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NAHOST/1708: Folterhilfe - Amerika läßt grüßen ... (SB)


Folterhilfe - Amerika läßt grüßen ...


Zur wirtschaftlichen Krise und der Coronavirus-Epidemie kommt im Libanon ein schwerer politischer Skandal hinzu. Ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher, der im Südlibanon während der israelischen Besatzung Menschen verschleppt und gefoltert haben soll, ist der libanesischen Justiz abhanden gekommen: Er wurde bei einer dramatischen Befreiungsaktion mit einem US-Militärhubschrauber außer Landes geflogen. Wie das nur passieren konnte, weiß angeblich niemand. Die gesamte politische Klasse des Libanons einschließlich der Führung der pro-iranischen, schiitischen Hisb-Allah-Bewegung steht dumm da, wäscht die Hände in Unschuld und setzt darauf, daß die peinliche Episode schnell in Vergessenheit gerät.

Im Mittelpunkt der Affäre steht der 57jährige Amer Fakhoury. Dieser hatte während der israelischen Besatzung des Südlibanons, die von 1982 bis 2000 dauerte, als Wachmann im berüchtigten Gefängnis Khiam gearbeitet. Die Haftanstalt wurde von der sogenannten Südlibanesischen Armee (SLA), einer Miliz aus meist christlichen und sunnitischen Kollaborateuren, die als Israels Handlanger vor Ort agierten, betrieben. In Khiam wurden mutmaßliche Gegner der Besatzung und/oder Anhänger der Hisb Allah inhaftiert und zum Teil schwer gefoltert. Als die israelische Armee 2000 den Südlibanon überraschend räumte, setzten sich zahlreiche SLA-Mitglieder aus Angst vor Repressalien und Vergeltungsmaßnahmen nach Israel ab. Fakhoury gehörte zu dieser Gruppe, emigrierte jedoch nach nur kurzer Zeit weiter in die USA.

Dort hat er sich im nordöstlichen Bundesstaat New Hampshire niedergelassen und ein kleines Restaurant namens "Lebanon to go" eröffnet. Obwohl er mit früheren Anträgen auf politisches Asyl gescheitert war, erhielt Fakhoury 2019 aufgrund der Tatsache, daß seine vierte Tochter in den USA geboren wurde, die amerikanische Staatsbürgerschaft. Dadurch geschützt, reiste er im September zum erstenmal seit fast 20 Jahren in den Libanon, um dort Freunde und Verwandte zu besuchen. Bei der Einreise in Beirut wurde Fakhoury der Reisepaß abgenommen - angeblich eine Routineangelegenheit. Doch ein Tag, bevor er das Dokument beim Außenministerium in Beirut zwecks Ausreise wieder abholen wollte, erschien in der libanesischen Presse ein aufsehenerregender Bericht über das Foltergefängnis Khiam und Fakhourys Beteiligung an den Vorgängen dort. In der Folge wurde vom Militärtribunal Anklage erhoben und Fakhoury verhaftet.

Daheim in den USA hat die Demokratin Jeanne Shaheen, Senatorin von Fakhourys Heimatstaat New Hampshire, den Fall aufgegriffen. Noch vor Weihnachten hat sie zusammen mit dem reaktionären Republikaner Ted Cruz aus Texas dem Senat einen auf Casus Fakhoury zugeschnittenen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Verhängung schwerer Wirtschaftssanktionen gegen alle Personen und Institutionen des Libanons vorsah, die in die angeblich "illegale Inhaftierung, Festnahme oder Mißhandlung eines US-Bürgers" verwickelt seien. Während in den USA die Familie Fakhourys eine Kampagne für seine Freilassung startete, meldeten sich bei den libanesischen Medien zahlreiche Personen, die nach eigenen Angaben damals während der israelischen Besatzung Südlibanons im SLA-Gefängnis in Khiam gefoltert worden waren.

Der Prozeß schleppte sich zunächst dahin, nicht zuletzt weil Fakhoury aufgrund einer Krebserkrankung angeblich nicht vernehmungsfähig war. Dazu kamen ein komplizierter Streit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, ob der Beschuldigte nicht durch ein libanesisches Amnestiegesetz aus dem Jahr 2018 für Vergehen während der Zeit der israelischen Herrschaft über Südlibanon rechtliche Immunität genoß. Während die Verteidigung behauptete, Fakhoury wäre damals in Khiam lediglich für die Logistik zuständig gewesen, meinte die Staatsanwaltschaft, er hätte persönlich an Verschleppungen teilgenommen, also Taten, deren Bestrafung durch besagtes Amnestiegesetz nicht aufgehoben oder ausgesetzt worden wäre.

Bis zur Klärung dieser Fragen hat am 17. März das zuständige Militärtribunal die Freilassung Fakhourys auf Kaution angeordnet. In Reaktion auf die Entscheidung hat am 18. März ein Bezirksgericht im Südlibanon die Ausreise des Verdächtigen verboten. Am 19. März kam es zu der spektakulären Wendung. Während in ganz Beirut Ausgangssperre zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus herrschte, landete - für Zehntausende Menschen gut sichtbar - auf dem Dach der US-Botschaft in der libanesischen Hauptstadt ein US-Militärhubschrauber vom Typ Osprey, nahm Fakhoury auf und flog davon, entweder nach Israel oder zu einem US-Flugzeugträger, der hinter dem Horizont irgendwo im östlichen Mittelmeer kreuzte.

In Libanon hat das Entkommen des "Schlächters von Khiam" hohe Wellen geschlagen. Der Leiter des Militärtribunals ist aus Protest gegen die ganze Posse zurückgetreten. Die Opfer von Khiam, die auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen Fakhourys hofften, sind bitter enttäuscht. Von Absprachen oder Vorkenntnissen bezüglich der Operation zur Flucht Fakhourys will niemand in der libanesischen Politik etwas wissen. Ex-Außenminister Gebran Bassil, der Medienberichten zufolge bereits vor Monaten mit dem US-Diplomaten David Hale über einen Austausch Fakhourys gegen Qassem Tajjedine, einem libanesischen Geschäftsmann, der aktuell wegen Hisb-Allah-Verbindungen in den USA im Gefängnis sitzt, verhandelt haben soll, gab sich völlig ahnungslos. Hisb-Allah-Chef Hassan Nasrallah, der sich wegen der Gefahr eines israelischen Attentats gegen seine Person stets im Untergrund aufhält, sah sich zu einem Fernsehauftritt gezwungen, um den Spekulationen über einen Deal seiner Organisation mit Washington entgegenzutreten. Dafür haben am 21. März Unbekannte einen früheren Kameraden von Fakhoury, Antoine Hayek, vor seinem Lebensmittelladen in der Ortschaft Mieh Mieh, nahe der südlichen Hafenstadt Sidon, erschossen. Im Gegensatz zu Fakhoury war Hayek nach dem Abzug der Israelis im Libanon geblieben und hatte eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen Kollaboration mit den Besatzern abgesessen.

27. März 2020


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