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NAHOST/1616: Jemen - die Karte der Kriegstreiber ... (SB)


Jemen - die Karte der Kriegstreiber ...


Der jüngste Versuch des UN-Sondergesandten Martin Griffiths, den Krieg im Jemen zu beenden, ist fehlgeschlagen. Der britische Diplomat hatte die Kriegsparteien - die schiitischen Huthi-Rebellen, die den Nordwesten samt Hauptstadt Sanaa kontrollieren, und die Regierung der 2014 von den Huthis gestürzten Regierung von Interimspräsident Abd Rabbu Mansur Hadi, die seit 2015 mit Hilfe der Streitkräfte Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate sowie den sunnitischen Dschihadisten von Al Kaida im Südosten samt Hafenstadt Aden das Sagen haben - zu Friedensverhandlungen nach Genf eingeladen. Doch zur ersten Begegnung beider Seiten seit den gescheiterten Friedensgesprächen 2016 ist es nicht gekommen. Nur die Vertreter Hadis sind in der Schweiz erschienen. Die Huthis weigerten sich wegen fehlender Sicherheitsgarantien sowie der angeblichen Nicht-Einhaltung bereits gemachter Zusagen Sanaa zu verlassen.

Bevor sie das von Oman zur Verfügung gestellte Flugzeug bestiegen, verlangte die Führung der Ansar-Allah-Bewegung zwei Dinge. Erstens, daß ihre ungehinderte Rückkehr von Saudi-Arabien und den VAE, deren Kampflugzeuge den jemenitischen Luftraum komplett beherrschen, garantiert wird, und zweitens, daß parallel einige Kriegsversehrte zur medizinischen Behandlung nach Oman ausgeflogen werden. Die erste Forderung war nicht unbegründet. Nach den letzten Verhandlungen in Genf vor zwei Jahren wurde die Maschine mit der Huthi-Delegation bei der Rückreise zur Landung in Dschibuti mit dem fadenscheinigen Argument gezwungen, sie müsse nach illegalen Waffen aus dem Iran durchsucht werden (Bekanntlich führen Riad und Abu Dhabi seit 2015 Krieg gegen die Huthis unter dem Vorwand, diese seien die Handlanger Teherans und wollten den Jemen zum Bollwerk Teherans an der geostrategisch wichtigen Schnittstelle zwischen dem Horn von Afrika und der arabischen Halbinsel sowie zwischen Rotem Meer und Indischem Ozean machen). Jedenfalls haben die Saudis die Suchaktion über Monate verschleppt; so lange hingen die Huthi-Vertreter in Dschibuti fest. Wie nicht anders zu erwarten, wurde im Flugzeug nichts gefunden, was irgendwie gegen das UN-Waffenembargo verstoßen hätte.

Das neue Treffen sollte am 6. September in Genf beginnen. Doch die Huthis ließen sich nicht blicken. Am 7. September stand das Flugzeug aus Oman immer noch auf dem Rollfeld in Sanaa. Trotz hektischer Telefonate seitens Griffiths von Genf aus mit den Huthis sowie mit den Verantwortlichen in Riad und Abu Dhabi gab es keine Bewegung. Die Huthis warfen den Saudis und Emiratern vor, im Vorfeld des geplanten Treffens in Genf gemachte Zusagen über die Einrichtung von medizinischen Notflügen nach Muskat bzw. nach Kairo nicht einzuhalten. Als am 8. September die Huthis in Genf immer noch nicht eingetroffen waren, sagte Griffiths die Veranstaltung ab, kündigte jedoch eine weitere Vermittlungsreise seinerseits nach Sanaa und Aden an.

Während die Hadi-Regierung die Ansar Allah für das Debakel verantwortlich machte, warfen die Huthis Saudi-Arabien vor, kein Interesse an einer Beilegung des Krieges, sondern einzige dessen Fortsetzung im Sinne zu haben. In einer Fernsehansprache kündigte am 8. September Ansar-Allah-Chef Abdulmalik "Durchhaltevermögen und Widerstand gegenüber der Aggression an allen Fronten" an. Zu diesem Zeitpunkt tobten bereits wieder heftige Kämpfe vor allem um die Hafenstadt Hudeida am Roten Meer, die den einzigen Zugang des huthi-kontrollierten Nordwestens zur Außenwelt darstellt. Das Leben von Millionen von Menschen hängt von den Nahrungsmitteln und Medikamenten ab, die über Hudeida nach Jemen gelangen. Deswegen versucht die von den saudischen und emiratischen Streitkräften angeführte Koalition seit Juni Hudeida einzunehmen, um mittels der wirtschaftlichen Strangulation die Huthis zur Aufgabe zu zwingen.

Bisher hat jedoch "Operation Goldener Sieg" die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Die ausländischen Koalitionäre haben zwar den Südrand von Hudeida besetzen können, erleben gleichzeitig jedoch schwerwiegende Probleme bei der Sicherung des Nachschubwegs von und nach Mokka im Süden. Entlang der Küstenstraße schießen die Huthi-Rebellen die gegnerischen Konvois immer wieder zusammen. Die militärische Blamage, welche die von Westen hochgerüsteten Saudis und Emirater im Jemen am Boden erleiden, erklärt vielleicht, warum ihre Luftwaffen alles zusammenbomben, was aus größer Höhe zerstörungswürdig aussieht - und das nicht nur in Hudeida. Beim Luftangriff auf die Stadt Dayhan am 9. August kamen 47 Menschen, darunter 29 Kinder, die mit einem Bus von einem Schulausflug auf dem Weg nach Hause waren, ums Leben. Der Vorfall hat weltweit Entsetzen ausgelöst und den Saudis und Emiratern eine Welle der Kritik beschert.

Anfangs wiesen Riad und Abu Dhabi alle Vorwürfe von sich, behaupteten, der Schulbus sowie der Marktplatz von Dayhan seien "legitime militärische Ziele" gewesen. Offenbar hat die Ende August getroffene Feststellung eines UN-Gremiums aus Menschenrechtlern, zahlreiche Luftangriffe der letzten drei Jahren im Jemen könnten den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen, die Saudis und Emirater dazu veranlaßt, Reue zu zeigen. Am 8. September erklärte das Joint Incident Assessment Team, die gemeinsame Untersuchungskommission der emiratischen und saudischen Streitkräfte, der Angriff auf den Schulbus sei doch ein bedauerlicher Fehler. Man habe Hinweise auf den Transport einer Gruppe hochrangiger Huthis per Linienbus an dem Tag gehabt, jenes Fahrzeug aber mit dem Schulbus verwechselt, so die Erklärung.

Den Schutzbehauptungen Riads und Abu Dhabis ist wenig Glaubwürdigkeit beizumessen. Auch von wahrer Reue kann nicht die Rede sein, sondern eher von der Angst, daß die negative Berichterstattung über die Vorgänge im Jemen den Kongreß in Washington und/oder das Parlament in London dazu veranlassen könnten, die amerikanischen und britischen Waffenlieferungen nicht wie bisher im gigantischen Umfang einfach durchzuwinken. Wie "die Saudis" wirklich denken, geht eindeutig aus einem scheußlichen, vor kurzem veröffentlichten Zitat aus dem Munde von Kronprinz Mohammed bin Salman hervor, der im Frühjahr 2015 als frischgebackener Verteidigungsminister eigenhändig den Jemenkrieg vom Zaun gebrochen hatte (Das Zitat erschien in dem Artikel von Daniel Larison "Treat MbS as the War Criminal He Is" am 5. September in der Zeitschrift The American Conservative):

Machen Sie sich wegen der internationalen Kritik keine Gedanken. Wir wollen auf Generationen hinaus im Bewußtsein der Jemeniten einen mächtigen Eindruck hinterlassen. Wir wollen, daß ihre Kinder, Frauen und sogar ihre Männer erzittern, wann immer der Name Saudi-Arabien erwähnt wird.

10. September 2018


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