabrikgebäudes im bangladeschischen Savar begraben war. Bergungsteams fanden sie und vier weitere Kolleginnen zwischen der fünften und sechsten Etage der achtstöckigen Textilfabrik in der Vorstadt von Dhaka.

"Ich sah, wie eine Kollegin nach der anderen in wenigen Metern Entfernung starb", sagt Nasima. Die 24-Jährige hatte seit 20 Tagen für 'Ether Garments' gearbeitet, als es Ende April im 'Rana Plaza'-Fabrikgebäude in Savar zum schlimmsten Industrieunfall des Landes kam. Mindestens 1.127 Beschäftigte starben, 2.500 konnten gerettet werden.

Die 19-jährige Shapla wird derzeit im Nationalen Institut für Traumatologie und Orthopädische Rehabilitation (NITOR) in Dhaka behandelt. Als sie nach Stunden, eingeklemmt zwischen der zweiten und dritten Etage des Unglücksgebäudes und "umgeben von Blut und Leichen", geborgen wurde, musste ihr der linke Arm abgenommen werden.

Shaplas Mann Mehedul, der als Näher auf dem gleichen Stockwerk tätig war, entkam der Katastrophe durch einen Zufall. Als das Textilwerk zusammenbrach, befand er sich auf der Rückseite des Gebäudes. Eingestürzt war die Vorderseite.


"Ich wünschte, ich wäre tot"

Die 21-jährige Razia, die mit 121 Überlebenden im NITOR medizinisch versorgt wird, wünschte, sie wäre tot. "Jemand soll mir Gift geben. Ich will sterben", sagt die 21-Jährige, die 14 Stunden lang lebendig begraben war. Wie sie berichtet, hatte sie noch am Vortag des Unglücks mit einigen anderen Mädchen über die Entscheidung der Fabrikbetreiber diskutiert, das Fabrikgebäude trotz Rissen im Mauerwerk offen zu halten.

Als die Familien der verschütteten Textilarbeiter noch verzweifelt in den Trümmern nach ihren Angehörigen suchten, wurde bekannt, dass Ingenieure die Betreiber der Fabrik aufgefordert hatten, das Gebäude am 24. April zu schließen. Doch die Betriebsleitung schlug die Empfehlungen in den Wind und drohte den Beschäftigten mit Entlassung, sollten sie nicht zur Arbeit erscheinen.

Shamsul Alam, ein 28-jähriger Qualitätskontrolleur, wird wohl nie wieder laufen können. Seine Wirbelsäule wurde von den herabstürzenden Gesteinsmassen schwer beschädigt. Die Ärzte wollen ihn nicht operieren. "Viel zu gefährlich", sagen sie. "Ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, lebendig in einem Sarg zu liegen", meint der Patient und beschreibt das Grauen, eingeschlossen zu sein und Menschen beim Sterben zuhören zu müssen.

Bei anderen Opfern hat das erlittene Trauma alle Erinnerungen an die Tragödie ausgelöscht. Der Blick der ehemaligen Textilarbeiterin Runu ist leer. Wie ihre Schwester berichtet, hatte Runu zwei Tage lang unter den Geröllmassen gelegen, bevor sie lebend geboren werden konnte.

Viele, die sich erinnern können, wollen nie wieder einen Fuß in die Fabrik setzen. "Meine Rettung war eine Wiedergeburt", fügt eine Arbeiterin namens Shakhina hinzu. "Ich werde nicht den Fehler machen, noch einmal so eine Todesfalle zu betreten."

Die Tragödie hat die großen Akteure der bangladeschischen Textilindustrie offenbar aufgerüttelt. "Das Unglück war ein Weckruf", bestätigt A. K. M. Salim Osman, Vorsitzender der Bangladeschischen Hersteller und Exporteure von Maschenwaren (BKMEA). "Wenn wir weiterhin die strikten Sicherheitsstandards missachten, wird es ein neues Unglück geben."


Druck auf die beteiligten Unternehmen

Osman zufolge ist das neue Bangladeschische Gebäude- und Feuerschutzabkommen ein Schritt in die richtige Richtung. Im Rahmen des Abkommens wird ein Dreiparteienausschuss aus Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und einem neutralen und von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ernannten Inspekteur die Fortschritte bei der Umsetzung der Sicherheitsstandards überwachen, wie in der Rahmenkonvention über Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz von 2006 und anderen Abkommen vorgesehen.

"Den Bestimmungen zufolge müssen alle Fabrikgebäude, bei denen kleinere und größere Risse festgestellt werden, künftig sofort geschlossen werden, bis die Schäden behoben sind", erläutert Mohammad Shafiqul Islam, ehemaliger Vorsitzender der Bangladeschischen Vereinigung der Bekleidungshersteller und Exporteure (BGMEA). Die BGMEA ist der größte Branchenverband.

Doch nicht Bangladeschs Textilindustrie, die 20 Milliarden US-Dollar jährlich erwirtschaftet und somit der größte Devisenbringer des südasiatischen Landes ist, auch multinationale Bekleidungsfirmen wie H&M, Gap, Walmart und Primark, die den größten Teil ihrer Produktion aus Kostengründen nach Bangladesch verlagert haben, sind unter Handlungsdruck geraten. Bangladeschische Arbeitsrechtsorganisationen hoffen nun, dass die jüngste Tragödie sie veranlassen wird, auf die Einhaltung grundlegender Arbeitsrechte und Sicherheitsstandards in den Zulieferfirmen zu achten.

Gewerkschaften in den USA dringen verstärkt darauf, dass Unternehmen des Landes ein verbindliches Sicherheitsabkommen für Fabriken in Bangladesch unterzeichnen. Zehn große europäische Bekleidungshersteller haben diesen Schritt bereits vollzogen. Der größte europäische Textilkonzern H&M schloss sich am 13. Mai der Übereinkunft an. Einen Tag später folgte die Firma Benetton, die ebenfalls ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, nachdem ihre Textilien in den Trümmern der eingestürzten Fabrik gefunden worden waren. (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/05/survivors-of-factory-collapse-speak-out/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2013