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NAHOST/1707: Iran - der Druck nimmt zu ... (SB)


Iran - der Druck nimmt zu ...


In keinem Land - von Italien abgesehen - wütet die COVID-19-Pandemie aktuell so verheerend wie im Iran. Die 2018 von US-Präsident Donald Trump willkürlich verhängten völkerrechtswidrigen Sanktionen, die den Handel des Irans mit dem Ausland schwer bis unmöglich machen, haben der Wirtschaft der Islamischen Republik schweren Schaden zugefügt. 2019 schrumpfte das iranische Bruttoinlandsprodukt um 9,5 Prozent. Als die Regierung in Teheran im November den Benzinpreis drastisch erhöhte, um den Staatshaushalt kurzfristig zu sanieren, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, bei denen Hunderte von Menschen ums Leben kamen. Am 17. März zogen die USA die Sanktionsschraube in der Hoffnung noch weiter an, mit Hilfe des Corona-Virus' das "Mullah-Regime" in Teheran doch noch stürzen zu können.

Am 19. Februar war in der iranischen Pilgerstadt Qom der erste COVID-19-Fall gemeldet worden. Trotzdem haben die iranischen Behörden zunächst wenig bis gar nichts gegen die Ausbreitung der Seuche unternommen. Zu wichtig erschien der Führung in Teheran die Durchführung der Parlamentswahlen, die wie geplant am 21. Februar stattfanden. Bei den Wahlen setzten sich die konservativen Kräfte nicht zuletzt deshalb durch, weil die Wahlkommission im Vorfeld die Kandidatur vieler politischen Verbündeten des gemäßigten Präsidenten Hassan Rohani gar nicht erst zuließen. Man vermutet, daß der Coronavirus zuerst in Qom auftrat, weil in dessen Nähe chinesische Ingenieure eine Solarkraftanlage errichten.

In den letzten Jahren hat sich China trotz oder gerade wegen der US-Sanktionen als verläßlicher Handelspartner des Irans erwiesen. Die Chinesen sind nach wie vor die größten Abnehmer iranischen Öls. Zudem kommt der Iran in Pekings Plänen einer neuen Seidenstraße, die Orient und Okzident verbindet, eine Schlüsselrolle zu. Vielleicht haben die Iraner im Februar den Flugverkehr mit der Volksrepublik deshalb nicht eingestellt, obwohl dies mit Sicherheit die Verbreitung des Krankheitserregers verlangsamt hätte. In den ersten Wochen war das Handeln der Verantwortlichen in Teheran von Widersprüchlichkeit und Zögern gekennzeichnet. Das geistliche Oberhaupt der Islamischen Republik, Ajatollah Ali Khamenei, bezeichnete zwar zu Beginn der Krise das Corona-Virus als Biowaffe der USA, unterschätzte jedoch dessen Gefährlichkeit sträflich. Erst nachdem der Stellvertretende Gesundheitsminister und wenige Tage später ein enger politischer Vertrauter Khameneis dem Corona-Virus erlagen, scheint man in Teheran den Ernst der Lage erkannt zu haben.

Am 12. März, als die Epidemie im Iran allmählich außer Kontrolle geriet, setzte Khamenei zur Koordinierung der Bekämpfungsmaßnahmen Generalmajor Mohammad Bagheri ein, den Oberkommandierenden sowohl der regulären Streitkräfte als auch der Revolutionsgarden. Seitdem streiten Bagheris Leute mit der zivilen Führung um die richtige Vorgehensweise. Das Militär plädierte für Ausgangssperren und Reisebeschränkungen. Doch wegen des iranischen Neujahrsfests am 21. März lehnte die Rohani-Administration dies ab. Deshalb kam es im Iran am dritten Märzwochenende zum Chaos. An einzelnen Punkten versuchten Soldaten und Revolutionsgardisten, die Reisewelle einzuschränken und die städtische Bevölkerung vom Besuch der Verwandten auf dem Land abzuhalten. In Badeort Bandar Abbas am Persischen Golf wurden Autos mit Teheraner Kennzeichen von den Einheimischen mit Steinen beworfen - ein deutliches Signal, daß im Iran die nackte Angst vor der Erkrankung am Corona-Virus grassiert. Bei mehr als 20.000 amtlich registrierten Infizierten und über 1600 Toten - die Dunkelziffer beider Statistiken dürfte höher liegen - ist das allzu verständlich.

Bereits Anfang März ließ das Justizministerium in Teheran wegen der schlechten hygienischen Bedingungen in den iranischen Gefängnissen 70.000 Insassen frei. Bei seiner Neujahrsrede an das Volk entließ Khamenei weitere 85.000 Gefangene in die Freiheit und amnestierte 10.000 von ihnen. Ungeachtet solcher sinnvollen Maßnahmen fällt es der Führung in Teheran schwer, die Lage in den Griff zu bekommen. Die schlecht ausgerüsteten Krankenhäuser sind überlaufen. Wegen des drastischen Mangels an hygienischen Mitteln und Schutzkleidung haben sich Berichten zufolge viele Ärzte und Krankenschwestern mit COVID-19 infiziert und stecken weitere Kollegen und Patienten an, sofern sie sich nicht in die Selbstquarantäne begeben. Einzelne Mediziner warnen bereits vor bis zu 3,5 Millionen Opfern des Corona-Virus im Iran. In Qom, das sich als Ground Zero der Corona-Epidemie im Iran erwiesen hat, lassen die Behörden Massengräber ausheben. Gleichzeitig müssen dort Polizei und Militär gewaltsam gegen schiitische Fundamentalisten vorgehen, die sich partout mit der Schließung zweier wichtiger Schreine, die traditionell als wundersame Heilstätten ähnlich dem katholischen Walfahrtsort Lourdes in Südfrankreich gelten, nicht abfinden wollen. Erstmals seit der Islamischen Revolution 1979 sieht sich Irans oberste Geistlichkeit seitens der religiösen Fanatiker dem Vorwurf ausgesetzt, vom Glauben abgefallen zu sein.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß die Scharfmacher in Washington das "Regime" in Teheran wanken und sich selbst ihrem Ziel, eine pro-westliche Regierung im Iran einzusetzen, nahe sehen. Seit Monaten wirft die Trump-Regierung den Iranern vor, hinter der Welle der Raketenangriffe auf US-Militärstützpunkte im Irak zu stecken. Mit dieser Begründung ließ Trump am 3. Januar mittels eines CIA-Drohnenangriffs den Oberkommandierenden der Al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, Qassem Suleimani, bei einem Geheimbesuch in Bagdad umbringen. Seitdem reißen die Raketenangriffe irakischer Aufständischer auf amerikanische Ziele und die Vergeltungsschläge der US-Luftwaffe nicht mehr ab. Mit Hinweis auf die Raketenangriffe im Irak hat vor einer Woche US-Außenminister Mike Pompeo die aus humanitären Gründen erhobene Forderung Chinas, Rußlands und Frankreichs nach Aussetzung der Wirtschaftssanktionenen gegen den Iran ausgeschlagen und statt dessen weitere verhängt.

Am 22. März berichtete die New York Times unter der Überschrift "As Iran Reels, Trump Aides Clash Over Escalating Military Showdown" über den aktuellen Streit innerhalb der Trump-Administration über die richtige Iran-Politik. Demnach haben sich nach den jüngsten Raketenangriffen und dem Tod zweier US-Soldaten im Irak die Falken in der Trump-Regierung offen für militärische Vergeltungsschläge gegen Ziele im Iran stark gemacht. Aus Sorge um die zu erwartende negative Reaktion der Weltöffentlichkeit auf eine derart dramatische Kriegshandlung mitten in der Corona-Pandemie hörte Trump diesmal auf den Rat der Tauben, in erster Linie vertreten durch Verteidigungsminister Mark Esper und Generalstabschef Mark Milley.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß es sich - von Mike Pompeo einmal abgesehen - bei den Verfechtern einer militärischen "Lösung" des Problems Iran fast durch die Bank um neokonservative Gesinnungsgenossen des früheren Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton handelt, die dieser in den Nationalen Sicherheitsrat geholt hat. Dabei darf nicht vergessen werden, daß "Bonkers" Bolton die Person war, die 2018 nicht allein Trump erfolgreich zum Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran gedrängt, sondern im selben Jahr auch die von Barack Obama geschaffene Pandemie-Einheit im Nationalen Sicherheitsrat abgeschafft hat, weil sie angeblich überflüssig war.

24. März 2020


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