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NAHOST/1311: Interveniert Israel im Bürgerkrieg in Syrien? (SB)


Interveniert Israel im Bürgerkrieg in Syrien?

Durchhaltevermögen Assads löst Ungeduld in Tel Aviv aus



Nach dem Rücktritt des UN-Sondervermittlers, des ehemaligen algerischen Außenministers Lakhdar Brahimi, sind die Aussichten auf eine baldige Verhandlungslösung für den Krieg in Syrien, der seit 2011 rund 150.000 Menschen das Leben kostete, gering. Die Regierung in Damaskus, deren Truppen Anfang Mai nach langen, schweren Kämpfen wieder die Kontrolle über die strategisch wichtige Stadt Homs übernommen haben, will am 3. Juni eine Präsidentenwahl durchführen. Es können sich erstmals mehrere Kandidaten bewerben, allerdings werden den weitgehend unbekannten Gegenkandidaten keine reellen Chancen gegen den populären Amtshinhaber Baschar Al Assad eingeräumt. Über das Durchhaltevermögen des "Regimes" in Damaskus sind die Gegner Assads, darunter Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Türkei und die USA sowie Jordanien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die sich anmaßend die "Freunde Syriens" nennen, unglücklich. Kopfzerbrechen bereiten ihnen zudem die blutigen Kämpfe unter den Rebellenverbänden, bei denen sich "extremistische" Gruppen wie die Al-Nusra-Front und Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) gegen die eher säkular ausgerichtete Freie Syrische Armee (FSA) durchsetzen.

Beim jüngsten Treffen der "Freunde Syriens" am 15. Mai in London haben US-Außenminister John Kerry und sein französischer Amtskollege Laurent Fabius vor der Presse das Leid der syrischen Zivilbevölkerung beklagt und der Regierung in Damaskus dafür die Hauptschuld gegeben, unter anderem indem sie ohne jeglichen Beweis behaupteten, die syrischen Streitkräfte hätten in den zurückliegenden Monaten wiederholt Chlorin als chemische Waffe bei Angriffen auf Stellungen der Aufständischen in dichtbevölkerten Wohngebieten eingesetzt. Eine zentrale Frage beim großen Powwow der Feinde Assads an der Themse lautete, wie sich die laufende Unterstützung für die Rebellen am effektivsten steigern ließe, ohne dabei den Anhängern eines Kalifats mit Scharia noch weiteren Auftrieb zu verleihen. Seit einiger Zeit erhält die FSA von den USA Anti-Panzer-Raketen vom Typ TOW. Die Regierung Barack Obama scheut sich jedoch bislang, die Forderung der Rebellen nach Boden-Luft-Raketen zu erfüllen aus Angst, diese könnten in die Hände der sunnitischen Dschihadisten fallen und von ihnen auch dazu genutzt werden, um die eine oder andere Passagiermaschine abzuschießen.

Unter den besonders aggressiven Befürwortern eines "Regimewechsels" in Damaskus herrscht große Unzufriedenheit darüber, daß sich Obama im vergangenen September gegen die Durchführung eines großangelegten Raketenangriffs der US-Streitkräfte auf die staatliche syrische Armee entschieden hat. (Den Vorwand dazu sollte ein verheerender Giftgasangriff bieten, der am 21. August in Ghouta, einem Vorort von Damaskus, erfolgte und allem Anschein nach eine Falsche-Flagge-Operation der Rebellen mit Hilfe ausländischer Geheimdienste war.) Zu den eifrigsten Assad-Gegnern gehören die US-Neokonservativen und militaristische Kreise in Israel. Bei letzteren bekommt man den Eindruck, daß sie in Syrien nicht auf die anderen "Freunde" warten, sondern den Lauf der Dinge im eigenen Sinne beschleunigen wollen.

Israel hat in den letzten drei Jahren schon mehrmals in das Geschehen im Nachbarland punktuell eingegriffen. Im Mai 2013 führte die israelische Luftwaffe massive Angriffe auf einem Militärstützpunkt nahe Damaskus durch. Zweck der Operation soll die Vernichtung von ballistischen Raketen aus iranischer Produktion gewesen sein, die zur schiitischen Hisb-Allah-Miliz im Libanon transportiert werden sollten. Im Juli 2013 soll es zu weiteren ähnlichen Angriffen der israelischen Streitkräfte auf Ziele in der syrischen Hafenstadt Latakia und im libanesischen Bekaatal gekommen sein. Seit längerem nutzen syrische Rebellen die von den Israelis besetzten Golan-Höhen als Rückzugsgebiet. Ihre Verletzten werden dort von israelischen Militärärzten behandelt. Vor zwei Monaten flog die israelische Luftwaffe Vergeltungsangriffe gegen Stellungen der syrischen Armee, nachdem vier israelische Soldaten bei einer Kontrollfahrt entlang der Grenze in den Golan-Höhen durch die Explosion einer Mine verletzt worden waren.

Am 8. Mai meldete Richard Silverstein auf seinem vielbeachteten Blog Tikkun Olam unter Berufung auf den privaten Nachrichtendienst Intelligence Online und die libanesische Online Zeitung Al-Akhbar den gewaltsamen Tod des syrischen Generals Samir Al Sheikh, der zuletzt die Arbeit des Militärgeheimdiensts im südlichen Syrien, das heißt in der Provinz Dera'a, einer Hochburg der Rebellen, sowie im syrischen Restteil des Golans, koordiniert hatte. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge kam Al Sheikh am 18. April nicht bei einem Bombenanschlag ums Leben, was auf eine Urheberschaft der Aufständischen hätte tippen lassen, sondern wurde von einem Scharfschützen erschossen. Da sich die Rebellen nicht zu dem Attentat bekannten, wird vermutet, daß der Mossad hinter der Aktion steckt. Für diese These sprechen laut Al-Akhbar und Silverstein Hinweise aus anonymen Quellen des libanesischen bzw. israelischen Sicherheitsapparats. Demnach war Al Sheikh für die zunehmende Aktivität der Hisb-Allah-Miliz nahe der Golan-Höhen, einschließlich der bereits erwähnten Minenexplosion am 19. März, verantwortlich und mußte deshalb sterben.

In einem aufsehenerregenden Interview, das am 12. Mai bei der Times of Israel erschienen ist, hat Generalmajor a. D. Amos Yadlin, der während seiner Dienstzeit bei den israelischen Streitkräften Stellvertretender Oberbefehlshaber der Luftwaffe und Chef des Militärgeheimdienstes war, für ein Eingreifen Israels in den syrischen Bürgerkrieg plädiert. Yadlin listete die drei "roten Linien" auf, die Verteidigungsminister Moshe Ya'alon letztes Jahr in Bezug auf Syrien verkündet hatte und deren Überschreiten Tel Aviv zum Handeln zwingen würde. Der ersten, ein grenzübergreifender Angriff der syrischen Streitkräfte, zweiten, das Gelangen von Chemiewaffen in den Besitz der Rebellen, und dritten Linie, die Weitergabe hochmoderner Waffen an die Hisb-Allah-Miliz, fügte der Ex-Militär noch eine vierte hinzu: "Die Ermordung von Zivilisten in einem Ausmaß", das wir [Israel - Anm. d. SB-Red.] nicht tatenlos hinnehmen können." Hier bezog sich Yadlin direkt auf dieselben unbestätigten Berichte über Giftgsaseinsätze in Syrien, die Kerry und Fabius zwei Tage später in London ins Feld führen sollten. Der heutige Leiter des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien an der Universität von Tel Aviv machte sich für die Durchsetzung einer Flugverbotszone der NATO über dem syrischen Luftraum stark, um Assads Luftwaffe matt zu setzen. Sollte jedoch keine Einigung über ein multinationales Vorgehen möglich sein, sollte Israel einen Alleingang erwägen, um einen Sieg der Assad-Truppen über die Rebellen zu verhindern, so Yadlin.

In einem weiteren Interview, das am 14. Mai bei der Times of Israel erschienen ist, sprach sich ein nicht namentlich genannter, ehemaliger syrischer Offizier, der vor einiger Zeit zur FSA übergelaufen ist, für eine verdeckte israelische Unterstützung der Rebellen aus. Als ersten Schritt schlug er den Einsatz von israelischen Störsendern vor, um die Entfaltungsmöglichkeiten der syrischen Luftwaffe einzuschränken: "... hiermit könnte man auf dem Golan beginnen und die Aktivitäten nach und nach auf Dera'a und die Region um Damaskus ausweiten. Am Anfang wäre Israels Rolle bei der Unterstützung der FSA zwar geheim, aber effektiv. Später könnte man eine Flugverbotszone verhängen, welche die Schaffung von FSA-verwalteten Flüchtlingslagern auf syrischem Territorium erlaubt." Aus der Warnung des Rebellenoffiziers, daß ein Bekanntwerden einer Zusammenarbeit zwischen FSA und den israelischen Streitkräften "kontraproduktiv" wäre und deshalb vermieden werden müßte, läßt sich schließen, daß ein stärkeres Engagement Israels im syrischen Bürgerkrieg, sollte es dazu kommen, vorerst im verborgenen stattfinden wird.

16. Mai 2014