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NAHOST/1585: Washington - die Brücke ist vollzählig besetzt ... (SB)


Washington - die Brücke ist vollzählig besetzt ...


Die Ernennung John Boltons zum dritten Nationalen Sicherheitsberater Donald Trumps in nur 14 Monaten nach Michael Flynn und Herbert McMaster hat weltweit in Medien und Diplomatie Entsetzen ausgelöst. Bolton versteht sich als Anti-Diplomat, dessen Aufgabe darin besteht, der Waffengewalt Amerikas größtmögliche Geltung zu verschaffen. Aus der boltonschen Perspektive haben internationale Abkommen für die USA keine bindende Kraft; allein der amerikanischen Hegemonialmacht steht das Recht zu, die Regeln zu bestimmen und notfalls selbst zu ignorieren, welche alle anderen Staaten befolgen sollen. Die Vorstellung von den USA als der einzig "unverzichtbaren Nation" auf der Welt huldigen Republikaner und Demokraten gleichermaßen, doch es wagt niemand, die darin innewohnende Logik so drastisch zu formulieren wie der notorische Choleriker Bolton. Dessen "Amerika über alles"- Weltsicht deckt sich mit derjenigen Trumps vollständig. Als beispielsweise im vergangenen Herbst der neue US-Präsident die UN-Vollversammlung mit der Drohung einer völligen Auslöschung Nordkoreas schockierte, lobte Bolton die im strengen völkerrechtlichen Sinne verbrecherischen Tiraden Trumps als die beste Rede, die jemals im großen Sitzungssaal des UN-Hauptquartiers in New York gehalten worden sei.

Der 1948 geborene Bolton, der Jura in Yale studiert hat, arbeitete in den achtziger Jahren unter der Regierung Ronald Reagans im Justizministerium. Als Staatssekretär im Außenministerium in der Regierung von George Bush hatte er maßgeblichen Anteil an der Abschaffung einer UN-Resolution aus den 70er Jahren, in der der Zionismus als eine Form des Rassismus verurteilt worden war. Während der demokratischen Ära Bill Clintons von 1994 bis 2000 diente Bolton dem damaligen Anführer der republikanischen Rechten im Kongreß, Senator Jesse Helms aus North Carolina, als Chefberater. Während dieser Zeit gelang es ihm und Helms, Sanktionsgesetze gegen Iran, Syrien und Libyen auf den Weg zu bringen, die Washington auf einen Konfrontationskurs mit Teheran, Damaskus und Tripolis festlegten.

1996 entwarf Bolton zusammen mit Richard Perle und anderen führenden neokonservativen Vordenkern der USA für den damaligen israelischen Oppositionsführer Benjamin Netanjahu das berüchtigte Strategiepapier "A Clean Break", das eine radikale "Umformung" der strategischen Landschaft des Nahen Ostens vorsah. Mißliebige "Regime" sollten direkt oder indirekt gestürzt und notfalls Staatengrenzen nach ethnischen und religiösen Kriterien neu gezogen werden, damit kein Nachbar mehr Israel bedrohen könne. Das Kriegschaos, das man seit 2003 im Irak, seit 2011 in Libyen und Syrien erlebt, geht auf die Umsetzung jenes teuflischen Plans zurück.

1998 verlangten Bolton und andere Neokonservative in einem offenen Brief an Clinton den Sturz Saddam Husseins mit militärischen Mitteln. Anfang 2001 übernahmen Bolton und andere Mitglieder des Project for a New American Century die wichtigsten sicherheitspolitischen Posten in der neuen Regierung George W. Bushs. Diese Männer ergriffen die Gelegenheit der Flugzeuganschläge vom 11. September zu einer aggressiven Neuausrichtung der amerikanischen Außen- und Militärpolitik. So wurde zum Beispiel das Folterverbot für "Terrorverdächtige" aufgehoben, das Sonderinternierungslager in Guantánamo Bay eingerichtet und mit der Liquidierung militanter Gegner amerikanischer Vorherrschaft im Nahen Osten und Zentralasien per Drohnenangriff begonnen.

Als Staatssekretär im Außenministerium zuständig für Abrüstung und internationale Sicherheit spielte Bolton eine führende Rolle bei der Konstruktion eines Vorwands für einen Angriffskrieg gegen den Irak. Ein wesentlicher Bestandteil der Legende der vom "Regime" in Bagdad angeblich ausgehenden Bedrohung waren die Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins. Daß diese nicht mehr existierten, weil sie bereits unter Aufsicht der UN-Waffeninspekteure in den neunziger Jahren beseitigt worden waren, durfte als Tatsache nicht in das Bewußtsein der Masse der US-Bevölkerung dringen. Deshalb hat Bolton damals den Leiter der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), den Brasilianer José Bustani, aus seinem Amt gedrängt, bevor dieser Bagdad einen Persilschein ausstellen konnte. Zudem hat er dafür gesorgt, daß Bush juniors Rede zur Lage der Nation im Januar 2003 die erstunkene und erlogene Behauptung enthielt, Saddam Hussein versuche heimlich, Uran aus Niger zwecks Atomwaffenbau zu besorgen.

Bolton soll auch eine der Hauptquellen der berüchtigten, weil wirkungsvollen Gruselschichten gewesen sein, welche die Reporterin Judith Miller Ende 2002, Anfang 2003 auf der Titelseite der New York Times zum Thema der irakischen Gefahr plazierte. Als am 4. Juli 2003 der ehemalige US-Botschafter in Bagdad Joseph Wilson die Niger-Episode als glatte Propagandalüge geißelte - schließlich hatte er ein Jahr davor das Land im Auftrag der CIA auf der Suche nach Verdächtigem bereist und nichts gefunden - ging das Weiße Haus in die Offensive. Mehrere Vertreter der Bush-Regierung, darunter auch Bolton, steckten befreundeten Journalisten den Hinweis, Wilson habe von der Materie keine Ahnung und damals den Niger-Auftrag nur erhalten, weil seine Frau bei der CIA arbeite. Doch damit haben die Bush-Männer einen schweren Fehler begangen. Wilsons Frau, Valerie Plame, war eine verdeckte CIA-Agentin und ihre Enttarnung ein Straftat. Es folgte die Plame-Affäre, deretwegen später Vizepräsident Dick Cheneys Berater I. Lewis "Scooter" Libby ins Gefängnis mußte. Beim vergeblichen Versuch, ihre Quelle für die vertraulichen Staatsinformationen über Plame dem Gericht vorzuenthalten, mußte auch Judith Miller einige Wochen hinter Gittern verbringen. Dort erhielt sie Besuch von ihrem Freund John Bolton.

Nach der Wiederwahl von Bush jun. in November 2004 sollte Bolton, der im Außenministerium die umstrittene Entscheidung der USA, 2002 den ABM-Vertrag mit Rußland aufzukündigen, um das Raketenabwehrsystem an der amerikanischen Westküste - gegen Nordkorea - und in Osteuropa - gegen Iran (sic) - durchgeboxt hatte, UN-Botschafter werden. Doch bei der Anhörung im Senat bezeugten so viele ehemalige Mitarbeiter des Mannes mit dem Walroßschnurrbart und der Nickelbrille dessen rüpelhaftes Benehmen, daß sich für die Personalie keine Mehrheit ergab. Deshalb hat W. die parlamentarischen Sommerferien abgewartet und seinen treuen Kampfgefährten zunächst für ein Jahr an den East River entsandt. Im Frühjahr 2006 hat Bolton als UN-Botschafter verhindert, daß ein umfassender Bericht der Justizbehörden in Beirut über eine Reihe mörderischer Bombenanschläge des Mossads gegen libanesische Kritiker Israels dem Sicherheitsrat vorgelegt wurde. Im selben Sommer hat er einen Aufruf des Sicherheitsrats zum Waffenstillstand im Libanon-Krieg vereitelt, um Israel mehr Zeit für seine Offensive gegen die schiitische Hisb-Allah-Miliz zu geben. Ende 2006 schied Bolton wegen des anhaltenden Widerstands im Senat gegen eine Fortsetzung seiner Arbeit als UN-Botschafter aus dem Staatsdienst.

Seitdem hat sich Bolton einen Namen als Medienkommentator gemacht, der vornehmlich bei Auftritten im Hurrah-Patriotismus-Sender Fox News die Weltlage in düsteren Farben malt. Als Mitglied des pro-israelischen Gatestone Institute betreibt er übelste Islamophobie und erfreut sich großer geistiger Nähe zu rechten Demagogen wie Pamela Geller und Richard Spencer. Viele der Standpunkte, mit denen Trump vernunftbegabte Menschen erschrocken hat - die Muslimbruderschaft strebe die Weltherrschaft an, der Islam sei eine gewalttätige Religion - verficht Bolton seit langem bei Fox News. Bolton hält einen Präventivkrieg zum Sturz des "Mullah-Regimes" in Teheran für die einzige Möglichkeit, einen Atomstaat Iran zu verhindern. Deshalb gehen Beobachter fest davon aus, daß Boltons Einzug ins Weiße Haus mit der Ankündigung Trumps, bis zum 12. Mai das von Obama mühsam ausgehandelte Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen, zusammenhängt. Ein solcher Schritt würde mit Sicherheit eine Eskalationsspirale in Richtung Krieg in Gang setzen.

Bolton ist auch ein Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung für den Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Er befürwortete den Anschluß der jüdischen Siedlungen an das israelische Kernland; was danach übrigbleibt, soll an Jordanien gehen, während Ägypten den Gazastreifen vollständig übernehmen soll. Bolton ist auch kein Freund der Ein-China-Politik, zu der 1972 Richard Nixon und Henry Kissinger die USA verpflichtet haben. Wenn es nach Bolton geht, sollten die USA die militärische Zusammenarbeit mit Taiwan forcieren, sogar vielleicht eigene Truppen auf der Insel stationieren. Eine solche Mißachtung der roten Linie Pekings würde Krieg mit der Volksrepublik China bedeuten. Auch wenn die Lage im Südchinesischen Meer vorerst ruhig bleiben sollte, will Bolton in einem anderen Teil Ostasiens zündeln. Der Kommunistenfresser hält Verhandlungen mit Nordkorea für eine Zeitverschwendung und hat sich in den letzten Monaten immer wieder öffentlich für einen Überraschungsangriff der USA zwecks Vernichtung des nordkoreanischen Atomwaffenarsenals und Ausschaltung des "Regimes" Kim Jong-uns in Pjöngjang starkgemacht. Mit Trump und Bolton haben zwei politische Hasardeure zueinander gefunden; das Ergebnis der Zusammenarbeit der beiden Verbalrambos dürfte niederschmetternd sein.

29. März 2018


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