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NAHOST/1683: Irak - Zorn auf die Westmächte ... (SB)


Irak - Zorn auf die Westmächte ...


Im Irak führt die sich zuspitzende Konfrontation zwischen den USA und dem Iran zu heftigen Spannungen, die Adil Abdul Mahdi nach nur einem Jahr im Amt seinen Posten als Premierminister kosten könnten. Trotz wiederholter Warnungen Abdul Mahdis schrecken Teheran und Washington nicht davor zurück, ihren Kampf um Einfluß und Macht im Nahen Osten immer offener auf irakischem Staatsgebiet auszutragen. Israelische Luftangriffe auf Militärstützpunkte schiitischer Milizen im Irak und tagelange blutige Straßenproteste im mehreren irakischen Städten haben das Zweistromland stark destabilisiert. Eine langfristige Normalisierung der Lage kann es erst geben, wenn die Regierungen Donald Trumps und Hassan Rohanis einen Modus vivendi gefunden haben. Doch dafür stehen die Aussichten nicht gerade günstig.

Bereits im Juli hatte Abdul Mahdi auf Druck der USA mit der Auflösung jener schiitisch-dominierten Volksmobilisierungskräfte, die im Sommer 2014 zur Zurückdrängung der Offensive der sunnitischen "Terrormiliz" Islamischer Staat entstanden waren, begonnen und deren Integrierung in die reguläre irakische Armee eingeleitet. Gegen die Anordnung aus Bagdad sperrten sich zunächst mehrere Teheran nahestehende Milizen wie die Harakat Hisb Allah, die im Kampf gegen den IS die Hilfe der iranischen Revolutionsgarden angenommen hatten. Dramatisch verschärft wurde der Streit um die Einbindung aller Milizen in die staatlichen Befehlsstrukturen, als Israel Mitte Juli begonnen hatte, Stützpunkte im Irak mit Raketen anzugreifen, auf denen iranische Militärberater stationiert bzw. größere Mengen Rüstungsgüter gelagert worden waren. Bei dieser Serie von Anschlägen kamen Dutzende Iraker und Iraner ums Leben. Wenngleich die Handschrift Israels sofort zu erkennen war, fehlten zunächst handfeste Beweise. Dies hinderte Premierminister Abdul Mahdi nicht daran, die Schließung des irakischen Luftraums für Militärmaschinen anzuordnen. Daraufhin erklärte das Pentagon, die US-Streitkräfte im Irak seien nicht daran gebunden, die Missionen ihrer Kampfjets gegen IS-Stellungen in Syrien würden weitergehen. Die selbstherrliche Attitüde der Amerikaner hat die Mehrheit der Abgeordneten im irakischen Parlament zur Wiederholung ihrer Forderung nach dem baldestmöglichen Abzug aller US-Soldaten aus dem Zweistromland veranlaßt. Die Beziehungen zwischen Bagdad und Washington verschlechterten sich weiter, als sich Ende August herausstellte, daß die israelischen Raketenangriffe mittels Kampfdrohnen durchgeführt worden waren, die von völkerrechtlich illegalen US-Militärstützpunkten im Nordosten Syriens gestartet und von dort aus gesteuert worden waren. Als Abdul Mahdi Israel offen der Durchführung kriegerischer Handlungen gegen den Irak bezichtigte, gab es niemanden in Washington, der ihn bei seiner Kritik an die Adresse Tel Avivs unterstützte. Zu sehr sehen sich die USA den vermeintlichen Sicherheitsinteressen ihres langjährigen Verbündeten Israel verpflichtet.

"Hinterhältige Drohnenangriffe" wurden erst dann von Politik und Medien des Westens als wichtiges Thema entdeckt, als am 14. September irgendein Akteur mittels eines kombinierten Drohnen- und Raketenangriffs schwere Schäden an zwei der wichtigsten Ölterminals Saudi-Arabiens anrichtete. Zu der spektakulären Aktion, die weltweit an den Börsen zum kräftigen Anstieg des Ölpreises führte, bekannten sich die schiitischen Huthis, die seit 2015 im Jemen einen Zermürbungskrieg gegen eine von Saudi-Arabien angeführte Invasionsarmee der sunnitischer Monarchien vom Persischen Golf führen. Ungeachtet der Tatsache, daß die Huthis in den Wochen und Monaten davor immer wieder Drohnenangriffe auf Flughäfen und Stützpunkte nicht nur nahe der jemenitischen Nordgrenze, sondern auch im saudischen Innern erfolgreich durchgeführt hatten, wies US-Außenminister Mike Pompeo dem Iran die Verantwortung für den Anschlag auf die saudischen Raffinerien zu. Am 15. September meldete die Onlinezeitung Middle East Eye, daß die fraglichen Drohnen und Raketen von Stützpunkten schiitischer Milizen im Südirak gestartet worden seien; die Aktion sei als Vergeltung gegen die Achse Israel-Saudi-Arabien-USA und zugleich als Warnung vor weiteren Eskalationen gedacht.

Es hat den Anschein, als wollten die Adressaten die Botschaft aus Sanaa bzw. Teheran nicht hören. Am 2. Oktober schlugen plötzlich jene Proteste, die seit Monaten in mehreren irakischen Städten gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und fehlende Investitionen in der staatlichen Infrastruktur stattfanden, in eine Gewaltwelle um, wie sie der Irak seit zwei Jahren nicht mehr erlebt hatte. Anlaß des gestiegenen Zulaufs bei der Großdemonstration an jenem Tag in Bagdad war die Verärgerung der Protestierenden über die Entlassung von Generalleutnant Abdul Wahab Al Saadi als ranghoher Kommandeur der irakischen Spezialstreitkräfte und seine Degradierung auf einen administrativen Posten im Bagdader Verteidigungsministerium am 27. September durch Premierminister Abdul Mahdi ohne Angabe von Gründen. Al Saadi gilt als großer Held des Kampfs gegen den IS der letzten Jahre. Er hat persönlich an der Rückeroberung mehrerer irakischer Städte, darunter Mossul, mitgewirkt - und zwar ohne die Hilfe der iranischen Revolutionsgarde anzunehmen, was ihm den Nimbus des nicht korrumpierbaren Patrioten des Iraks verleiht.

Warum die irakischen Streitkräfte so brutal gegen die mehrtägigen Proteste vorgegangen sind und sie dadurch erst richtig entfacht haben ist derzeit Gegenstand von Ermittlungen. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Getöteten auf mehr als 110 und die der Verletzten auf über 6000, wobei nicht alle Opfer Zivilisten waren, da sich nicht wenige Mitglieder der Sicherheitskräfte darunter befanden. Aus verschiedenen Quellen, darunter seitens Liz Sly, der langjährigen britischen Nahost-Korrespondentin der Washington Post, gibt es Hinweise, wonach in Bagdad und anderen Städten unbekannte Scharfschützen am Werk waren, die von Dächern und Balkons aus sowohl Demonstranten als auch uniformierte Beamte mittels Schüssen in Kopf und Herz töteten, für Verwirrung sorgten und damit Staat und Bürger des Iraks gegeneinander aufbrachten. Die Praxis erinnert fatal an Vorkommnisse, wie sie Augenzeugen in den letzten Jahren im venezolanischen Caracas, ukrainischem Kiew und syrischen Deraa erlebt haben und die auf eine verdeckte Operation der CIA schließen lassen.

Ob sich Iraks Schiiten in miteinander verfeindete pro-amerikanische und pro-iranische Lager spalten lassen, muß sich erst zeigen. Premierminister Adbul Mahdi hat mit der Verkündung eines ambitionierten Maßnahmenkatalogs, darunter die Einführung eines staatlichen Grundeinkommens für jede Familie, die Entlassung von 1000 korrupten Beamten sowie rechtliche Schritte gegen alle Polizisten und Soldaten, die bei den jüngsten Protesten auf unzulässige Weise von der Waffe Gebrauch gemacht haben, zumindest für eine vorübergehende Beruhigung der Lage sorgen können.

15. Oktober 2019


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