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NAHOST/1224: NATO-Waffen heizen den Krieg in Syrien an (SB)


NATO-Waffen heizen den Krieg in Syrien an

Verstoßen Waffenlieferungen für die Rebellen gegen EU-Waffenembargo?



Sowohl in den Vereinigten Staaten von Amerika als auch der Europäischen Union tobt aktuell auf diplomatischer Ebene eine lebhafte Diskussion darüber, ob man nicht dazu übergehen sollte, den Rebellen in Syrien nicht nur humanitäre, sondern auch militärische Hilfsmittel zukommen zu lassen. Die Scheindebatte soll die Öffentlichkeit von der Tatsache ablenken, daß die NATO praktisch von Anfang an die militanten Gegner der Regierung in Damaskus, bei denen es sich hauptsächlich um sunnitische Dschihadisten handelt, welche die USA und ihre Verbündeten anderswo der Welt unter dem Vorwand des "globalen Antiterrorkrieges" bekämpfen, auf jede erdenkliche Weise unterstützen, sie mit Waffen beliefern und von den eigenen Spezialstreitkräften ausbilden lassen.

Bereits Ende November 2011 berichtete die konservative britische Zeitung Daily Telegraph vom Treffen des libyschen Islamistenkommandeurs Abdulhakim Belhadj mit Vertretern der "Freien Syrischen Armee" in Istanbul sowie an der türkischen Grenze zu Syrien. Bei der "geheimen" Mission Belhadjs in der Türkei, die ohne Kenntnis bzw. Zustimmung der Regierung in Ankara kaum hätte stattfinden können, ging es darum, wie die kampferprobten libyschen Revolutionäre, die kurz zuvor mit der Unterstützung der NATO Muammar Gaddhafi gestürzt und ermordet hatten, in Syrien bei der Beseitigung des "Regimes" Baschar Al Assads und der Errichtung eines islamischen Gottesstaats helfen könnten. Seitdem sind Tausende todesbereite Fanatiker aus Libyen über die Türkei und den Libanon nach Syrien geschleust worden. Aus Libyen erhalten die Aufständischen in Syrien größere Mengen von Waffen aus den Depots der früheren Armee Gaddhafis. Sie bekommen auch Rüstungsgüter von Saudi-Arabien und Katar - was den Segen Washingtons voraussetzt, da beide Länder ihre Waffen fast ausnahmslos in den USA kaufen.

Die New York Times enthüllte am 25. Februar, daß die syrischen Rebellen seit einiger Zeit mit Waffen und Munition aus Kroatien beliefert werden. Am 8. März hat der britische Daily Telegraph unter Verweis auf einen entsprechenden Bericht der kroatischen Zeitung Jutarnji List das Wissen über Umfang und Art dieser Waffenlieferungen erweitert (Die Berichterstattung des Telegraph ist in diesem Zusammenhang nicht unbedeutend, gilt die altehrwürdige Zeitung doch als Hauspostille des britischen Militärestablishments). Demnach wurden in den vergangenen Monaten 3000 Tonnen Waffen aus Kroatien, die zuvor auf Betreiben der USA von Saudi-Arabien gekauft worden waren, an die syrischen Rebellen geliefert. Rund 75 Mal sind vom Zagreber Flughafen Frachtflugzeuge voller Waffen Richtung Nahost gestartet. An den meisten Transportflügen waren Maschinen des Unternehmens Jordanian International Air Cargo beteiligt, die wahrscheinlich nach Amman geflogen sind. Aber auch türkische Frachtflugzeuge sind in Zagreb gesichtet worden.

Beim Kriegsmaterial soll es sich nicht nur um Gewehre und Maschinengewehre, sondern auch um Raketenwerfer und Anti-Panzerraketen handeln. Der Daily Telegraph verweist dabei auf den Waffenexperten Eliot Higgins, der in seinem Blog Brown Moses anhand von Videoaufnahmen aus dem Kriegsgebiet den Weg der Verbreitung besagter Waffen von Deraa an der Grenze zu Jordanien nach Idlib und Aleppo im Norden Syriens, nahe der Grenze zur Türkei, nachzeichnete.

Westliche Regierungsvertreter wie William Hague und John Kerry argumentieren in letzter Zeit, daß man die säkularen unter den syrischen Rebellengruppen aufrüsten müsse, damit sich diese gegenüber den religiösen Kampfverbänden durchsetzen. Im Bericht der New York Times hieß es damals, die Waffen aus Kroatien gingen größtenteils an nationalistische und säkulare Kräfte unter den syrischen Aufständischen. Dem widersprechen die Beobachtungen von Eliot Higgins. Auf seinem Blog postete er am 1. März mehrere Bilder, auf denen Freiwillige der sunnitischen Gruppe Ahrar al-Sham bei Gefechten im Nordwesten Syriens offenbar Waffen aus den kroatischen Lieferungen einsetzten.

Interessanterweise sollen nicht alle von Kroatien nach Syrien exportierten Waffen aus Beständen der Streitkräfte der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien stammen. Im Telegraph verweist Nahost- Korrespondent Richard Spencer darauf, daß es im Bericht der kroatischen Jutarnji List geheißen hätte "... neben Kroatien kamen die Waffen 'aus mehreren anderen europäischen Ländern, darunter Großbritannien', ohne näher zu spezifizieren, ob es sich um britisch hergestellte oder britisch gekaufte Rüstungsgüter handelte". Kroatien, das erst am 1. Juli der EU beitritt, ist zur Einhaltung des von Brüssel verhängten Waffenembargos nicht verpflichtet, Großbritannien und die anderen hierbei nicht namentlich genannten "europäischen Länder" dagegen schon.

Wenn es darum geht, ihren Verbündeten zum Sieg gegen "Schurkenstaaten" oder "Unrechtsregime" zu verhelfen, ignorieren die westlichen Großmächte gern ihre eigenen Waffenembargos. Warum sollten sich die NATO-Staaten in der Syrien-Krise anders verhalten als vor 20 Jahren bei den Kriegen in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo? Auch dort hatte man bosnische Muslime und Kosovo-Albaner zum Teil illegal aufgerüstet und ihnen muslimische Glaubenskrieger an die Seite gestellt. Daß sich westliche Politiker vor unangenehmen Fragen hinsichtlich eventueller eigener Verstöße gegen gültige UN-Waffenembargos nicht fürchten müssen, zeigt die schwache Resonanz auf ein spektakuläres Urteil in Argentinien in der europäischen und US-Presse.

In Buenos Aires wurden am 8. März der frühere argentinische Präsident Carlos Menem, der in der Außenpolitik stets ein enger Verbündeter der USA war, und sein früherer Verteidigungsminister Oscar Camilion von einem Berufungsgericht schuldig gesprochen, zwischen 1991 und 1995 den Schmuggel von 6.500 Tonnen Waffen nach Kroatien genehmigt und damit gegen nationales und internationales Recht verstoßen zu haben. Beiden Männern drohen nun Freiheitsstrafen von vier bis zwölf Jahren. In den nordamerikanischen und westeuropäischen Medien wurde über den Schuldspruch gegen den 82jährigen Menem wenig bis gar nicht berichtet - vielleicht weil ein Teil der von Kroatien an die syrischen Rebellen gelangten Waffen ursprünglich aus Argentinien kommt?

11. März 2013