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NAHOST/1464: Droht in Saudi-Arabien der staatliche Kollaps? (SB)


Droht in Saudi-Arabien der staatliche Kollaps?

Prinz Mohammed - Retter oder Totengräber der saudischen Monarchie?


Alle erdölexportierenden Länder leiden unter den historisch niedrigen Ölpreisen, die seit 2014 herrschen. Dies gilt nicht nur für Venezuela und Rußland, sondern auch für Saudi-Arabien. Wegen fehlender Öleinnahmen verzeichnete das Königreich 2015 ein Haushaltsdefizit von 100 Milliarden Dollar - 15% des Bruttosozialprodukts - und mußte im Mai dieses Jahres zum ersten Mal seit 2007 wieder Staatsanleihen im Wert von 10 Milliarden Dollar verkaufen. Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten kommen für Riad auch außenpolitische und innenpolitische hinzu. Am Hof tobt ein Machtkampf um die Nachfolge des 80jährigen, gebrechlichen Königs Salman, während sich die Saudis im Irak, in Syrien - verdeckt - und im Jemen - offen - in drei verlustreiche und kostspielige Kriege verwickelt haben. Tatsächlich befürchten einige Beobachter, daß demnächst die saudische Monarchie an ihren eigenen Widersprüchen scheitern und kollabieren könnte.

Im Januar 2015 hat Salman nach dem Tod seines 90jährigen Halbbruders Abdullah den saudischen Thron bestiegen. Kurz darauf ernannte der Monarch seinen 55 Jahre alten Neffen, den langjährigen Innenminister und Sicherheitschef Prinz Muhammed Bin Najef, zum offiziellen Thronfolger, während sein 29jähriger Sohn und eigentlicher Favorit für die Position des künftigen "Hüters der heiligen Stätten" in Mekka und Medina, Prinz Mohammed, Vize-Kronprinz und Verteidigungsminister wurde. Seinem Ruf als Draufgänger wurde Mohammed gerecht, als er nach nur wenige Wochen im Amt Ende März 2015 einen Krieg im Jemen anzettelte.

Sollte "Operation Entscheidender Sturm" die militärische Stärke Saudi-Arabiens unter Beweis stellen, so hat sie genau das Gegenteil erreicht. Die Intervention, die von den USA, Großbritannien, Frankreich, Ägypten und den anderen Petromonarchien am Persischen Golf waffentechnisch sowie personell unterstützt wird, kostet Riad 200 Millionen Dollar am Tag. Bis heute haben die Saudis und ihre Verbündeten am Boden die schiitischen Huthi-Rebellen und die Anhänger des früheren jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh nicht bezwingen können. Dafür haben sie mit Luftangriffen die Infrastruktur des Armenhauses Arabiens weitgehend zerstört, rund 6000 Menschen - die meisten von ihnen Zivilisten - getötet und für eine drastische Erstarkung der islamistischen "Terrorformationen" Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) und Islamischer Staat (IS) gesorgt.

Im Schlepptau der ausländischen Interventionsmacht hat AQAP Mukalla, nach Aden die größte Hafenstadt an der Südküste des Jemen, eingenommen, mehr als 100 Millionen Dollar aus der dortigen Dependance der jemenitischen Zentralbank erbeutet und die Stadt rund ein Jahr lang kontrolliert. Erst vor wenigen Wochen haben Truppen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Hilfe von US-Spezialstreitkräften die Hauptstadt der Provinz Hadramaut "zurückerobert", nachdem zuvor die Dschihadisten unter Vermittlung muslimischer Geistlicher zum freiwilligen Abzug bewegt worden waren. Inzwischen wird der Krieg im Jemen in Form verstärkter Anschläge seitens Al Kaida und IS gegen staatliche Einrichtungen in Saudi-Arabien selbst re-importiert. In den mehrheitlich schiitisch bewohnten Provinzen am Persischen Golf, wo sich die meisten saudischen Öllagerstätten befinden, herrscht Ausnahmezustand, seit Riad im Januar den höchsten schiitischen Würdenträger des Landes, Ajatollah Nimr Al Nimr, wegen angeblichen Hochverrats enthaupten ließ. Prinz Mohammed gilt als treibende Kraft hinter der spektakulären Aktion, welche die schiitische Welt empörte und die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auf einen neuen Tiefpunkt sinken ließ.

Prinz Mohammed will auch die saudische Wirtschaft "reformieren", das heißt staatliche Betriebe privatisieren und die Abhängigkeit vom Öl reduzieren. Ob sein ehrgeiziger Plan zur Umwandlung der saudischen Wirtschaft in eine Dienstleistungsökonomie gelingt, der eigentlich aus der Feder des US-Beratungsunternehmens McKinsey stammt, steht noch in den Sternen. Vorerst wurden jedoch bereits staatliche Subventionen reduziert und Steuern erhöht, ohne daß dies nennenswert zur Linderung des Problems der hohen Jugendarbeitlosigkeit von rund 30 Prozent beigetragen hat.

Um sich der Unterstützung des wichtigsten Verbündeten zu versichern, hat Mohammed in den letzten Tagen in Begleitung des saudischen Außenministers Adel Al Dschubeir die USA bereist und dabei sowohl die Hauptstadt Washington als auch das kalifornische Silicon Valley besucht. Als ein führender Repräsentant jenes Landes, das mit Abstand der wichtigste Kunde der amerikanischen Rüstungsindustrie ist, erhielt Mohammed auch eine Privataudienz bei Barack Obama, der normalerweise im Oval Office nur seinesgleichen, also Staatspräsidenten, empfängt. Wie der Zufall es will, traf Mohammed Obama genau an dem Tag, an dem die New York Times über den internen Brief berichtete, mit dem 51 Mitglieder des diplomatischen Korps der USA gegen die angeblich zu zaghafte Syrien-Politik Washingtons protestieren. Im Anschluß an das Treffen erklärte Außenminister Al Dschubeir der Weltpresse, Riad fordere seit langem verstärkte Bemühungen, um das "Regime" Baschar Al Assads zu stürzen, darunter auch Boden-Luft-Raketen für die Rebellen und die Einrichtung einer gegen die syrische wie auch die russische Luftwaffe gerichteten "Flugverbotszone".

Solche Maßnahmen trügen zu genau der Eskalation des Syrien-Konflikts bei, die spätestens seit Herbst 2013 Obama und der russische Präsident Wladimir Putin zu verhindern versuchen. So gesehen richteten sich der "Protestbrief" aus dem State Department und die Stellungnahme Al Dschubeirs weniger an Obama als an dessen voraussichtliche Nachfolgerin Hillary Clinton, die bekanntlich als Kriegsfalke in der Syrien-Frage gilt. Die ehemalige First Lady ist auch der Königsfamilie in Riad wohlgesonnen, gehören die Saudis doch seit Jahren zu den großzügigsten finanziellen Unterstützern der Clinton Foundation.

Offenbar befürchtet man in Riad einen schwerwiegenden Prestigeverlust, sollte nicht irgendwann das Ziel eines "Regimewechsels" in Damaskus erreicht werden. Zudem besteht die Gefahr, daß aus Syrien heimkehrende saudische IS-Freiwillige auf die Ideen kommen könnten, ihr "Kalifat" auf dem Territorium Saudi-Arabiens zu errichten und die Monarchie zu stürzen. Nicht umsonst hieß es in einem Artikel, der am 17. Juli bei NBCNews.com zum Thema des Besuchs des saudischen Vizethronanwärters in Washington erschienen ist und in dem auf den schlechten Gesundheitszustand sowohl seines Vaters als auch des designierten Thronfolgers Prinz Najef verwiesen wurde, in Riad werde demnächst entweder Mohammed oder der IS das Sagen haben. Als Koautor des alarmierenden Artikels mit der Überschrift "U.S. Officials Fear Saudi Collapse If New Prince Fails" zeichnete kein geringerer als William Arkin verantwortlich, der als einer der führenden militär- und sicherheitspolitischen Experten der USA gilt.

21. Juni 2016


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