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NAHOST/1580: Ägypten - Marionettendiktat am Nil ... (SB)


Ägypten - Marionettendiktat am Nil ...


Vom 26. bis zum 28. März findet in Ägypten die Präsidentenwahl statt. Bereits jetzt steht fest, daß der Gewinner Amtsinhaber Abdel Fatah Al Sisi sein wird. Bis auf den einen Schein-Gegenkandidaten Mousa Moustafa Mousa sind alle anderen potentiellen Teilnehmer der Abstimmung in den letzten Wochen entweder verhaftet worden oder aus Angst um ihre Sicherheit freiwillig aus dem Rennen ausgestiegen. Es stellt sich lediglich die Frage, ob der Ex-Generalstabschef sein Rekordergebnis von 2014 - 96,91 Prozent der abgegebenen Stimmen - übertreffen wird oder nicht. So oder so drohen den 95 Millionen Ägyptern weitere Jahre der Entbehrungen und einer Gewaltherrschaft, die von Israel und den USA militärisch und finanziell unterstützt wird.

Als Al Sisi 2013 mit einem blutigen Staatsstreich den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi, stürzte und die Moslembruderschaft verbot, tat er dies mit der Zustimmung Washingtons und Tel Avivs. Den Israelis war die von Mursi verfügte Öffnung der ägyptischen Grenze zum palästinensischen Gazastreifen genauso ein Dorn im Auge wie Kairos damalige vorsichtige Annäherung an das schiitische "Mullah-Regime" im Iran. Al Sisi dagegen hat nicht nur die Abriegelung Gazas wieder verhängt, sondern auch die Tunnel dichtgemacht, durch die die Palästinenser in dem von der Hamas kontrollierten Gebiet Schmuggelwaren aus Ägypten bekamen. Diese Maßnahme hat zusammen mit der Kappung der Gehälter für öffentliche Bedienstete im Gazastreifen durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im westjordanischen Ramallah in dem etwa zwei Millionen Einwohner zählenden Landstrich am Mittelmeer zu einer humanitären Katastrophe geführt.

In Ägypten sehen die Verhältnisse nicht viel besser aus. Wegen geringfügiger Kritik an seinem autoritären Führungsstiel hat Al Sisi die Hälfte der Richterschaft gegen willfährige Juristen austauschen lassen. Rund 60.000 politische Gefangene sitzen hinter Gittern. (Zum Vergleich: Gegen Ende des Ära Hosni Mubaraks 2011 waren es weniger als 10.000). Ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Arbeitslosigkeit grassiert, besonders unter der Jugend. In einem Land, in dem 60 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre alt sind, stellt die Perspektivlosigkeit eine tickende Bombe dar, die früher oder später hochgehen wird.

Die Touristik als wichtigster Industriesektor Ägyptens hat sich von den Turbulenzen um den "demokratischen" Sturz Mubaraks und Al Sisis gewaltsamen Putsch gegen Mursi bis heute nicht erholt. Während die Regierung in Kairo den einfachen Leuten einschneidende Kürzungen zumutet - zum Beispiel bei den bisherigen Subventionen für Mehl und Treibstoff - sieht sie sich mit einem wachsenden Aufstand sunnitischer Dschihadisten konfrontiert, den sie trotz repressiver Eskalation nicht in den Griff bekommt. Der Bürgerkrieg in Ägypten, so müßte man ihn inzwischen nennen, beschränkt sich nicht mehr auf die Sinai-Halbinsel, sondern hat sich auf andere Teile des Lands ausgeweitet, wie der Überfall in der Provinz Gizeh, rund 100 Kilometer westlich von Kairo, am 20. Oktober zeigt. Damals kamen 59 Armeeangehörige um Leben, als ihr Militärkonvoi in einen sorgfältig geplanten Hinterhalt geriet.

Am 9. Februar hat im Sinai eine von Al Sisi angeordnete Großoffensive gegen die Anhänger des ägyptischen Ablegers der "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) begonnen. Die Operation gilt als Reaktion auf zwei spektakuläre "Terrorangriffe" der vergangenen Monate. Am 24. November haben rund 40 IS-Kämpfer eine Sufi-Moschee im Nordsinai angegriffen. Bei dem schwersten Anschlag der ägyptischen Geschichte wurden 311 Moscheebesucher getötet und weitere 122 verletzt. Noch im Dezember entkamen Verteidigungsminister Sedki Sobhi und Innenminister Magdi Abdel Gaffar nur knapp dem Tod, als sie bei einem geheimen Besuch auf der Sinai-Halbinsel auf dem Militärflughafen der Stadt Al Arish mit einer russischen Anti-Panzer-Rakete vom Typ 9M133-Kornet angegriffen wurden. Bei der Attacke kam ein Militäroffizier ums Leben, zwei weitere trugen Verletzungen davon.

In Ägypten wird die neue Sinai-Offensive der Armee als Versuch Al Sisis gewertet, rechtzeitig zur Wahl den starken Mann zu markieren. Über die nördliche Sinai-Halbinsel hat das Militär eine Nachrichtensperre und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Was dort vor sich geht, wissen nur die Menschen in der umkämpften Region - hauptsächlich in und um Al Arish. Den staatlichen Medien zufolge hat die Armee bisher 82 Dschihadisten getötet und weitere 1800 in Gewahrsam genommen. Lediglich sieben Soldaten sollen gefallen sein. Über Verluste unter der Zivilbevölkerung ist bislang nichts bekannt geworden. Die Erkenntnis von Amnesty International, welche die Menschenrechtsorganisation anhand von am 21. Februar ausgestrahlten Bildern der Armee von der laufenden Operation gewonnen hat, derzufolge die ägyptische Luftwaffe auf der Sinai-Halbinsel Streubomben aus amerikanischer Produktion vom Typ Mk-118 einsetzt, gibt jedenfalls sehr zu denken.

Wenig bekannt ist die Tatsache, daß das ägyptische Militär im Sinai heimliche Militärhilfe von den Israelis erhält. 2012 haben die israelischen Streitkräfte ihren ersten Drohnenangriff gegen Radikalislamisten auf der Sinai-Halbinsel durchgeführt. Seit Al Sisi in Kairo die Macht ergriffen hat, erfährt die militärische Zusammenarbeit zwischen Ägypten und Israel eine deutliche Vertiefung. Am 3. Februar berichtete Reporter David Kirkpatrick in der New York Times von einer "geheimen Allianz". Demnach sollen im Rahmen der verdeckten Offensive israelische Drohnen, Kampfjets und Kampfhubschrauber innerhalb der letzten zwei Jahre mehr als 100 Angriffe auf feindliche Ziele in Sinai durchgeführt haben - und zwar durch die Bank in Absprache mit der Regierung Al Sisi.

Der Schulterschluß Ägyptens mit Israel findet inzwischen auch im wirtschaftlichen Bereich statt. Am 19. Februar wurde ein Deal im Wert von 15 Milliarden Dollar über die Lieferung von 64 Milliarden Kubikmeter israelischen Erdgases über 10 Jahre an Ägypten paraphiert. An dem Mammutgeschäft, dessen Zustandekommen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu persönlich begleitet und gefördert hat, sind das israelische Gasunternehmen Delek und das ägyptische Industriekonsortium Dolphinus beteiligt. Das Gas stammt aus den Feldern Tamar und Leviathan im Mittelmeer und soll ab 2019 in das ägyptische Netz fließen. Interessanterweise waren es gerade dubiose Gasgeschäfte des Mubarak-Klans mit Israel, die Ende 2011/Anfang 2012 zum demokratischen Frühling in Ägypten und zum Sturz des damaligen "Regimes" führten. Vor diesem Hintergrund sind die Warnungen des langjährigen US-Nahost-Kommentators Richard Silverstein, Israel und die USA täten sich und den Menschen in Ägypten durch ihre Unterstützung der Militärdiktatur am Nil keinen Gefallen, mehr als begründet.

1. März 2018


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