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NAHOST/1277: Keine schnelle Beendigung des Syrienkrieges in Sicht (SB)


Keine schnelle Beendigung des Syrienkrieges in Sicht

Die USA verlieren das Interesse an der Destabilisierung Syriens



Am 22. Januar sollen in Genf unter der Schirmherrschaft der USA und Rußlands Friedensverhandlungen zur Beendigung des zweieinhalb Jahre andauernden Bürgerkrieges in Syrien beginnen. Sowohl die Regierung in Damaskus als auch der oppositionelle Syrische Nationalrat haben ihre Teilnahme an den Gesprächen ohne Vorbedingungen zugesagt. Die wichtigsten Regionalakteure, allen voran der Iran und Saudi-Arabien, sollen ebenfalls Vertreter in die Schweiz schicken. Für die mehr als zwei Millionen syrischen Kriegsflüchtlinge in der Türkei, dem Libanon, Jordanien und dem Irak wäre der große Durchbruch in Genf zu wünschen. Die Vertracktheit der politischen und militärischen Lage in Syrien sowie die angespannten Verhältnisse der rivalisierenden ausländischen Mächte lassen jedoch keine großen Hoffnungen aufkommen.

Die plötzliche Entscheidung von US-Präsident Barack Obama Anfang September, die angedrohten Raketenangriffe auf Stellungen der syrischen Streitkräfte nicht durchzuführen und statt dessen den Verzicht Baschar Al Assads auf das komplette Chemiewaffenarsenal Syriens zu akzeptieren, hat nicht nur eine weitere Eskalation des dortigen Konfliktes, an dem sich inzwischen schiitische Hisb-Allah-Kämpfer aus dem Libanon und sunnitisch-salafistische Mudschaheddin aus der ganzen Welt beteiligen, verhindert, sondern auch ein Ende der diplomatischen Eiszeit zwischen Washington und Teheran eingeleitet. Nach der Einigung auf eine Zwischenlösung im Streit um das iranische Atomprogramm Ende November besteht inzwischen die Aussicht, daß die USA und die Islamische Republik ihren Einfluß geltend machen und zusammen mit Rußland und der Türkei die Streitparteien in Syrien an einen Tisch bringen.

Wie inzwischen bekannt geworden ist, haben Geheimgespräche, die über Monate zwischen Unterhändlern aus den USA und dem Iran in Muskat, der Hauptstadt Omans, stattfanden, die Annäherung zwischen Washington und Teheran ermöglicht. Man kann davon ausgehen, daß bei diesen Unterredungen, die noch im April - und damit bereits vor der Wahl des Reformers Hassan Rohani zum neuen Präsidenten des Irans im Juli - begannen und an denen US-Außenminister John Kerrys Stellvertreter William Burns und Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von Vizepräsident Joe Biden, teilnahmen, alle Streitpunkte, darunter auch Syrien, behandelt wurden. Sehr zur Verärgerung der Regierungen in Israel und Saudi-Arabien sowie deren Freunde im US-Kongreß scheint sich die demokratische Obama-Administration immer mehr vom einstigen Ziel der Republikaner George W. Bush und Dick Cheney, den "schiitischen Bogen" zwischen Südlibanon, Syrien und Iran zu zerschlagen, zu verabschieden. Anders ist die spektakuläre Meldung der kuwaitischen Zeitung Al-Rai vom 27. November nicht zu interpretieren, wonach Washington unter Vermittlung Londons indirekte Geheimgespräche mit der Hisb Allah, die in den USA heute immer noch offiziell als "Terrororganisation" gilt, führt.

Interessant in diesem Zusammenhang sind Äußerungen, mit denen Ryan Crocker am 4. Dezember in der New York Times zitiert wurde. Crocker gehört zu den erfahrensten Ex-Diplomaten der USA, der unter George Bush sen. im Libanon, unter Bill Clinton in Kuwait und Syrien, unter George Bush jun. in Pakistan und im Irak sowie unter Obama in Afghanistan als Botschafter gedient hat. In dem NYT-Artikel mit der Überschrift "Jihadist Groups Gain in Turmoil Across Middle East" ging es um das zunehmende Chaos, das Gruppen wie Al Kaida, Al Nusra, Ansar Al Scharia die pakistanischen Taliban u. v. m. in der Region zwischen Indischem Ozean und Mittelmeer verursachen und wie die USA als globale Ordnungsmacht diesen am besten begegnen könnte. Vor diesem Hintergrund kam Crocker, der bereits 2002 öffentlich vor den Folgen des gewaltsamen Sturzes Saddam Husseins im Irak gewarnt hatte, zu folgendem bemerkenswerten Schluß: "Wir müssen wieder anfangen mit dem Assad-Regime zu reden. Es wird natürlich sehr leise erfolgen müssen. Doch so schlimm, wie Assad ist, ist er noch lange nicht so schlimm wie die Dschihadisten, die an seine Stelle treten könnten."

Im Gegensatz zum Syrischen Nationalrat, lehnen die extremistischen Gotteskrieger, die in Syrien den Grundstein für ein größeres "Kalifat" legen wollen, jede Teilnahme an den geplanten Friedensverhandlungen in Genf ab. So unterschiedlich derzeit die Positionen des Syrischen Nationalrats und der Regierung in Damaskus sein mögen - ersterer will die Bildung einer Übergangsadministration unter Ausschluß von Baschar Al Assad, zweitere hingegen will Syriens Präsident als Staatsoberhaupt bis zu den nächsten Wahlen behalten -, besteht dennoch die Chance, daß sich beide Seiten zu einer Art Anti-Terror-Koalition gegen die gewaltbereiten sunnitischen Fundamentalisten zusammenfinden könnten. Über eine solche Entwicklung wird nicht nur in der arabischen Presse seit Wochen spekuliert. Da stellt sich die Frage, wie sich Saudi-Arabien, der Hauptförderer des Dschihadistentums in Syrien, in einer solchen Situation verhalten würde. Die verschiedenen Optionen Riads hat wahrscheinlich Prinz Bandar, der saudische Geheimdienstchef und Nationale Sicherheitsberater, am 2. November nahe Moskau zusammen mit Rußlands Präsident Wladimir Putin ausgelotet. Über den Inhalt des Gesprächs in Putins Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo ist bis auf Allgemeinplätze leider nichts nach außen gedrungen.

5. Dezember 2013