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ARBEIT/493: Indien - Zum Niedriglohn ausgebeutet, Krankenschwestern an Privatkliniken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Juli 2012

Indien: Zum Niedriglohn ausgebeutet - Krankenschwestern an Privatkliniken streiken

Von K.S. Harikrishnan



Thiruvananthapuram, Indien, 2. Juli (IPS) - Krankenschwestern in privaten Kliniken in Indien gehen auf die Barrikaden, um gegen die verschlechterten Arbeitsbedingungen zu protestieren. Stein des Anstoßes sind nicht nur die geringen Gehälter, sondern auch die Managementstrategien an den so genannten 'corporate hospitals' - private Kliniken, die sich mehr als Unternehmensmodell statt als medizinische Einrichtung verstehen. Viele wandern mittlerweile in andere Länder aus, wo sie sich bessere Konditionen erhoffen.

Unter den Krankenschwestern, die in der Heimat bleiben, wächst die Unzufriedenheit. Tausende von ihnen versammeln sich seit nunmehr zwei Jahren landesweit zu Demonstrationen oder treten in den Streik, um die Einhaltung von Arbeitsgesetzen einzufordern. Den Krankenhausleitungen wird zudem vorgeworfen, illegale Beziehungen zu Politikern und Regierungsbeamten zu unterhalten.

Krankenschwestern demonstrieren in Indien für höhere Löhne - Bild: © K.S. Hariskrishnan/IPS

Krankenschwestern demonstrieren in Indien für höhere Löhne
© K.S. Hariskrishnan/IPS

Von Mumbai und Neu-Delhi aus haben die Proteste auch auf andere Landesteile übergegriffen. Interessenvertreter der Krankenschwestern führen die Streiks in verschiedenen privaten Kliniken auf lang anhaltende Missstände zurück. Viele Beschäftigte würden am Arbeitsplatz schlecht behandelt, heißt es. Nach Angaben von Jasmin Shaw, der Vorsitzenden der 'United Nurses Association' beschweren sich die Protestierenden vor allem über Kündigungsdrohungen, den Ausfall der Strom- und Wasserversorgung in ihren Unterkünften und die Verletzung arbeitsrechtlicher Bestimmungen, als sie vor einigen Monaten ihre Streiks ausweiteten.

Studien zufolge sind die Arbeitsbedingungen in staatlichen Krankenhäusern zwar besser. Krankenschwestern beschrieben ihre Tätigkeit aber auch dort als überaus anstrengend. In den meisten Krankenhäusern gibt es noch nicht einmal Zimmer, in denen sie sich für den Dienst umziehen oder zwischendurch ausruhen können.


Eine Krankenschwester für 30 bis 50 Patienten

Eine vom nichtstaatlichen Zentrum für Frauenentwicklungsstudien (CWDS) in Neu-Delhi veröffentlichte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass eine Krankenschwester durchschnittlich 30 Patienten versorgen muss. Auf manchen Stationen beträgt das Verhältnis demnach sogar 1:50. Wie weiter aus dem CWDS-Bericht hervorgeht, erfüllen die Unterkünfte zumeist nicht einmal einen Mindeststandard und bieten keine Privatsphäre.

Die Knappheit an Arbeitskräften führt dazu, dass viele Krankenschwestern Überstunden machen müssen, ohne einen geregelten Ausgleich erwarten zu können. Immerhin haben die fortgesetzten Proteste bereits bewirkt, dass einige Häuser angekündigt haben, künftig Überstunden zu bezahlen.

Sree Lekha Nair, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin für CWDS tätig ist, kritisierte, dass sich in dem Bereich zunehmend ein Herren-Diener-Verhältnis herausgebildet habe. "Die Klinikleitungen behalten die Zeugnisse der Krankenschwestern ein, um zu verhindern, dass sie anderswo Arbeit annehmen", sagte sie. Bei Arbeitsbeginn müssten sie sich dazu verpflichten, für einen Zeitraum zwischen zwei und drei Jahren in demselben Hospital zu bleiben.

Nair sieht die größte Herausforderung für den Berufsstand darin, im Kollektiv für die eigenen Rechte zu kämpfen. Beobachter prangern an, dass erfahrene Krankenschwestern oftmals durch Aushilfen ersetzt würden. Damit wolle das Management vermeiden, volle Gehälter zu zahlen.

Laut der Aktivistin Anie Mathew müssten Schwesternhelferinnen auch Spritzen setzen, obwohl sie dies nie gelernt hätten. Wie Mathew weiter kritisierte, gibt es außerdem keinen Mutterschutz. Sobald eine Krankenschwester ihrem Arbeitgeber mitteile, dass sie schwanger sei, könne sie entlassen werden.

Nach Ansicht zahlreicher Betroffener hat der Gesundheitstourismus zu einer Verschlechterung der Lage beigetragen. Krankenschwestern haben sich demnach darüber beklagt, dass die Verantwortlichen für solche Angebote ihnen beispielsweise untersagten, sich während des Dienstes in ihrer Muttersprache zu unterhalten.

"Eine Fünf-Sterne-Atmosphäre in den Krankenhäusern in Neu-Delhi und Mumbai beschneidet das Recht der Schwestern, ihre eigene Sprache zu sprechen. Das ist nicht akzeptabel", kommentierte Shaw.


Gesundheitstourismus boomt

Prognosen zufolge könnte der Gesundheitstourismus in Indien um jährlich 30 Prozent zunehmen und im Jahr 2015 einen Umfang von zwei Milliarden Dollar erreichen. Schätzungsweise 150.000 Menschen kommen jedes Jahr in das südasiatische Land, um die günstigen Dienstleistungen im Gesundheitssektor in Anspruch zu nehmen.

Experten machen zudem gesellschaftliche Hierarchien und die Ungleichbehandlung der Geschlechter in Indien dafür verantwortlich, dass die Krankenschwestern zurzeit einen so schweren Stand haben. So blickten am europäischen Lebensstil orientierte Unternehmer häufig auf Krankenschwestern herab, zumal deren Ausbildung in Indien nicht so anerkannt sei wie das Training in westlichen Ländern.

Die meisten Krankenschwestern, die im Ausland neue berufliche Chancen suchen, gehen in die USA sowie nach Australien, Neuseeland, Kanada, Großbritannien, Deutschland und in die Golfstaaten. Zu der genauen Zahl der ausgewanderten Krankenschwestern liegen aber keine Angaben vor. Die meisten Schwestern, die ins Ausland gehen, stammen aus dem südindischen Bundesstaat Kerala.

"Viele junge Frauen lassen sich inzwischen vor allem deshalb zu Krankenschwestern ausbilden, weil sie die lukrativen Verdienste und besseren Arbeitsbedingungen in anderen Ländern im Blick haben", sagte Irudaya Rajan, der im Zentrum für Entwicklungsstudien in der Stadt Thiruvananthapuram arbeitet.

Ein hochrangiger Vertreter der Gesundheitsbehörde in Chennai im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu warnte davor, dass in dem Bereich bald 50 Prozent der benötigten Arbeitskräfte fehlen würden. (Ende/IPS/ck/jt/2012)

Links:
http://www.cwds.org/research.htm#Gender_and_Migration:_Negotiating_Rights_%C2%A0A_Women%E2%80%99s_Movement_PerspectiveA_Women%E2%80%99s_Movement_Perspective
http://www.ipsnews.net/2012/06/some-nurses-take-flight-others-take-to-the-streets/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2012