Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1334: Washington stärkt Netanjahu im Gazakrieg den Rücken (SB)


Washington stärkt Netanjahu im Gazakrieg den Rücken

Internationale Kritik läßt Israels Premierminister kalt



"Schande über die Welt" - so lautete die Überschrift auf der Titelseite der angesehenen britischen Tageszeitung Guardian am 31. Juli, nachdem es in den vorangegangenen 24 Stunden zu der schwersten Bombardierung des Gazastreifens durch die israelischen Streitkräfte seit Beginn ihrer Operation Protective Edge gekommen war. Es starben am diesem 30. Juli 130 Palästinenser durch Gewalteinwirkung - der höchste Blutzoll des Gazakrieges bisher. 15 Menschen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, wurden am frühen Morgen im Schlaf getötet und weitere Dutzende verletzt, als ein israelisches Artilleriegeschoß in eine Mädchenschule des UN-Flüchtlingshilfswerkes bei Dschabalija, in der Hunderte Familien Zuflucht gesucht hatten, einschlug. Weitere 17 Menschen wurden getötet und rund 200 verletzt, als eine israelische Fliegerbombe während einer offiziellen Feuerpause am Nachmittag inmitten der Besucher eines Straßenmarktes in Shuja'ijja, einem Viertel von Gazastadt, explodierte.

Die eingangs zitierte Überschrift des Guardians ist leider falsch adressiert. Mitnichten bringen die schockierenden Vorgänge im Gazastreifen Schande "über die Welt". Weltweit herrscht darüber Entsetzen und Fassungslosigkeit. Seit Wochen gehen in den meisten Großstädten Europas und Nordamerikas Abertausende Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren. In Chicago, New York, Los Angeles und anderen Metropolen hat man wegen des Gazakrieges die größten pro-palästinensischen, israel-kritischen Demonstrationen in der Geschichte der USA erlebt. An jenen Protesten nahmen nicht nur Christen, Muslime und Konfessionslose, sondern auffallend viele Juden teil, vornehmlich aus ultra-orthodoxen, reformerischen und säkularen Kreisen. Keine Schande hat auch UN-Generalsekretär Ban ki-moon, der sich seit Beginn der Krise unermüdlich für eine diplomatische Lösung einsetzt und den Beschuß der Mädchenschule in Dschabalija als "empörend und nicht zu rechtfertigen" verurteilte, über sich gebracht. Laut Ban haben die UN-Mitarbeiter in Gaza den Standort der Schule mehrmals an das israelische Militär durchgegeben.

Wer in diesem Zusammenhang tatsächlich Schande auf sich geladen hat, kann ganz leicht benannt werden. Zuallererst trifft der Vorwurf den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und die Mitglieder seines Kabinetts, die nachweislich die Verschleppung dreier Thora-Schüler Anfang Juni als Vorwand benutzten, um eine Kriegsstimmung in der eigenen Bevölkerung zu schüren. Auf Anweisung des Kriegskabinetts in Jerusalem hat das israelische Militär als erstes den seit Ende 2012 herrschenden Waffenstillstand mit der Hamas gebrochen, als es in der Nacht vom 6. auf den 7. Juli einen Luftangriff auf einen Tunnel im Gazastreifen durchführte und dabei sechs Hamas-Kämpfer tötete. Erst daraufhin sowie vor dem Hintergrund der Festnahme Hunderter von Hamas-Mitgliedern im Westjordanland im Rahmen der großangelegten israelischen Suche nach den Leichen der drei ermordeten Thora-Schüler, hat die Islamische Widerstandsbewegung ihrerseits begonnen, Israel mit Raketen zu beschießen.

Schande über sich gebracht hat auch die politische Kaste in Washington, welche die Offensive gegen Gaza verteidigt und Israel dabei diplomatisch, finanziell, medial und militärisch unterstützt. Doch hier ist die Verantwortung etwas geteilt. Die Schuld, wenn man so will, trifft weniger die Exekutive, als vielmehr die Legislative.

Seit dem Amtsantritt als Präsident im Januar 2009 hat sich Barack Obama immer wieder für einen einigermaßen gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern stark gemacht und die Konfrontation mit Netanjahu nicht gescheut. Dafür hat Israels Premierminister bei jeder Gelegenheit den Demokraten Obama herablassend behandelt, bei der Präsidentenwahl 2012 dessen republikanischen Konkurrenten Mitt Romney offen unterstützt und zuletzt die Friedensinitiative von US-Außenminister John Kerry durch den forcierten Ausbau jüdischer Siedlungen im Westjordanland torpediert.

Höhe- bzw. Tiefpunkt der langen Reihe an Demütigungen, welche die Obama-Administration seitens der Netanjahu-Regierung seit fünfeinhalb Jahren ertragen muß, war die Ablehnung des Vorschlags, den Kerry am 27. Juli nach mehrtägigen Beratungen in der Region für eine Beendigung der Kämpfe machte. Weil der US-Außenminister mit einer vollständigen Demilitarisierung des Gazastreifens auch eine Aufhebung der ägyptischen und israelischen Blockade des eingeschlossenen Mittelmeerlandstrichs verband, wurde sein Plan als "strategischer Terroranschlag" von den Abgesandten Netanjahus brüsk abgewiesen. Dies berichtete der diplomatische Korrespondent Ari Shavit am 28. Juli in der linksliberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz. Über die beleidigende Abfuhr aus Jerusalem soll man im Weißen Haus und State Department recht erzürnt gewesen sein.

Doch viel mehr als sich darüber zu beschweren, daß das "nicht der Weg" sei, wie "Freunde und Alliierte miteinander" umgingen, wie es Kerrys Pressesprecherin Jen Psaki am 27. Juli tat, blieb der Obama-Regierung nicht, und zwar wegen der uneingeschränkten Solidarität, welche Israel aus dem Kongreß erfährt. Seit Beginn der Krise haben Senat und Repräsentantenhaus mehrere Resolutionen mit jeweils überwältigenden Mehrheiten verabschiedet, in denen Amerikas Volksvertreter ihre ewige Verbundenheit mit dem jüdischen Staat zum Ausdruck brachten. Allein am 15. Juli votierte der Verteidigungsausschuß des Senats für eine Aufstockung des US-Wehretats, die eine Erhöhung der Finanzierung des Pentagon für das israelische Raketenabwehrsystem um sage und schreibe 621,6 Millionen Dollar bedeutet. Am 27. Juli hat der Senat einstimmig und ohne jeglichen Zusatz für eine Resolution gestimmt, die das Recht Israels auf Selbstverteidigung erneut bestätigt, die Raketenangriffe der Hamas als "unprovoziert" verurteilt und Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas dazu auffordert, die Anfang Juni geschlossene Einheitsregierung zwischen seiner Fatah-Organisation und der Islamischen Widerstandsbewegung aufzulösen. Zu den Initiatoren der Resolution zählen der Republikaner Lindsey Graham aus South Carolina und der Demokrat Charles "Chuck" Schumer aus New York.

Die Politiker auf dem Washingtoner Kapitol, die seit Jahren aus Gier nach den üppigen Wahlkampfspenden der zionistischen Lobby jede differenzierte Betrachtungsweise des Nahost-Konflikts vermissen lassen und bei jeder Gelegenheit die Militaristen in Israel in ihrer unversöhnlichen Haltung gegenüber den Palästinensern stärken, haben Schande in einem erheblichen Ausmaß über sich gebracht. Anders als die Israelis und Palästinenser müssen Amerikas Kongreßabgeordnete und Senatoren nicht mit den Folgen ihrer unverantwortlichen "Israel-zuerst"-Politik leben, sondern sitzen vom Krisenschauplatz weit entfernt und sicher auf der anderen Seite des Atlantiks. Am 28. Juli nahm Schumer zusammen mit anderen New Yorker Politikern an einer pro-israelischen Veranstaltung auf der Upper East Side in Manhattan, unweit des UN-Hauptquartiers, teil. Als Rabbi David-Seth Kirshner, der Vorsitzende der New York Board of Rabbis, nicht nur bewaffnete Palästinenser, sondern alle, die 2006 bei den Parlamentswahlen für die Hamas gewählt haben - also rund 440.000 Menschen, - zu Kriegsteilnehmern erklärte und ihnen den Status als Zivilisten absprach, haben Tausende Demonstrationsteilnehmer, darunter Schumer und andere Politiker, kräftig applaudiert.

Inzwischen liegt die Zahl der palästinensischen Opfer von Operation Protective Edge bei 1376 Toten - darunter rund 300 Hamas-Kämpfer - und 7677 Verletzten. Auf israelischer Seite gibt es 56 tote Soldaten und drei tote Zivilisten zu beklagen. Ungeachtet der jüngsten Appelle Obamas an die Adresse Netanjahus nach einer bedingungslosen Waffenruhe hat CNN am 30. Juli die Freigabe größerer Mengen Munition aus Beständen, welche die US-Armee seit Jahrzehnten in Israel für den Notfall bereithält, an die israelischen Streitkräfte bekanntgegeben. Wegen schnell schrumpfender Eigenbestände hatte das israelische Militär am 20. Juli die Munitionshilfe beantragt. Dem Antrag wurde drei Tage später stattgegeben. Ob das Pentagon die Entscheidung allein getroffen hat oder das Weiße Haus daran beteiligt war, ist unklar. So jedenfalls wird das Blutvergießen in Gaza noch eine ganze Weile andauern. Zwecks Bodenoffensive und Zerstörung der Tunnel der Hamas hat Netanjahu inzwischen weitere 16.000 Reservisten mobilisiert.

31. Juli 2014