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NAHOST/1390: Rebellengruppen setzen Assads Armee in Syrien zu (SB)


Rebellengruppen setzen Assads Armee in Syrien zu

Aufständische erweisen sich widerstandsfähiger als erwartet


Weltweit sorgen die jüngsten schrecklichen Ereignisse im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmouk, das nur acht Kilometer entfernt vom Zentrum der syrischen Hauptstadt Damaskus liegt, für Schlagzeilen. Seit dem 1. April versuchen schwerbewaffnete Kämpfer des sunnitisch-salafistischen Kalifats Islamischer Staat (IS), die angeblich von Rebellen der al-kaida-nahen Al-Nusra-Front unterstützt werden, die Kontrolle über Yarmouk zu übernehmen und stoßen dabei auf heftigen Widerstand der mit der Hamas verbündeten palästinensischen Miliz Aknaf Bayt Al-Maqdis. Wohnten vor dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2011 rund 200.000 Menschen in Yarmouk, so harren dort heute weniger als 20.000 unter katastrophalen humanitären Bedingungen aus. Während die syrischen Streitkräfte ihrerseits mittels Artilleriefeuer und Luftangriffen die Eroberung des Lagers durch den IS zu verhindern versuchen, haben die Kalifatsanhänger bereits begonnen, erste gefangengenommene palästinensische Gegner zu enthaupten.

Der Vorstoß des IS in Yarmouk ist nur eine von mehreren Entwicklungen der letzten Wochen, die auf eine Schwächung der Position der staatlichen Streitkräfte und der Regierung um Präsident Baschar Al Assad hindeuten. Am 28. März fiel nach vier Tagen heftiger Kämpfe die Stadt Idlib, die rund 30 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt im Nordwesten Syriens liegt, an eine von Al Nusra angeführte Rebellenkoalition. Mit Idlib haben die Aufständischen nach Rakka im Osten, wo seit 2013 der IS herrscht, eine zweite Provinzhauptstadt erobert. Nach der Einnahme der 200.000 Einwohner zählenden Stadt hat Al-Nusra-Chef Abu Mohamad Al Golani dort persönlich die Scharia verhängt. In einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom 30. April warf eine nicht genannte Quelle beim syrischen Militär den Behörden in der Türkei und in Jordanien vor, die Idlib-Operation "geplant und geführt" und die Aufständischen unter anderem mit modernen Kommunikationsgeräten ausgerüstet zu haben.

Ende März kam es im Südwesten Syriens, nahe der Grenze zu den von Israel besetzten Golan-Höhen sowie in der Provinz Deraa zu schweren Kämpfen zwischen den staatlichen syrischen Streitkräften und Angehörigen der Freien Syrischen Armee (FSA), die im Vergleich zu IS, Al Nusra und anderen religiös motivierten Gruppen als gemäßigt und säkular gilt. Am 1. April meldete die FSA, sie hätte die Kontrolle über Nasib, den letzten offenen Grenzübergang zwischen Syrien und Jordanien, über den der Fernverkehr - Handel, Flüchtlinge usw. - zwischen Damaskus und Amman läuft, übernommen. Die syrischen Behörden haben dies umgehend dementiert. Nichtsdestotrotz haben die jordanischen Behörden unter Verweis auf das Aufflammen der Kämpfe in der südsyrischen Provinz Deraa Nasib bis auf weiteres geschlossen.

Die Erfolge der Rebellen in Yarmouk, Idlib und Nasib lassen nicht zwingend auf einen baldigen Zusammenbruch des Assad-"Regimes" schließen. Gleichwohl erscheinen die Perspektiven für die syrischen Streitkräfte und deren wichtigste Verbündete, den Iran und die schiitisch-libanesische Hisb-Allah-Miliz, in keinem positiven Licht. Noch Anfang des Jahres sah es aus, als würden die Regierungstruppen das Grenzgebiet zu den Golan-Höhen und in Deraa weitgehend befriedet haben. Statt dessen sind es die Rebellenformationen, die aktuell auf dem Vormarsch sind und kein Anzeichen für eine baldige Kapitulation zeigen. Inzwischen wird unter Militärexperten und Medienkommentatoren im Westen die Frage erörtert, ob der Iran in Syrien - sowie im Irak und Jemen - sein eigenes "Vietnam", will heißen, einen verlustreichen und nicht gewinnbaren Krieg im Ausland, erlebt.

Seit Monaten rüsten sich die Hisb-Allah-Miliz und Al Nusra für eine große Schlacht um die Bergregion Kalamoun, die an den Nordwesten des Libanons angrenzt. Den Rebellen geht es hier darum, ihre frühere Nachschublinie über die libanesische Hafenstadt Tripolis, die als Hochburg sunnitischer Extremisten gilt, nach Syrien hinein wieder herzustellen. Es gibt Gerüchte, sie wollten sogar ein eigenes islamisches Emirat in Nordlibanon mit Tripolis als Hauptstadt errichten. Hisb Allah und die libanesische Armee wollen beide Szenarien auf jedem Fall verhindern. An dem entsprechenden Grenzabschnitt ist es in den letzten Wochen zwischen beiden Seiten bereits zu ersten Scharmützeln gekommen.

In einen lesenswerten Beitrag, der am 2. April bei der libanesischen Zeitung Daily Star erschienen ist, hat deren stets pro-westlich argumentierender Kolumnist Michael Young von einem "regionalen Morast" in Syrien, im Irak und Jemen gesprochen, in dem das einst allmächtig erscheinende Gespann aus Hisb Allah und Iran zu versinken drohe. Sollte die Analyse Youngs zutreffen, wofür derzeit vieles spricht, dann hätten die USA und Saudi-Arabien ihr Ziel erreicht. Schließlich waren es Vizepräsident Dick Cheney und der saudische Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan, die 2006 in Reaktion auf die strategische Niederlage Israels im Libanon-Krieg den Plan ausheckten, den sunnitisch-schiitischen Konflikt im Nahen Osten zu schüren, um den "Bogen des Widerstandes" zwischen dem Iran, Syrien und der Hisb Allah im Südlibanon zu brechen. Daß die Umsetzung ihres machiavellistischen Vorhabens Hunderttausende Tote, Millionen Flüchtlinge und eine ganze Region in Flammen zur Folge haben würde, dürfte Cheney und Bandar nicht im geringsten gekümmert haben.

8. April 2015


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