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ARBEIT/465: Resultate und Entwicklungen der "World Class Cities for All"-Kampagne (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 116, 2/11

Diese Weltmeisterschaft ist nicht für uns arme Leute!
Resultate und Entwicklungen der "World Class Cities for All"-Kampagne

von Nora Wintour


Megasportevents werden von Regierungen und Unternehmen als "golden opportunity", als einmalige Chance, betrachtet. Sie können aber auch die Lebensgrundlage von StraßenverkäuferInnen zerstören. StraßenverkäuferInnen kommen aus den ärmsten urbanen Gemeinden und sind größtenteils Frauen. 2010 sammelten die südafrikanischen StraßenverkäuferInnen Erfahrungen im Umgang mit dem Sportgroßereignis der Fußball-WM. Dieses Wissen ging weiter an die KollegInnenschaft in Indien(1) und Brasilien, wo 2014 die nächste Fußball-WM ausgetragen wird.


In Südafrika arbeiten viele StraßenverkäuferInnen sieben Tage die Woche, sie verdienen rund 20 US-Dollar pro Tag. "Ich merke nichts Positives von der Weltmeisterschaft. Es ist schwer für uns StraßenverkäuferInnen, ich persönlich spüre überhaupt keine Veränderung. Ich meine, Weltmeisterschaft oder nicht, es ist noch immer dieselbe schlechte Situation. Wir dürfen nicht in der Nähe des Stadions sein, ich habe keine Möglichkeit, den TouristInnen etwas zu verkaufen. Ich habe keine Lager für meine Waren, und ich habe Angst um meine Sicherheit. Deshalb glaube ich, dass die Weltmeisterschaft nicht für mich ist." So Mama Julia, Essenverkäuferin aus Port Elizabeth (Südafrika).


Die Anfänge

StreetNet International ist eine Organisation von und für Straßen- und MarktverkäuferInnen. Die Organisation hat mehrere Richtlinien verabschiedet, um Gendergleichheit zu fördern. Die "World Class Cities for All"-Kampagne wurde 2006 von StreetNet und anderen Organisationen von SlumbewohnerInnen, MigrantInnen, Flüchtlingen und SexarbeiterInnen gegründet, um die Forderungen von informellen ArbeiterInnen zu unterstützen. In Südafrika hat die WCCA-Kampagne alle Gastgeberstädte aufgefordert, mit den lokalen Verkäuferorganisationen zusammenzuarbeiten und ihnen zu ermöglichen, Geschäfte zu machen. 2009 war ein Hauptziel der Kampagne die Verhinderung der Zerstörung der hundert Jahre alten Warwick-Märkte im Zentrum von Durban, wo ungefähr 10.000 informelle HändlerInnen tätig sind. Die Kampagne verband eine gerichtliche Klage mit Protestaktionen, und die Bemühungen waren erfolgreich.

StreetNet begann daraufhin einen massiven Werbefeldzug in den Gastgeberstädten der Sportveranstaltungen und organisierte eine Reihe von Workshops zur Abwicklung einer xenophobiefreien Weltmeisterschaft. In vielen Fällen wurden diese von lokalen Kirchen-, Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen unterstützt. 50% der WorkshopteilnehmerInnen sollten Frauen sein.

StreetNet gründete auch "THIEFA Host Cities Watch", eine Datenbank, die katalogisiert, was den (Straßen-)VerkäuferInnen in jeder Gastgeberstadt passierte. Durch die Verbindung mit WIEGO (Women in Informal Employment Globalizing and Organizing) war es StreetNet möglich, die Unterstützung von Mary Robinson, ehemalige UN-Kommissarin für Menschenrechte, und Ela Bhatt, Gründerin der riesigen Organisation "Self Employed Women's Association" (SEWA) in Indien, zu bekommen: Sie schickten dem damaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter die Forderungen von StreetNet.

Während der Weltmeisterschaft 2010 wurde eine Reihe von Treffen geplant, um die Stadtverwaltungen dazu zu drängen, Arbeitsmöglichkeiten für StraßenverkäuferInnen zu schaffen; und man protestierte auch gegen die Kürzung des Sozialbudgets zugunsten von Infrastrukturprojekten für das Sportevent. Dennoch war es schwierig, während des Weltmeisterschaftsmonats den Schwung beizubehalten.


Nichts für uns ohne uns!

Was wurde tatsächlich für StraßenverkäuferInnen in Südafrika erreicht? Die FIFA und die Gastgeberstadtverwaltungen wurden sensibler durch die negative öffentliche Aufmerksamkeit. In manchen Fällen wurde die Anordnung, HändlerInnen zwangsweise zu vertreiben, zurückgenommen. In Kapstadt, Mbombela und Johannesburg hat die Stadtverwaltung schließlich beschlossen, Lizenzen für informelle, HändlerInnen zu vergeben, womit diese in der Nähe der Fan-Parks verkaufen durften. Die Gebühren für diese Lizenzen waren jedoch so hoch, dass nur wenige HändlerInnen sie bezahlen konnten.

Die wahrscheinlich nachhaltigste Errungenschaft war die Stärkung der StraßenverkäuferInnen-Vereinigungen, und auch wenn es nicht möglich war, ein nationales Bündnis zu schaffen, gab es doch Fortschritte. Wesentlich war das Bündnis mit der Gewerkschaft der städtischen BeamtInnen und auch die politische Unterstützung vom Gewerkschaftszentrum COSATU. Marginalisierte (Straßen-)VerkäuferInnen haben erfahren, dass sie durch organisierte Proteste und gezielte Bündnisse Entscheidungen rückgängig machen konnten, die StadtverwaltungsbeamtInnen bereits getroffen hatten. Deshalb auch der Slogan "Nichts für uns ohne uns!"


Weitergabe des Wissens nach Brasilien

StreetNet evaluierte die WCCA-Kampagne in Südafrika und lud dazu die wichtigste Gewerkschaft von Brasilien, CUT, ein. Die Verantwortung für die Kampagne wurde dabei formell an CUT und andere Koordinatorinnen von sozialen Bewegungen weitergegeben. Sie sollten sicherstellen, dass die FIFA nicht ein "Staat im Staat" wird und dass die Investitionen in die Weltmeisterschaft auch sozialen Bereichen zugute kommen.

Es gibt viele potentielle BündnispartnerInnen: So hat die gut organisierte "Nationale Bewegung der brasilianischen AbfallsammlerInnen" (MNCB) ein Konsultationsforum mit der brasilianischen Bundesregierung gegründet. Gemeinsam suchen sie Wege, um die Verantwortung für Müllsammlung während der Spiele an die AbfallsammlerInnen zu übergeben. Wenn (Straßen-)VerkäuferInnen Kooperativen bilden, dann können sie auch von den staatlichen Unterstützungen für soziale solidarische ökonomische Initiativen profitieren. Im Jänner 2011 schrieb die FIFA an die deutsche NGO "KOSA", die mit StreetNet zusammenarbeitet, in einem Antwortbrief, dass ihr die Wahrung der Rechte von urbanen HändlerInnen ein Anliegen sei und dass sie plane, mit dem nationalen brasilianischen Organisationskomitee und den Gastgeberstädten zusammenzuarbeiten, um den informellen Sektor in den Einsatzgebieten zu integrieren. Es gibt Vorschläge, welche innovativen Programme für 2014 entwickelt werden können, darunter sind: Genehmigungen für informelle HändlerInnen an den zentralen Plätzen rund um Stadion und Fan-Parks; Trainingsprogramme zu geschäftlicher Organisation, Hygiene und Gesundheitspflege; spezielle Dienste für informelle HändlerInnen wie Kinderbetreuung; sicherer und subventionierter Transport von den Slums zum Arbeitsplatz; Lagerräume; Verbesserung der ökonomischen Sicherheit und Sozialversicherungsprogramme; Gesundheits- und Unfallversicherung.


Bestandsaufnahme

Ein erster Schritt ist es, in den brasilianischen Gastgeberstädten einen Überblick über bestehende Organisationen von StraßenhändlerInnen und ihren Hauptforderungen zu bekommen. Ein nationales Forum soll eine Liste mit Forderungen erstellen, die der FIFA übergeben wird, und für den Zeitraum bis zur Weltmeisterschaft 2014 soll ein Aktionsplan erstellt werden. An der Spitze der Strategien sollen Genderthemen stehen.

"StraßenhändlerInnen in Brasilien sollten vor der Weltmeisterschaft handeln! Hier haben wir nur von Bedingungen gehört und was uns erlaubt ist zu tun und was nicht (...). Sie müssen ihre Stimmen hörbar machen, bevor alles entschieden ist." - So Mama Majola von der Nelson Mandela Bay Street Vendors Association in Südafrika im Juni 2010.

Übersetzung aus dem Englischen: Claudia DaI-Bianco


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Anmerkung:

(1) Im Oktober 2010 fanden in Neu Delhi (Indien) die XIX. Commonwealth Games statt.


Zur Autorin:

Nora Wintour ist Historikerin und spezialisiert auf lateinamerikanische Gewerkschaftsbewegungen. Sie arbeitet zurzeit als Kampagnenkoordinatorin für StreetNet International. Davor arbeitete sie mit der internationalen Gewerkschaftsvereinigung (ITUC) zu Bildung und Trainingsprojekten, Gewerkschaftsrechten und Gleichheitsthemen. Sie lebt in Genf.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 116, 2/2011, S. 10-11
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2011