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NAHOST/1190: US-Spezialstreitkräfte sollen Libyen befrieden (SB)


US-Spezialstreitkräfte sollen Libyen befrieden

Libyen lernt die moderne Aufstandsbekämpfung à la Pentagon kennen



Im US-Präsidentschaftswahlkampf spielt der Streit um die Umstände des Überfalls auf das amerikanische Konsulat im libyschen Benghazi am 11. September, als der US-Botschafter Christopher Stevens und drei weitere Amerikaner ums Leben kamen, eine nicht geringe Rolle. Die Republikaner und ihr Kandidat Mitt Romney werfen der demokratischen Regierung Präsident Barack Obamas vor, den Überfall in Benghazi zunächst zu einem Teil der Proteste in der islamischen Welt gegen die Veröffentlichung eines Mohammed-Schmähvideos im Internet erklärt zu haben, um von den eigenen Versäumnissen bei der Sicherung des Konsulats abzulenken, und verspätet und widerwillig zugeben haben, daß es sich um eine gezielte "Terroraktion" seitens al-kaida-nahen Kräfte handelte.

Ein Tag vor der zweiten Fernsehdebatte zwischen Romney und Obama, den letzterer wegen seiner überraschend schwachen Leistung in der ersten gewinnen mußte, hat Außenministerin Hillary Clinton dem Präsidenten Schützenhilfe geleistet. Auf einer Pressekonferenz bei einem Besuch in der peruanischen Hauptstadt Lima am 15. Oktober übernahm die ehemalige First Lady die politische Verantwortung für das Versäumnis des State Department, nach Erhalt entsprechender Hinweise auf verstärkte Aktivitäten anti-westlicher Kräfte in der ostlibyschen Hafenstadt, nicht die nötigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben. In der Fernsehdebatte selbst könnte Obama laut Umfragen diesmal Romney besiegen, unter anderem weil er geltend machte, gleich am Tag nach dem Anschlag bei einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses die Ermordung von Stevens und drei seiner Mitarbeiter wörtlich als "Terrortat" verurteilt und Vergeltung angekündigt zu haben.

Angeblich hat eine Sondereinheit von US-Spezialstreitkräften in der Nähe Benghazis Stellung bezogen, um gegen die Mörder von Stevens vorgehen zu können; im Weißen Haus diskutiert man sogar darüber, ob man die Vergeltungsaktion noch in der verbliebenen Frist vor der Präsidentenwahl am 6. November durchführen oder lieber bis danach warten sollte. Dies berichtete am 15. Oktober die Nachrichtenagentur Associated Press unter der Überschrift "White House mulling response to Libya attack Weeks ahead of elections". Die Entscheidungsfindung fällt offenbar deshalb schwer, weil die US-Behörden die Täter, die der Gruppe Ansar Al Schariah zugerechnet werden, immer noch nicht identifiziert haben.

Dieser Umstand hängt mit der Tatsache zusammen, daß die Hintergründe des Überfalls bis heute unklar geblieben sind. Zwar gab es am besagten Abend vor dem Tor des Konsulats in Benghazi entgegen erster Meldungen keine Proteste gegen das wenige Tage zuvor im Internet erschienene Mohammed-Video, doch läßt sich nicht ausschließen, daß die Empörung darüber der Anlaß für die Angreifer war loszuschlagen. Gleichwohl spricht die Art des Überfalls - koordinierte Angriffe Dutzender schwerbewaffneter Männer aus zwei Richtungen auf das Objekt -, daß er schon länger in der Planung war. Nach dem Vorfall wurde bekannt, daß die CIA ohne Wissen der neuen libyschen Regierung in Tripolis heimlich eine personell ziemlich große Station am US-Konsulat in Benghazi unterhielt. Womöglich war sie das eigentliche Ziel des Angriffs. Offenbar haben die Täter den USA weit mehr Schaden als nur den ersten gewaltsamen Tod eines Botschafters im Dienst seit 1978 zugefügt, was wiederum Washingtons Durst nach Rache erklärt.

Im besagten AP-Bericht heißt es, die Überlegungen des Weißen Hauses hinsichtlich der Art von Vergeltungsaktion schließen verschiedene Möglichkeiten ein. Sie reichen von Festnahme und Verschleppung der mutmaßlichen Stevens-Mörder in die USA, sobald man sie und ihren Aufenthaltsort ausgemacht hat, bis hin zu einer großangelegte Aktion gegen Al Kaida im Maghreb (AKIM), sozusagen die Mutterorganisation von Ansar Al Scharia. Seit dem letzten Jahr machen die AKIM und ihre diversen Untergruppierungen nicht nur Libyen unsicher. Sie haben die Kontrolle über den Norden Malis übernommen und führen vereinzelte Anschläge gegen Ziele in Tunesien und Algerien durch.

Innerhalb der Obama-Regierung scheint die Idee vorzuherrschen, es wäre besser, bis nach der Wahl mit der Vergeltungsmaßnahme zu warten, weil sie nach hinten losgehen könnte. Man könnte zwar eine große symbolische Aktion durchführen lassen, wie 1998 Bill Clinton nach den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam einen Raketenangriff auf eine Chemiefabrik im Sudan anordnete. Doch was wenn die AKIM noch vor dem Urnengang in den USA zurückschlägt? Oumar Ould Hamaha, Sprecher der Islamisten im Norden Mali, hat jede Verwicklung der AKIM in die Ereignissen von Benghazi bestritten und vor einer westlichen Militärintervention gewarnt. "Sollte Amerika gegen uns losschlagen, versprechen ich Ihnen, daß wir den Anschlag vom 11. September um das Zehnfache steigern werden."

Derzeit beraten die NATO-Mächte Frankreich und USA ohnehin über eine gemeinsame Militärintervention in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union (AU), um den Norden Malis wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig will das Pentagon die Militärkooperation mit den neuen Regierung in Tripolis forcieren, um auch in Libyen das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Darüber berichtete am 16. Oktober die New York Times unter Überschrift "U.S. to Help Create an Elite Libyan Force to Combat Islamic Extremists". Demnach sollen die US-Spezialstreitkräfte bei der libyschen Armee eine Eliteeinheit von rund 500 Mann, deren Mitglieder English und Aufstandsbekämpfung lernen sowie modernste Waffen erhalten werden, ausbilden, damit sie islamistischen Gruppen im eigenen Land den Garaus macht. Als Vorbild dienen ähnliche Programme der US-Spezialstreitkräfte im Jemen und in Pakistan, die im großen Stil von Raketenangriffen der CIA, die per Drohne erfolgen und vielen Zivilisten das Leben kosten, begleitet werden.

Ironischerweise wird im NYT-Artikel der Analytiker Frederic Wehrey vom Carnegie Endowment for International Peace, der im September, nach einem mehrwöchigen Besuch in Libyen, den Bericht "The Struggle for Security in Eastern Libya" veröffentlichte, mit der Befürchtung zitiert, die neue Einheit könnte von den libyschen Islamisten unterwandert und zu einem "trojanischen Pferd" umfunktioniert werden. Führt man sich die Lage in Afghanistan vor Augen, wo sich die NATO-Streitkräfte immer mehr tödlichen Angriffen ihrer Kameraden bei der neun Armee und Polizei dort ausgesetzt sehen, ist die Sorge Wehreys nicht unbegründet.

18. Oktober 2012