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NAHOST/1712: Saudi-Arabien - in den Händen der Vereinigten Staaten von Amerika (SB)


Saudi-Arabien - in den Händen der Vereinigten Staaten von Amerika ...


In Saudi-Arabien verheddert sich der De-facto-Regierungschef, Kronprinz Mohammed bin Salman, zunehmend in Schwierigkeiten. Mit einem unausgegorenen Reformprozeß und drakonischer Brutalität nach innen und außen will der 34jährige Draufgänger einerseits sein Land modernisieren, andererseits die eigene Macht langfristig sichern; geplant soll die Abdankung seines 84jährigen Vaters König Salman und die Ausrufung von MbS zum neuen Monarchen unmittelbar nach dem G20-Gipfeltreffen im November in Riad sein. Entgegen allen hochtrabenden Visionen von Prinz Mohammed sieht sich das Königshaus Saud so gefährdet wie seit langem nicht mehr. Selbst die USA, seit Ende des Zweiten Weltkriegs die Schutzmacht der Saudis, drohen die verwöhnte Prinzenfamilie fallenzulassen.

Der Krieg, den MbS im März 2015 lostrat, kurz nachdem Salman seinen Halbbruder Abdullah als König beerbt hatte, hat sich für die Streitkräfte Saudi-Arabiens zu einer einzigen militärischen Blamage entwickelt. Zwar hat die saudische Luftwaffe das Armenhaus der arabischen Halbinsel in die Steinzeit zurückbombardiert und 28 Millionen Jemeniten in eine schwere Hungersnot gestürzt. Bis heute erweisen sich jedoch die Landstreitkräfte Riads als unfähig, die schiitischen Huthi-Rebellen auf dem Schlachtfeld in die Knie zu zwingen, geschweige denn das eigene Land wirksam vor deren Drohnen und Raketen zu schützen. Aus Angst vor möglichen verheerenden Folgen der Coronavirusepidemie im Jemen haben beide Kriegsparteien dort Anfang April eine Feuerpause vereinbart, die sich bislang als recht brüchig erwiesen hat. Ein anderer nicht unwichtiger Grund, warum die Saudis unverrichteter Dinge aus dem Jemen abziehen wollen, ist, daß sie das mißratene Militärabenteuer im Nachbarland Schätzungen zufolge 200 Millionen Dollar pro Woche kostet.

In Saudi-Arabien selbst greift die Covid-19-Seuche um sich. Zwar hat die saudische Regierung wegen Ansteckungsgefahr die diesjährige Pilgerfahrt nach Mekka und Medina, die Hadsch, ausgesetzt und das Land für ausländische Touristen gesperrt. Dennoch sollen sich mehr als 150 Mitglieder der Königsfamilie mit der Lungenkrankheit infiziert haben. Um das Leben von König Salman zu schützen, soll MbS ihn auf einer einsamen Insel im Roten Meer untergebracht haben. Seit 2017 hat MbS potentielle Rivalen und Gegner am Hof, allen voran den früheren Thronfolger und langjährigen Innenminister Kronprinz Muhammed bin Nayef und den 77jährigen Prinz Ahmed bin Abdulasis Al Saud, den letzten Bruder seines Vaters, unter Hausarrest gestellt. Am 17. April meldete der Londoner Guardian, der gesundheitliche Zustand der 52jährigen Prinzessin Basmah bint Saud bin Abdulasis Al Saud, des letzten der 108 Kinder des Gründers der saudischen Dynastie, die MbS im März 2019 wegen ihres öffentlichen Eintretens für die Menschenrechte in Saudi-Arabien inhaftieren ließ, sei sehr schlecht; ihr drohe der Tod hinter Gittern.

Insgesamt hat sich die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien in den letzten fünf Jahren dramatisch verschlechtert. Zwar hat MbS dem Scheine nach die Regeln für Frauen, was das Auftreten in der Öffentlichkeit betrifft, gelockert und ihnen das Autofahren genehmigt, doch gleichzeitig die wichtigsten Feministinnen des Landes unter fadenscheinigen Vorwänden ins Gefängnis geworfen. In den ölreichen östlichen Provinzen am Persischen Golf mit ihrer schiitischen Bevölkerungsmehrheit, die unter Riads Dauerverdacht der Sympathien für den Iran steht, herrscht Ausnahmezustand. Dort sind Verschleppungen, Folter und Mord durch die Handlanger des Staates an der Tagesordnung. Aus einer neuen Studie, welche die britische Menschenrechtsorganisation Reprieve am 14. April veröffentlicht hat, geht hervor, daß sich seit 2015 in Saudi-Arabien die Zahl der Hinrichtungen im Vergleich zu den letzten fünf Jahren der Regentschaft von König Abdullah von 423 auf 800 fast verdoppelt hat. Unter denjenigen, die bereits per Kopfabhacken hingerichtet worden sind oder denen dieses Schicksal droht, befinden sich nicht wenige Jugendliche, so Reprieve.

Ebenfalls am 14. April meldete das Onlineportal The New Arab die Ermordung eines prominenten politischen Aktivisten durch die saudische Polizei. Bei dem Ermordeten handelt es sich um Abdul-Rahim al-Howeiti, Mitglied des Howeiti-Stamms, der seit Menschengedenken die Region am Roten Meer beiderseits der jordanisch-saudischen Grenze bewohnt. Abdul-Rahim al-Howeiti hatte sich gegen die Pläne von MbS, genau dort im saudischen Nordwesten eine gigantische High-Tech-Stadt namens NEOM zu errichten, ausgesprochen und sich gegen die Beschlagnahmung der traditionellen Ländereien seines Stammes durch die saudische Zentralregierung zur Wehr gesetzt. Im Internet haben Aktivisten Videos veröffentlicht, die zeigen, wie das Haus von Abdul-Rahim Al-Howeiti von Polizeiautos umzingelt wird und es dann zu einer Schießerei kommt. Die Polizei behauptet, daß der NEOM-Gegner die Beamten mit Molotow-Cocktails beworfen habe und die Polizisten lediglich in Notwehr von der Waffe Gebrauch gemacht hätten.

Mitte März hat sich MbS den bislang wohl folgenschwersten Fehler geleistet, als er nach einem Streit über Fördermengen einen Ölpreiskrieg mit Rußland anzettelte. Daraufhin stürzte der Preis für Rohöl auf fast 20 Dollar pro Barrel ab. In Reaktion darauf brachen weltweit die Börsenkurse ein. Es kam zu den höchsten Tagesverlusten an den internationalen Märkten seit der Schuldenkrise 1987. Seit Wochen macht US-Präsident Donald Trump enormen Druck, Moskau und Riad zu einer einvernehmlichen Lösung zu zwingen, die den Ölpreis wieder nach oben treibt. Wie Ökonomienobelpreisträger Paul Krugman am 14. April in der New York Times erläuterte, ist Trumps Intervention im russisch-saudischen Ölpreiskrieg nicht auf die Sorge um die US-Volkswirtschaft, sondern einzig und allein um seine Freunde und Wahlkampfspender bei der amerikanischen Öl- und Gasindustrie, deren Nettoanlagevermögen von 1,8 Billionen Dollar gefährdet sind, zurückzuführen.

Doch nicht nur der US-Präsident selbst, sondern auch die anderen Spendenempfänger des amerikanischen Energiesektors im Kongreß machen für ihre Industrieamigos mobil. Im Repräsentantenhaus wie auch im Senat hat in den letzten Tagen die republikanische Fraktion ähnliche Gesetzesentwürfe eingebracht, die im Falle ihrer Verabschiedung den kompletten Abzug aller amerikanischen Streitkräfte samt deren Raketenabwehrsystemen aus Saudi-Arabien vorsehen. Die aggressive Enttäuschung, mit der die Befürworter dieser Initiative Saudi-Arabiens unglückliches Agieren im Ölpreisstreit mit Rußland kommentieren, erweckt den Eindruck, als habe es sich MbS mit seinen wichtigsten "Freunden" ernsthaft verscherzt. Bereits 2018 hatte Trump vollmundig den Kauf amerikanischer Rüstungsgüter durch Saudi-Arabien mit der beleidigenden Aussage begründet, König Salman könne sich in Riad "keine zwei Wochen ohne den Schutz der USA" an der Macht halten. MbS wäre gut beraten, hier nicht die Probe aufs Exempel zu machen.

18. April 2020


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