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NAHOST/1200: Iraner feuerten nahe Kuwait auf US-Spionagedrohne (SB)


Iraner feuerten nahe Kuwait auf US-Spionagedrohne

USA und Iran auf Versöhnungskurs - solange nichts dazwischen kommt



Gerade ein Tag nach der Wiederwahl Barack Obamas als US-Präsident ist ein Vorfall publik geworden, der einen Schatten auf die Bemühungen um eine friedliche Lösung des "Atomstreits" zwischen Washington und Teheran wirft. Zwei Kampfjets der iranischen Revolutionsgarden haben am 1. November am Persischen Golf das Feuer auf eine unbewaffnete US-Aufklärungsdrohne eröffnet, ohne diese jedoch zu treffen. Der letzte Zwischenfall, in dem sich die Streitkräfte der USA und des Irans dermaßen gefährlich nahekamen, liegt vier Jahre zurück. In der Straße von Hormus näherten sich damals fünf Schnellboote der iranischen Revolutionsgarden drei US-Kriegsschiffen. Aus Furcht vor einem eventuellen Selbstmordangriff stand der Kapitän eines US-Zerstörers kurz davor, den Feuerbefehl auf eines der iranischen Schnellboote zu erteilen. Glücklicherweise drehten die Iraner noch rechtzeitig ab.

Nachdem der US-Nachrichtensender Cable News Network (CNN) als erstes Presseorgan den jüngsten Vorfall am 8. November bekannt gemacht hatte, bestätigte Pentagon-Sprecher George Little die Angaben wenig später auf seiner täglichen Pressekonferenz. Laut Little ereignete sich der Zwischenfall im internationalen Luftraum. Die US-Drohne sei "niemals im iranischen Luftraum eingedrungen", behauptete er. Er erinnerte daran, daß die international anerkannte Staatsgrenze zwölf Seemeilen - umgerechnet 22,2 Kilometer - von der Küste des jeweiligen Landes verläuft, und erklärte, die Predator-Drohne habe zu keinem Zeitpunkt diese Linie überschritten.

Ohne die Angaben Littles in Zweifel ziehen zu wollen, ist die Frage, ob die US-Drohne in den iranischen Luftraum eingedrungen ist oder nicht, schwieriger zu beantworten, als man zunächst annehmen möchte. Der Vorfall trug sich am nördlichen Ende des Persischen Golfs, östlich von Kuwait zu, wo die Flüsse Tigris und Euphrat zum Schatt Al-Arab zusammenfließen. An dessen Mündung kommen die Staatsgebiete Kuwaits, des Iraks und des Irans zusammen. Der Grenzverlauf in jener Region ist bis heute nicht endgültig und zur Zufriedenheit aller Parteien geklärt. 1980 brach wegen eines Disputs über die genaue Grenzlinie am Schatt Al-Arab der Iran-Irak-Krieg aus, der acht Jahre dauern und Hunderttausende Menschen das Leben kosten sollte. Vor diesem Hintergrund ist es möglich, daß sich die Predator-Drohne aus Sicht der Amerikaner noch im internationalen Luftraum befand, jedoch nach Meinung der Iraner bereits ihre Souveränität verletzte.

Auf den Stand- und Videoaufnahmen der Drohne soll zu sehen sein, wie sich zwei Kampfjets vom Typ Su-25 der iranischen Revolutionsgarden dem unbemannten Aufklärungsflugzeug nähern und mehrere Schüsse aus ihren 30-mm-Bordkanonen abfeuern. Da die Kugeln ihr Ziel verfehlen und der Predator abdreht, setzen die die schnelleren iranischen Maschinen zu einer Verfolgung an. Ohne weitere Schüsse abzugeben, umrunden die Iraner das pilotlose Flugzeug, bevor sie selbst abdrehen und zum iranischen Festland zurückfliegen. Die USA haben das Vorgehen nicht offiziell als kriegerischen Akt definiert, gleichwohl aber über die Schweizer-Botschaft in Teheran der iranischen Regierung eine entsprechende Protestnote zukommen lassen.

Wieso die iranischen Piloten die Drohne mit ihren Schüssen verfehlten, ist den US-Militärs unklar. Man weiß nicht, ob sie schlecht gezielt haben oder bewußt nur Warnschüsse abgeben wollten. Am 4. Dezember 2011 haben die Iraner eine US-Tarnkappendrohne vom Typ RQ-170 Sentinel - die sogenannte "Bestie von Kandahar" -, die von einem Stützpunkt im Süden Afghanistans gestartet war und eine Aufklärungsmission über den Iran, womöglich über dessen Atomanlagen, flog, auf elektronischem Weg gekapert und zur Landung in der Islamischen Republik gezwungen. Dabei sollen sie sogar den Selbstzerstörungsmechanismus überlistet haben, indem sie den Rechner der Drohne mit Daten fütterten, die dem Flugzeug suggerierten, es befände sich auf dem Rückweg in seine Heimatbasis. Jedenfalls war die Entführung jener Wunderwaffe der Amerikaner für das Pentagon und das Weißes Haus eine ziemliche Blamage. Die Iraner haben nicht nur stolz das hypermoderne Fluggerät der internationalen Presse vorgestellt, sondern sollen sogar Russen und Chinesen zu einer Inspektion eingeladen haben.

Vermutlich aus Angst vor Negativschlagzeilen wenige Tage vor der Präsidentenwahl hat die Obama-Regierung den jüngsten militärischen Zwischenfall am Persischen Golf nicht an die große Glocke gehängt. Wäre der aggressive Akt der Iraner zeitnah bekannt geworden, hätte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney die Episode zur Untermauerung seiner These, Obama lasse den Iranern zuviel durchgehen, Washington müsse dem "Mullah-Regime" energischer entgegentreten, ausgeschlachtet. Ob dies den Wahlausgang zu Romneys Gunsten entscheidend beeinflußt hätte, werden wir nie erfahren.

Von den iranischen Schüssen auf die Predator-Drohne einmal abgesehen, sieht es derzeit so aus, als könnte es Obama in seiner zweiten Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten tatsächlich schaffen, das Kriegsbeil zwischen den USA und dem Iran zu begraben. Am 5. November meldete die israelische Tageszeitung Yedioth Ahranoth in ihrer Online-Ausgabe, daß Valerie Jarrett, eine ranghohe Mitarbeiterin im Weißen Haus und alte Freundin von Obama und seiner Frau Michelle aus früheren Tagen in Chicago, in Geheimgesprächen mit Vertrauten von Ajatollah Ali Khamenei, dem geistigen Oberhaupt der Islamischen Republik, Wege zur Beendigung des "Atomstreits" auslote. Dabei kommt Jarrett zugute, daß sie 1956 im iranischen Schiraz geboren wurde. Auf iranischer Seite scheint prinzipielles Interesse an einer Verständigung mit den USA vorzuherrschen. In Hinblick auf den Sieg Obamas bei der Präsidentenwahl sagte Mohammed Javad Laridschani, der Bruder des einflußreichen Parlamentspräsidenten Ali Laridschani, laut New York Times am 8. November, daß bilaterale Gespräche zwischen Washington und Teheran "kein Tabu" seien, die Iraner würden "mit den USA selbst in der tiefsten Hölle verhandeln", wenn es ihrem Land diene.

9. November 2012