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ARBEIT/360: Viele Künstler verdienen wenig - im Alter droht ihnen materielle Armut (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 122/Dezember 2008
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Für fünf Euro die Stunde
Viele Künstler verdienen wenig - im Alter droht ihnen materielle Armut

Von Carroll Haak


Künstler sind mehr als andere Berufsgruppen mit Risiken auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert. Geringe Stundenlöhne, schwankende Einkommen und Phasen von Arbeitslosigkeit schlagen sich auch im Rentenniveau nieder, das entsprechend gering ausfällt. Vielen Künstlern droht daher im Alter materielle Armut. Die Künstlersozialkasse bietet den Betroffenen für das Alter keine ausreichende Absicherung. Aus ihr beziehen die Künstler nur einen Bruchteil ihrer Rente.


Das Künstlersozialversicherungsgesetz feiert 2008 sein 25-jähriges Bestehen. Dass dieses Gesetz nicht nur Befürworter hat, zeigte sich in dem jüngsten Versuch einiger Bundesländer, die Künstlersozialkasse abzuschaffen. Zu bürokratisch für Unternehmer, lautete die Begründung der beantragenden Länder im Bundesrat. Nach einem heftigen Proteststurm der Künstlerverbände und Gewerkschaften sowie Politikern aller Parteien konnte das Vorhaben noch abgewendet werden. Bei Erfolg dieser Initiative wären heute nahezu 160.000 Künstler ohne soziale Absicherung.

Das Künstlersozialversicherungsgesetz ist bis heute die bedeutendste sozialpolitische Errungenschaft für die soziale Absicherung selbstständiger Künstler - übrigens weltweit einmalig. Dieser Sozialversicherungsschutz hat sich insbesondere für die klassischen Selbstständigen wie die Berufsgruppe der bildenden Künstler bewährt. Sie treten in der Regel nicht als Verwerter auf, und es gibt nur in Einzelfällen abhängige Beschäftigungsverhältnisse, so dass sie in besonderer Weise von den Vorteilen dieses Sozialversicherungsschutzes profitieren.


Künstlersozialkasse

Freischaffende Künstler und Publizisten sind über die Künstlersozialkasse pflichtversichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Wie Angestellte zahlen sie für Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung den Arbeitnehmeranteil von 50 Prozent. Der fiktive Arbeitgeberanteil wird über eine Künstlersozialabgabe von den Verwertern (Auftraggebern) mit einem Anteil von 30 Prozent getragen. Die übrigen 20 Prozent dieses Anteils übernimmt der Bund. Berufsanfänger fallen unter einen besonderen Schutz. Auch wenn sie das erforderliche Mindesteinkommen (3.900 Euro/Jahr; Stand: September 2008) nicht erzielen, werden sie in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung versichert. Aufgrund der günstigen Krankenversicherungsbeiträge ist eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse besonders attraktiv.


Seit Anfang der 1990er Jahre steigt die Zahl der Versicherten in der Künstlersozialkasse kontinuierlich. Derzeit sind rund 160.000 freischaffende Künstler und Publizisten dort versichert. Die größte Gruppe sind mit 37 Prozent die bildenden Künstler, die kleinste die darstellenden Künstler. In dieser Berufsgruppe ist die abhängige Beschäftigung die klassische Erwerbsform. Aber auch hier wächst die Zahl der Selbstständigen kontinuierlich. Insbesondere die freien Theaterschaffenden bewegen sich häufig im Graubereich zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung. Im Mittelfeld befinden sich die Musiker und die schreibenden Künstler.

Bereits Ende der 1950er Jahre geriet die prekäre wirtschaftliche und soziale Lage der Künstler und Publizisten in der Bundesrepublik Deutschland in den Fokus des politischen Interesses. Doch erst Anfang der 1970er Jahre (1972 bis 1974) gab es ein umfassendes und bis dato das umfangreichste Forschungsprojekt über die Arbeitsmärkte von Künstlern und Publizisten, der sogenannte Künstlerreport. In Auftrag gegeben wurde dieser vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Die Untersuchung bildete die Grundlage für die Verabschiedung des Künstlersozialversicherungsgesetzes im Jahr 1983. Seitdem gab es allerdings keine weitere systematische Untersuchung der Künstlerarbeitsmärkte in Deutschland - auch, weil es in Deutschland im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern keine Forschungstradition zu dieser Thematik gibt. Die wenigen Studien beschränkten sich auf Teilaspekte der Arbeitsmärkte oder auf einzelne Berufsgruppen.

Hier setzt die Monografie "Wirtschaftliche und soziale Risiken auf den Arbeitsmärkten von Künstlern" an. Sie zeichnet ein aktuelles und umfassendes Bild der wirtschaftlichen und sozialen Risiken von Künstlern sowie der Strategien für deren Prävention und Bewältigung. Weil Künstler traditionell in einem Spannungsverhältnis zwischen Flexibilität und sozialer Sicherheit stehen, gelten Künstlerarbeitsmärkte auch als Trendmesser für zukünftige Entwicklungen auf anderen Teilarbeitsmärkten. So sind zum Beispiel viele Solo-Selbstständige heute mit ähnlichen Arbeitsmarktrisiken wie Künstler konfrontiert. Eine zunehmende Anzahl dieser Solo-Selbstständigen ist nur unzureichend in die sozialen Sicherungssysteme integriert. Wer die Funktionsweise von Künstlerarbeitsmärkten und das Management der dort auftretenden sozialen Risiken kennt, kann neue Risiken auf anderen Teilarbeitsmärkten möglicherweise früher erkennen und zu deren Lösung beitragen.

Das Risiko des Einkommensausfalls durch eine schwankende Auftragslage betrifft selbstständige Musiker ebenso wie freischaffende darstellende oder bildende Künstler. Die bildenden Künstler, die nahezu alle selbstständig arbeiten, sind aber am stärksten von Einkommensrisiken betroffen und verdienen unter den selbstständigen Künstlern am wenigsten.

Fast die Hälfte der bildenden Künstler arbeitet für unter fünf Euro pro Stunde; nur knapp über neun Prozent beziehen einen Nettostundenlohn von über 15 Euro. Die darstellenden Künstler sind ebenso wie die Musiker am stärksten in den mittleren Einkommensgruppen vertreten. Gleichzeitig erwirtschaften immerhin 16 Prozent der selbstständigen darstellenden Künstler Nettostundenlöhne von über 16 Euro.

Darstellende Künstler sind hingegen besonders oft von Erwerbslosigkeit betroffen. Die Beschäftigungsverhältnisse für diese Künstlergruppe sind projektbezogen und daher oft nur von kurzer Dauer. Endet ein Projekt, so enden auch die Beschäftigungsverhältnisse für das künstlerische Personal. Die Zahl der arbeitslosen darstellenden Künstler steigt jeweils etwa in der Jahresmitte, in der Sommerpause, sprunghaft an. In der Vergangenheit konnten die Zeiten zwischen zwei Engagements oft mit Hilfe des Arbeitslosengeldes überbrückt werden. Das ist heute nicht mehr ohne weiteres möglich, denn um Arbeitslosengeld I zu erhalten, müssen darstellende Künstler innerhalb von zwei Jahren mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein; bislang galt ein Zeitrahmen von drei Jahren für die Erfüllung der Ansprüche. Deshalb werden heute viele Künstler zu Arbeitslosengeld-II-Empfängern. Der Bezug von Arbeitslosengeld ist für die soziale Absicherung darstellender Künstler in Nichterwerbsphasen immer noch von zentraler Bedeutung.

Selbstständige Künstler sind außerdem mit einem im Vergleich zu anderen Berufsgruppen erhöhten Risiko der Altersarmut konfrontiert. Problematisch sind die geringen Rentenanwartschaften, die selbstständige Alterseinkünfte von selbstständigen Künstlern Künstler aufgrund der für sie typischen unsteten Erwerbskarrieren erlangen. Das bestehende Alterssicherungssystem setzt aber durchgehende Erwerbs- und Versicherungsverläufe voraus, damit eine hinreichende Absicherung im Alter erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen erfüllt ein Großteil der Künstler nicht. Ihnen droht daher materielle Armut im Alter. Denn im bestehenden System der Alterssicherung werden schwankende Einkommen in der Erwerbsphase nicht ausgeglichen. Die Künstlersozialkasse ist somit ein gutes Beispiel dafür, dass die Einführung einer Pflichtversicherung nicht ausreicht, um eine adäquate Altersabsicherung zu gewährleisten. Für eine ausreichende Alterssicherung wäre ein Mix aus staatlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge notwendig. Aufgrund der geringen Einkünfte bzw. der Einkommensschwankungen können Künstler aber häufig privat nicht ausreichend für das Alter vorsorgen. Die betriebliche Absicherung gilt ohnehin nur für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte.


Alterseinkünfte von selbständigen Künstlern
Bereich


Durchschnittliches
Rentenniveau
(gesamt)
Durchschnittliche
Rente durch KSK*-
Versicherung
Anteile der Anwart-
schaften nach KSVG**
an Gesamtrente
Musik
Bildende Kunst
Darstellende Kunst
680,99 Euro
670,56 Euro
718,10 Euro
79,30 Euro
86,27 Euro
82,36 Euro
11,6 Prozent
12,9 Prozent
11,5 Prozent
Alle selbständigen
Künstler
785,12 Euro

91,79 Euro

11,7 Prozent

* Künstlersozialkasse
** Künstlersozialversicherungsgesetz
Harro Bruns, Datenerhebung und -auswertung an selbstständige Künstler und Publizisten, Wilhelmshaven: Künstlersozialkasse 2004
(unveröffentlicht)


Die Tabelle ermöglicht einen Einblick in die Alterseinkünfte von Musikern, bildenden und darstellenden Künstlern, die in der Künstlersozialkasse versichert sind. Die Tabelle zeigt, dass die Rente selbstständiger Künstler in Deutschland nur zu einem Bruchteil über Beitragszahlungen in die Künstlersozialkasse generiert wird. Das Gros der Anwartschaften kommt aus anderen sozialversicherungspflichtigen Erwerbsverhältnissen - zum Beispiel durch einen Zweitjob, denn Künstler sichern ihr wirtschaftliches Risiko häufig über die Ausübung einer zweiten Erwerbstätigkeit ab. Alternativ stammen die Anwartschaften aus der Zeit vor der Gründung der Künstlersozialkasse. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beitragszahlungen in die Rentenversicherung über die Künstlersozialkasse erst seit 1983 stattfinden, so dass die Künstler über vollwertige Beitragszeiten von maximal 21 Jahren (bis zum Erhebungszeitpunkt im Jahr 2004) verfügen.

Aus einer differenzierteren Betrachtung der monatlichen Altersbezüge wird allerdings ersichtlich, dass das Rentenniveau in den verschiedenen Berufsgruppen stark streut. Es wird deutlich, dass insbesondere die Rentner aus den Bereichen bildende Kunst und Musik kleine Renten beziehen - trotz der Rentenanwartschaften, die sie außerhalb der Versicherungszeiten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz erworben haben. Ihre Rente liegt kaum über dem Niveau des Arbeitslosengeldes, wenn man berücksichtigt, dass zusätzlich zum Bezug von Arbeitslosengeld II Mietzuschüsse gewährleistet werden.

Die Studie zeigt, dass ein Sondersystem innerhalb des bestehenden Sozialversicherungssystems wie das der Künstlersozialkasse für die soziale Absicherung im Alter unzureichend ist. Ein Lösungsansatz wäre die Abkehr vom Sozialschutz, der sich an der abhängigen Erwerbsarbeit orientiert. Damit könnten auch andere Erwerbsgruppen wie zum Beispiel Solo-Selbstständige in die sozialen Sicherungssysteme besser integriert werden. In der aktuellen politischen und wissenschaftlichen Debatte wird über Grundsicherungssysteme diskutiert, die alle Einwohner unabhängig vom Erwerbsstatus in die sozialen Sicherungssysteme aufnehmen. Auch über die Fortentwicklung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung wird nachgedacht, in der alle Personen, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit beziehen, versichert sind.


Carroll Haak studierte Informationswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre und promovierte am Fachbereich Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Von 1998 bis 2007 arbeitete sie am WZB als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung "Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigung". Seit Oktober 2007 ist sie Referentin im Referat "Befragungen zur Alterssicherung" bei der Deutschen Rentenversicherung.
carroll.haak@drv-bund.de


Literatur

Carroll Haak, Wirtschaftliche und soziale Risiken auf den Arbeitsmärkten von Künstlern, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008, 259 S.

Pierre Michel Menger, Kunst und Brot, Die Metamorphosen des Arbeitnehmers, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2006, 97 S.

Deutscher Bundestag, Schlussbericht der Enquete Kommission "Kultur in Deutschland", Regensburg: ConBrio Verlagsgesellschaft 2008, 774 S.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 122, Dezember 2008, Seite 30 - 32
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
Internet: http://www.wzb.eu

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009