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NAHOST/1612: Syrien - Weltfront Nahost ... (SB)


Syrien - Weltfront Nahost ...


In Syrien bahnt sich eine erbitterte Schlacht um die nordwestliche Provinz Idlib an, die letzte Hochburg der Rebellen, wohin sich rund 40.000 Dschihadisten zurückgezogen haben. Es besteht die akute Gefahr, daß diese aus Sicht der Syrischen Arabischen Armee (SAA) letzte große Offensive gegen die Aufständischen, die den seit 2011 andauernden Krieg beenden soll, in ein Muskelspiel zwischen den Streitkräften der USA und Rußland münden und durchaus einen Dritten Weltkrieg auslösen könnte, sollten Moskau und Washington keinen Ausweg aus der zu befürchtenden Eskalationsspirale finden.

Mit Hilfe russischer Kampfjets und Militärberater, iranischer Soldaten und Freiwilliger der schiitisch-libanesischen Hisb-Allah-Miliz hat die SAA inzwischen den größten Teil Syriens befreit bzw. befriedet. Der Zentralregierung in Damaskus fehlt nur noch die Kontrolle über Idlib, die Grenzregion um Manbidsch und Afrin im Norden, welche die türkische Armee besetzt hält, sowie die Autonomiegebiete Rakka, Al-Hasaka und Deir ez-Zor im Nordosten, in denen die syrischen Kurden mit Hilfe von mehr als 2000 US-Soldaten das Sagen haben. Hinzu kommt die Gegend um Al Tanf, die wegen ihrer Nähe zur Hauptverkehrsachse Bagdad-Damaskus sowie zur möglichen Öl- und Gaspipelineroute von Nordostsyrien nach Jordanien und danach an die israelische Mittelmeerküste von enormer strategischer Bedeutung ist und deshalb von der US-Armee besetzt wird.

Vor wenigen Tagen hat die im Libanon erscheinende, linke arabischsprachige Zeitung Al-Akhbar den bisher geheimgehaltenen Besuch einer Delegation ranghoher Geheimdienstler und Militärs aus den USA Ende Juni in Damaskus enthüllt. Den Angaben von Al-Akhbar zufolge - die offiziell zu bestreiten sich das Pentagon genötigt fühlte - reiste die US-Delegation in einem Privatflugzeug aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) an und landete um Mitternacht auf einem abgeschirmten Teil des internationalen Flughafens von Damaskus. Anschließend wurde sie mit schwarzen Allradwagen zum Hauptquartier der SAA-Sicherheitsabteilung im Stadtzentrum gefahren. Dort hat sie der Leiter, Generalmajor Ali Mamluk, der ein enger und langjähriger Vertrauter von Präsident Bashar Al Assad ist, persönlich empfangen.

Bei dem Treffen wurden alle Aspekte des Syrienkrieges diskutiert. Am Ende der Diskussion boten die Amerikaner Mamluk und den anwesenden Chefs der anderen syrischen Geheimdienste den Abzug sämtlicher US-Streitkräfte aus Syrien - das heißt nicht nur aus dem kurdischen Nordosten, sondern auch aus Al Tanf - an. Dafür müßte die syrische Regierung drei Bedingungen erfüllen: Erstens alle ihr vorliegenden Informationen über terroristische Gruppen wie den Islamischen Staat (IS) und Al Kaida mit den US-Behörden teilen; zweitens alle iranischen Militäreinheiten sowie Hisb-Allah-Verbände nach Hause schicken; drittens US-Energiekonzerne mit der Gewinnung von Öl und Gas im syrischen Osten beauftragen. Laut Al-Akhbar hat Mamluk das Angebot ausgeschlagen, wenngleich er eine Zusammenarbeit mit den amerikanischen Ölmultis im Rahmen des Wiederaufbaus Syriens nach dem offiziellen Ende des Krieges nicht ausschließen wollte.

Aktuell bereitet die SAA zusammen mit ihren Verbündeten die Rückeroberung von Idlib vor. Gleichzeitig laufen auf verschiedenen Ebenen Gespräche zwischen Rußland, dem Iran und der Türkei darüber, wie man ein Blutbad vermeiden und die Militäroperation so klein wie möglich halten könnte. Schließlich befinden sich rund drei Millionen Menschen in Idlib. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Kriegsflüchtlinge aus anderen Teilen Syriens. Die Türkei, die zwölf Beobachtungsposten in Idlib besetzt hält, um dort für die Einhaltung des derzeitigen Waffenstillstands zu sorgen, versucht angeblich, die "gemäßigten" Rebellen gegen die "Extremisten" von IS und Hayat Tahrir Al Scham (HTS), der Nachfolgerorganisation des Al-Kaida-Ablegers Al-Nusra-Front, aufzustacheln. Um die bevorstehende "Anti-Terror-Operation" so glatt wie möglich über die Bühne zu bringen, hat am 29. August der stellvertretende russische Außenminister Mikhail Bogdanow mit dem syrischen Oppositionsführer Nasr Al Hariri über die verschiedenen Aspekte der Nachkriegsordnung diskutiert.

Währenddessen ist das Säbelrasseln zwischen Moskau und Washington voll im Gange. Begonnen hat die jüngste Eskalation am 21. August, als Washington, London und Paris offen mit Vergeltungsmaßnahmen drohten, sollte die SAA bei der bevorstehenden Idlib-Offensive von chemischen Waffen Gebrauch machen. Damaskus bestreitet, jemals C-Waffen im Syrienkrieg eingesetzt zu haben und behauptet, die Rebellen würden immer wieder entsprechende Vorfälle produzieren, um den westlichen Großmächten Interventionsgründe zu liefern. Zuletzt im April hat das NATO-Trio aufgrund eines C-Waffenvorfalls in Ostghouta bei Damaskus mehrere Ziele in Syrien mit 103 Marschflugkörpern angegriffen. Später waren Inspekteure der Organisation zum Verbot Chemischer Waffen (OPCW) nicht in der Lage zu bestätigen, daß dort überhaupt derartige Kampfstoffe eingesetzt worden waren. Beim Besuch in Jerusalem am 22. August warnte Donald Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton Assad ausdrücklich davor, bei der Idlib-Operation auf biologische oder chemische Waffen zurückzugreifen.

Im Gegenzug hat am 27. August Generalmajor Igor Konsaschenkow, der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, den Atlantikmächten offen unterstellt, eine fingierte Aktion in Idlib vorzubereiten, um selbst direkt in den Syrienkrieg eingreifen zu können. Konsaschenkow bezeichnete die Ankunft der US-Lenkwaffenzerstörer Ross und The Sullivans im östlichen Mittelmeer respektive dem Persischen Golf sowie die Stationierung eines B-1B-Tarnkappenbombers der US-Luftwaffe auf dem Fliegerhorst Al Udeid in Katar als eindeutige Vorbereitungsmaßnahmen für ein solches Szenario.

Des weiteren sprach Moskaus Militärsprecher von Erkenntnissen der russischen Geheimdienste, denenzufolge Milizionäre der HTS und Mitarbeiter des privaten britischen Militärdienstleistungsunternehmens Olive Group Chemiebehälter in das Flüchtlingslager bei Jisr Al Shughur geschmuggelt hätten, um zum geeigneten Zeitpunkt einen "Chemiewaffenvorfall" in der Stadt Idlib zu produzieren. "Die Umsetzung dieser Provokation, die mit der aktiven Hilfe der britischen Geheimdienste vorbereitet wird, soll als Vorwand für die USA, Großbritannien und Frankreich dienen, einen Raketenangriff auf staatliche und wirtschaftliche Einrichtungen in Syrien durchzuführen", so Konsaschenkow.

Wie Rußland auf eine solche Aktion reagieren würde, ist unklar. Es hängt sicherlich davon ab, ob dabei russische Militärangehörige zu Schaden kommen. Das dürfte der Fall sein, sollten die westlichen Raketen SAA-Positionen in und um Idlib treffen, denn dort sind mehrere hundert russische Militärangehörige zugegen. Inzwischen hat die russische Marine eine beeindruckende Streitmacht vor der Küste Syriens zusammenzogen. Die russische Flotte im östlichen Mittelmeer besteht aus mindestens 15 Kriegsschiffen. In Hmeinin in der westlich von Idlib liegenden syrischen Mittelmeerprovinz Latakia unterhält die russische Luftwaffe seit 2015 einen eigenen Militärflugplatz. Am 7. und 8. September wollen im iranischen Tabriz Hassan Rohani, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan über Syrien im allgemeinen und Idlib im besonderen beraten. Das Gipfeltreffen der Präsidenten des Irans, Rußlands und der Türkei könnte die letzte Gelegenheit sein, ein großes Inferno im Nahen Osten abzuwenden.

30. August 2018


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