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NAHOST/1693: Iran - Druck von allen Seiten ... (SB)


Iran - Druck von allen Seiten ...


Noch im September stand der Iran in der Konfrontation mit den USA und Israel recht gut da. Die im Mai 2018 erneut verhängten Wirtschaftssanktionen der USA waren zwar schmerzhaft, aber scheinbar auszuhalten. Im Gegenzug hatte Teheran den Austritt Washingtons aus dem Atomabkommen aus dem Jahr 2015 mit der Reaktivierung bestimmter Teile seines Nuklearprogramms beantwortet. Am 14. September wurden die zwei wichtigsten Raffinerien Saudi-Arabiens am Persischen Golf mittels eines spektakulären Drohnen- und Raketenangriffs entweder der iranischen Streitkräfte selbst oder der mit Teheran verbündeten schiitischen Huthis im Jemen schwer beschädigt. Die iranische Führung fühlte sich so stark, daß Präsident Hassan Rohani auf Anweisung des geistlichen Oberhaupts Ajatollah Ali Khamenei eine von Emmanuel Macron vorgebahnte "zufällige" Begegnung mit Donald Trump am Rande der UN-Generalversammlung in New York ausschlagen konnte. Der Verzicht auf die Gelegenheit, wie dürftig und oberflächlich auch immer, zu einer Aussprache mit dem amtierenden amerikanischen Präsidenten zu gelangen, könnte die Iraner noch sehr teuer zu stehen kommen. Denn seitdem hat sich die geostrategische Position der Islamischen Republik dramatisch verschlechtert.

Anfang Oktober brachen in Bagdad und im schiitischen Südirak große Massenproteste gegen Arbeitslosigkeit, Mißwirtschaft und Korruption aus. Im Mittelpunkt der Kritik standen jene schiitischen Politiker und Parteien, die seit dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins 2003 den Irak mehr schlecht als recht regieren und sich stets auf die Unterstützung Teherans verlassen konnten. Obwohl der Ölexport dem Irak rund sieben Milliarden Dollar monatlich in die Staatskasse spült, kommt davon bei der Bevölkerung zu wenig an. Statt dessen wird im großen Stil der Klientelismus - sei er schiitisch, sunnitisch oder kurdisch - subventioniert. Der konfessionell-ethnische Verteilungsschlüssel, ein Ergebnis jener Verfassung, welche 2006 die US-Besatzungsmacht dem Irak aufoktroyierte, blockiert jeden politischen und wirtschaftlichen Fortschritt und sollte deshalb nach Meinung der meisten Bürger abgeschafft werden.

Als die Massen mit dieser Forderung in Bagdad und im schiitischen Süden auf die Straße gingen - im sunnitischen Westen und Norden sind die Menschen mit den Folgen der nicht gänzlich abgeflauten Bekämpfung der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) befaßt - kam es zu einem Blutvergießen. Ob tatsächlich ausländische Scharfschützen etwa der CIA die Eskalation verursachten, ist unklar. Fest steht, daß die Überreaktion der staatlichen Streitkräfte und der schiitischen Milizen die Zentralregierung in Bagdad schwer in Mißkredit gebracht hat. Für die zahlreichen Opfer, die mit automatischen Waffen niedergemäht worden waren, wird auch Qassem Soleimani, der mächtige Chef der Al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden verantwortlich gemacht, der seit Jahren die militärische Zusammenarbeit Teherans mit dem Verteidigungsministerium in Bagdad sowie mit den schiitischen Milizen koordiniert. Soleimani hatte gleich zu Beginn die USA und Israel hinter den Unruhen ausgemacht und deshalb zu einer Politik der harten Hand geraten.

Das katastrophale Ergebnis beschrieb Patrick Cockburn, der langjährige Nahost-Korrespondent der Londoner Tageszeitung Independent, am 29. November wie folgt: "Die Iraner und ihre irakischen Verbündeten haben in den letzten acht Wochen der Verbindung zwischen den beiden Staaten mehr geschadet als es Washington und Riad im Zuge ihrer jahrelangen Bemühungen vermochten." Zu diesem Zeitpunkt lag die Zahl der Toten bei mehr als 400, der Verletzten bei über 2000 und der Festgenommenen bei mehr als 7000. Die Demonstranten hatten in ihrer Wut das iranische Konsulat in Nadschaf niedergebrannt. Bei allen Protesten war der Ruf nach einem Ende der iranischen Einmischung in die irakische Innenpolitik unüberhörbar.

Nachdem Ende November an einem einzigen Tag 45 Demonstranten in der Stadt Nasirija erschossen worden waren, trat Premierminister Adel Abdul Mahdi endlich zurück. Wochenlang hatte der einstige "Radikalprediger" Muktada Al Sadr, dessen Anhänger zusammen mit den Kommunisten im Bagdader Parlament die größte Fraktion bilden, vergeblich die Ablösung des ganzen Kabinetts gefordert. Die Position Mahdis, dem Soleimani den Rücken stärkte, war schließlich nach dem Massaker in Nasirija unhaltbar geworden. Ali Sistani, der höchste schiitische Würdenträger des Iraks, forderte Konsequenzen und unterstrich damit indirekt zugleich die Souveränität des Iraks.

Dessen ungeachtet sollen laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Agence France Presse vom 3. Dezember hinter den Kulissen in Bagdad Soleimani und Mohammad Kawtharani, der Vertreter der libanesischen Hisb Allah in der irakischen Hauptstadt, fieberhaft nach einem Nachfolger für Abdul Mahdi suchen. Insistiert Teheran auf seinen bislang dominanten Einfluß in der irakischen Innenpolitik, scheint der Bürgerkrieg unter Iraks Schiiten vorprogrammiert. Kommt es dazu, wäre es den USA gelungen, dem Iran im Irak sein eigenes Vietnam zu bescheren. Den letzten Meldungen zufolge versuchen die pro-iranischen Milizionäre, die Protestwelle durch ihre Beteiligung an den Aufmärschen zu ersticken bzw. in eine weniger teheran-feindliche Richtung zu lenken. Ganz funktioniert hat das nicht. Bei einer großen Demonstration auf dem Tahrir-Platz in Bagdad am 5. Dezember wurden mindestens 15 Menschen erstochen, was ein Indiz für die aufgeladene Stimmung ist.

Gleichzeitig sieht sich die Führung in Teheran im Innern mit den schwersten Unruhen seit der Gründung der Islamischen Republik konfrontiert. Auslöser war eine Verdopplung des Benzinpreises, welche die Rohani-Regierung unter Verweis auf die fiskalische Notlage des Staates am 15. November verfügte. Daraufhin kam es im ganzen Land zu Ausschreitungen. Laut Innenminister Rahman Fazli wurden 731 Banken, 140 öffentliche Gebäude, 70 Tankstellen, 307 Privatfahrzeuge, 183 Polizeiautos, 1.076 Motorräder und 34 Krankenwagen schwer beschädigt oder ganz zerstört. Um der ausufernden Gewaltwelle Herr zu werden, gingen die staatlichen Sicherheitskräfte massiv gegen die Protestierer vor und erschossen mindestens 200 von ihnen. Auch hier vermutet Teheran ausländische Kräfte am Werk und hat deshalb fünf Tage lang das iranische Internet lahmgelegt, um den Nachrichtenaustausch der Unruhestifter zu verhindern und die internationale Verbreitung negativer Bilder zu blockieren.

Bestätigung für den Verdacht Teherans, die CIA habe die Protestwelle wenn nicht ausgelöst, so doch zusätzlich angeheizt, kam am 5. Dezember von Brian Hook, dem Iran-Beauftragten der Trump-Regierung. Auf einer Pressekonferenz in der US-Hauptstadt beklagte Hook einerseits, das "Mullah-Regime" habe mehr als 1000 Demonstranten ermorden lassen, doch äußerte er sich andererseits "sehr zufrieden" mit dem bisherigen Verlauf der Proteste. Bei dieser Gelegenheit brüstete sich Hook damit, die USA hätten bereits im Vorfeld Tausende Oppositionelle im Iran mit bestimmten "Technologien" ausgestattet, um eine bessere Koordination ihrer umstürzlerischen Aktivitäten zu gewährleisten. Einen Tag zuvor hatten sich im portugiesischen Lissabon US-Außenminister Mike Pompeo und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu getroffen. Hauptthema der Begegnung war der Iran. Vor der Presse meinte Netanjahu lächelnd, das "Regime" in Teheran "schwanke", die USA und Israel sollten gemeinsam das Schwanken "verstärken".

Entsprechende Maßnahmen werden bereits ergriffen bzw. vorbereitet. Am 5. Dezember meldete das Wall Street Journal, das Pentagon erwäge die Entsendung von 14.000 zusätzlichen Soldaten, dazu Kampfjets und Kriegsschiffen, an den Persischen Golf. Am selben Tag bezichtigten Deutschland, Frankreich und Großbritannien in einem Schreiben den Iran bei den Vereinten Nationen in New York, ballistische Raketen zu testen, die sich als Träger von Nuklearsprengköpfen eigneten. Damit haben die EU-3 ihre vermeintliche Vermittlerrolle im Atomstreit zwischen Teheran und Washington endgültig aufgegeben. Das gemeinsame diplomatische Vorgehen von Berlin, London und Paris gegen Teheran geschah nur zwei Tage, nachdem israelische Stellen behauptet hatten, die Iraner würden in größerer Zahl ballistische Raketen im Irak bunkern, um im Kriegsfall vom Westen des Zweistromlands aus Israel treffen zu können. Die Unruhen im Irak und im Iran sind offenbar lediglich die sichtbarsten Anzeichen einer äußerst gefährlichen Eskalation, die demnächst in einen offenen Krieg übergehen könnte.

8. Dezember 2019


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