Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1701: Irak - schlagkräftiger Iran ... (SB)


Irak - schlagkräftiger Iran ...


Nur langsam kommen alle Fakten und Hintergründe des tödlichen US-Drohnenangriffs auf General Qassem Soleimani in Bagdad am 3. Januar und des iranischen Vergeltungsschlags fünf Tage später ans Tageslicht. Inzwischen steht fest, daß die Begründung Washingtons für die Liquidierung Soleimanis, er sei persönlich für den Raketenangriff einer schiitischen Hisb-Allah-Miliz auf einen US-Militärstützpunkt und den Tod eines amerikanischen Soldaten im Dezember im Irak verantwortlich, nicht stimmt. Nach Angaben irakischer Sicherheitskreise kommt praktisch nur die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) für besagten Angriff in der mehrheitlich von Kurden und Sunniten bewohnten nordirakischen Provinz Kirkuk in Frage. Den Angaben der Amerikaner, Soleimani habe weitere Angriffe auf US-Ziele im Irak und am Persischen Golf vorbereitet, widerspricht die Aussage des irakischen Premierministers Adil Abdul Mahdi, der legendäre Oberbefehlshaber der Al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden sei auf dem Weg nach Bagdad gewesen, um eigenhändig die Antwort der Führung in Teheran auf ein Friedensangebot Saudi-Arabiens zu überbringen.

Auch die Umstände der Operation, mit der die Iraner am 8. Januar den Tod Soleimanis gerächt haben, kommen nur peu-à-peu ans Tageslicht. Nur weil bei den Raketenangriffen auf zwei Basen der USA im Irak, der eine in der westlichen Provinz Anbar und der andere nahe der Stadt Erbil in der Autonomieregion der Kurden im irakischen Norden, niemand ums Leben kam, ist die Bedeutung dieses Vorfalls allgemein weit unterschätzt worden. Es handelt sich um den schwersten Angriff eines gegnerischen Staats auf US-Militärinstallationen seit dem Zweiten Weltkrieg, den Weißes Haus und Pentagon zudem quasi ohne Erwiderung hinnehmen mußten.

Daß die Iraner die USA für den Tod Soleimanis bestrafen würden war klar. Wie die Vergeltung aber aussehen würde, wußte niemand. Vorsorglich hatte US-Präsident Donald Trump am 5. Januar mit der Ausradierung der 29 wichtigsten Zeugnisse iranischen Kulturerbes gedroht, sollte es zu tödlichen Angriffen auf US-Einrichtungen im Nahen Osten kommen. Um eine Eskalation zu vermeiden, haben die Iraner kurz nach Mitternacht am 8. Dezember über die Regierungen des Iraks und der Schweiz den Amerikanern eine Warnung vor einer unmittelbar bevorstehenden Vergeltungsoperation zukommen lassen. Dies gab den US-Militärs im Irak die Möglichkeit, sich im Alarmmodus auf den bevorstehenden Angriff vorzubereiten und soweit wie möglich in Sicherheit zu bringen. Seit dem Tod Soleimanis am 3. Januar liefen entsprechende Vorsorgemaßnahmen ohnehin auf vollen Touren.

Etwa eine Stunde nach Eingang der Warnung schlugen ballistische iranische Raketen auf dem Militärflughafen Ain Al Asad in Anbar und auf einem Militärflughafen bei Erbil ein. Die Wahl war offenbar auf diese beiden Einrichtungen gefallen, weil von Ain Al Asad die Drohne gestartet und gesteuert worden sein soll, mittels derer Al Soleimani getötet wurde, und der Stützpunkt bei Erbil für die US-Streitkräfte im Irak ein wichtiger logistischer Knotenpunkt ist. Hinzu kommt, daß die Iraner mit dem Angriff bei Erbil den amerikanischen Militärs klarmachen wollten, daß diese, sollten sie eventuell den schiitischen Süden des Iraks wegen des Widerstands der Bevölkerung räumen, auch im Kurdengebiet voll im Visier der Raketenstreitkräfte der Islamischen Republik blieben.

Bei den eingesetzten Raketen handelte es sich auch um weit gefährlichere Waffen als jene kleinen Katjuscha-Raketen, mit denen Aufständische im Irak immer wieder US-Stützpunkte oder die amerikanische Botschaft in Bagdad beschießen. Bei Erbil wurden zwei Feststoff-Raketen des Typs Fateh-313 eingesetzt, die eine Reichweite von 500 Kilometern haben. Nur eine der beiden Raketen hat dort das Ziel erreicht. Ain Al Assad dagegen wurde von insgesamt elf Qiam-2-Raketen, die eine Reichweite von mehr als 700 Kilometern haben, getroffen. Beide Raketentypen transportieren einen Sprengkopf mit einem Gewicht von mehr als 500 Kilogramm. Alle Raketen wurden demonstrativ offen vom westlichen Iran aus abgefeuert.

Während die eine Rakete in Erbil nicht allzu viel Schaden angerichtet haben soll, sah die Lage in Ain Al Assad ganz anders aus. Dort schlugen die Raketen nicht einfach irgendwo auf dem weitläufigen Gelände ein, sondern trafen punktgenau Gebäude und Einrichtungen, die in unmittelbarer Verbindung mit den US-Drohnenoperationen standen. Neben den schweren strukturellen Schäden wurden auch ein Hubschrauber von Typ Black Hawk und eine Predator-Drohne zerstört. Zudem wurden große Löcher in die Start- und Landebahn gerissen. Das Middlebury Institute of International Studies im kalifornischen Monterey hat Satellitenfotos veröffentlicht, auf denen die getroffenen Gebäude und anderen Ziele gut markiert zu erkennen sind.

Kurz nach dem Angriff erklärte Trump auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos, die "großartigen" US-Streitkräfte hätten die iranische Vergeltungsoperation schadlos überstanden; niemand sei getötet oder verletzt worden, lediglich ein Paar Soldaten auf dem Stützpunkt Ain Al Asad hätten Kopfschmerzen davongetragen. Inzwischen stellen sich die Verluste, die das US-Militär in Ain Al Asad hinnehmen mußte, weit schwerwiegender als ursprünglich angegeben dar. Laut jüngsten Pentagon-Angaben vom 27. Februar mußten insgesamt 101 Soldaten wegen schwerer Gehirnerschütterung und Schädeltrauma behandelt werden. Dutzende von ihnen mußten in den ersten Stunden und Tagen nach dem Vorfall extra zur Behandlung nach Deutschland bzw. in die USA ausgeflogen werden. Und das ungeachtet der Tatsache, daß fast das komplette Personal auf der Basis die entscheidenden Stunden - vom Eintreffen des Warnhinweises bis zur Entwarnung am frühen Morgen - in speziellen Bunkeranlagen ausgeharrt hat. Dies zeigt, wie heftig die Druckwellen der Raketeneinschläge gewesen sein müssen. Der Nahost-Experte David Hearst beschrieb es am 10. Januar bei Middle East Eye zutreffend mit den Worten: "Es besteht kaum ein Zweifel, daß die iranischen Revolutionsgarden in der Lage gewesen wären, massenhafte Verluste auf seiten der US-Streitkräfte herbeizuführen, wenn sie das beabsichtigt hätten." Die Botschaft Teherans war eindeutig und dürfte in Washington angekommen sein.

29. Februar 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang