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NAHOST/1689: Iran - Europas Opportunität ... (SB)


Iran - Europas Opportunität ...


Wer sagt, die große Koalition aus CDU und SPD in Berlin sei handlungsunfähig oder am Ende, der irrt sich. Jedenfalls scheinen die SMS-Meldungen der christdemokratischen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer beim sozialdemokratischen Außenminister Heiko Maas angekommen zu sein. Knapp zwei Wochen, nachdem die designierte Nachfolgerin Angela Merkels öffentlich die Rückkehr Deutschlands als weltweit agierende, militärische "Gestaltungsmacht" auf der internationalen Bühne gefordert hatte, setzte Maas am 11. November den Impuls der ehemaligen Ministerpräsidentin des Saarlands um. Wegen vermeintlicher Verstöße des Irans gegen das 2015 von ihm, den fünf UN-Vetomächten - China, Frankreich, Großbritannien, Rußland und USA - und Deutschland unterzeichneten Atomabkommen drohte Maas am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel dem "Regime" in Teheran mit schweren wirtschaftlichen Sanktionen. "Ansonsten" würden sich Deutsche, Briten und Franzosen "alle Mechanismen vorbehalten, die in dem Abkommen festgelegt" seien.

Was als Zeichen der Willensstärke und Handlungsbereitschaft der wiedererwachten Großmacht BRD verstanden werden sollte, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als absolutes Armutszeugnis. Die USA sind diejenige, die auf Veranlassung von Präsident Donald Trump und seines damaligen Nationalen Sicherheitsberaters, des notorischen Kriegstreibers John Bolton, im Mai 2018 einseitig das Joint Comprehensive Plan Of Action (JCPOA) aufgekündigt haben und seitdem den Iran mit drakonischen Finanz- und Handelssanktionen belegen, welche die Volkswirtschaft der Islamischen Republik erheblich schädigen und Millionen von Menschen dort in akute Überlebensnot gestürzt haben.

Zur Begründung des selbstherrlichen Schritts griffen die Verantwortlichen in Washington auf die extrem einseitige, israelfreundliche These zurück, wonach die militärische Hilfe des Irans für die Regierung Syriens im "Bürgerkrieg" gegen ausländische Dschihadisten, seine diplomatische Unterstützung für die schiitischen Huthis des Jemens im Kampf gegen die Invasionsarmee Saudi-Arabiens, seine Waffenbruderschaft mit der libanesischen Hisb Allah, seine moralische Rückendeckung für die bedrängte palästinensische Bevölkerung im Westjordanland und Gaza allesamt Belege für Teherans "bösartigen Einfluß" in der Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf seien.

Nun ja, gegenseitige Beschimpfungen der Iraner und Amerikaner sind seit dem Sturz des pro-amerikanischen Schahs infolge der Islamischen Revolution 1979 eine fest Größe der internationalen Politik. Für Teheran sind die USA "der große Satan", für Washington stellt der Iran wiederum den "Hauptförderer des internationalen Terrorismus" dar. Fest steht jedoch, daß sich die Iraner penibel an das Atomabkommen gehalten haben. Der Austritt der USA dagegen war ein klarer Verstoß. Doch statt die Trump-Regierung zu bestrafen, haben die EU-3 die geschädigte Partei, ihren Vertragspartner Iran, völlig im Stich gelassen. Während massenhaft europäische Großkonzerne aus Angst vor Sekundarstrafen der US-Amerikaner sich vom Geschäft mit dem Iran zurückzogen und bereits angelaufene Projekte stornierten, haben Berlin, London und Paris Monate mit der Installierung eines Clearinghouses namens INSTEX verbracht, die Glaubwürdigkeit eines solchen Instituts, das einen sanktionsfreien Handel zwischen dem Iran und der EU garantieren sollte, aber niemals unter Beweis gestellt. Genausowenig ernst war offenbar auch der Vorschlag Frankreichs gemeint, eine Kreditlinie von 15 Milliarden Dollar einzurichten, um den Verkauf iranischen Öls wieder anzukurbeln.

Angesichts des durchsichtigen Doppelspiels der Europäer, die nach dem Austritt der USA ihren eigenen Verpflichtungen nach dem JCPOA bestenfalls ansatzweise nachgekommen sind, hat der Iran nach einem Jahr des wohlwollenden Stillhaltens begonnen, seine Regreßmöglichkeiten gemäß des Vertrages auszuschöpfen. Als Antwort auf nicht-eingehaltene Verpflichtungen sowohl der USA - Austritt - als auch der EU-3 - fehlende wirtschaftliche Zusammenarbeit - haben die Iraner in kleinen Schritten ausgesetzte Teile ihres Atomprogramms reaktiviert. Auf diese Weise sollte Washingtons "Politik des maximalen Drucks" entsprochen werden. Dazu kamen im Sommer militärische Nadelstiche wie der Abschuß einer US-Spionagedrohne vor der Küste des Irans, die Beschlagnahmung eines britischen Öltankers und ein großangelegter Raketenangriff der Huthis auf zwei der wichtigsten Ölraffinerien in Saudi-Arabien.

Inzwischen weiß man, daß sich USA in den zurückliegenden Monaten über Drittparteien der iranischen Führung mehrmals Verhandlungen angeboten haben. Es bestand am Rande der UN-Generalversammlung Ende September in New York sogar die Möglichkeit einer "zufälligen" Begegnung von Trump mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani. Trotz aller Appelle des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der hinter den Kulissen bis zuletzt das Treffen zu arrangieren versuchte, ist Rohani nicht auf das Angebot eingegangen. Für die Iraner kann es erst dann Verhandlungen geben, wenn der Status quo ante wiederhergestellt ist und die US-Sanktionen, wenn nicht aufgehoben, dann zumindest ausgesetzt worden sind. Doch dazu sind die USA, die als Supermacht von vermeintlich schwächeren Gegnern das erste Zugeständnis erwarten, partout nicht bereit.

Und so schaukelt sich die Konfrontation am Persischen Golf wieder hoch. Vor wenigen Tagen haben die USA eine Reihe neuer Sanktionen gegen Ajatollah Ali Khamenei, die oberste Geistlichkeit des Irans, sowie mehrere andere Führungsfiguren in Teheran verhängt. In Reaktion darauf haben die Iraner erstmals seit 2015 in der unterirdischen Anlage Fordo wieder mit der Urananreicherung begonnen. Bei der Ankündigung des Schritts hat Präsident Rohani die sofortige Einstellung dieser und der anderen seit Mai ergriffenen Maßnahmen für den Fall versprochen, daß die Europäer endlich ihren Teil des Atom-Vertrags erfüllen. Doch dazu sind die EU-3 - aller Kritik Macrons an der "hirntoden" NATO zum Trotz - offenbar nicht bereit. Statt dessen spekulieren die Kriegsfalken und konservativen Medienkommentatoren im Westen eifrig darüber, wie lange es noch dauern könnte, bis die Iraner den "Ausbruch" wagen können, das heißt sich genügend hochangereichertes Uran zum Bau einer Atombombe verschafft haben.

Anfang Oktober haben die USA 3000 Soldaten nach Saudi-Arabien und mehrere Tarnkappenbomber an den Persischen Golf verlegt. Am 6. November meldete die Nachrichtenagentur Reuters die Festnahme einer Inspekteurin der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) wegen des Verdachts des versuchten Schmuggels von Sprengstoff in die iranische Urananreicherungsanlage Natans. Anlaß der Festnahme war die Alarmmeldung eines Geräts, das auf Nitratprodukte anschlägt. Angeblich hat die Frau daraufhin die Toilette aufgesucht, anschließend soll die Apparatur nicht mehr angeschlagen haben. Aus welchem Land die IAEA-Mitarbeiterin stammt, ist bislang nicht öffentlich bekannt geworden. Lediglich steht fest, daß die iranischen Behörden sie ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot belegt haben. Am 8. November meldete das iranische Militär, eine ausländische Drohne vor der Hafenstadt Mahshar in der südwestlichen Provinz Khusestan abgeschossen zu haben. Das US-Militär hat seinerseits erklärt, keine Drohne zu vermissen.

Khusestan liegt am nördlichen Ende des Persischen Golfs und grenzt an der südirakischen Provinz Basra. Die ölreiche Provinz war ein blutiger Schauplatz im Iran-Irak-Krieg, der von 1980 bis 1988 tobte und Hunderttausende Menschen auf beiden Seiten das Leben kostete. Wegen des hohen arabischen Bevölkerungsanteils kommt es seit Jahren in Khusestan immer wieder zu "terroristischen" Anschlägen, deren Hintermänner sich im Ausland - entweder in Israel oder den USA - befinden. Interessanterweise hat der Iran am 11. November bekanntgegeben, ein neues Ölfeld mit einer geschätzten Menge von sage und schreibe 53 Milliarden Barrel Rohöl in Khusestan entdeckt zu haben. Damit wären die Ölreserven des Irans auf einen Schlag um ein Drittel größer geworden.

12. November 2019


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