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NAHOST/1109: EU-Außenminister ringen um Kompromißformel zum Palästinenserstaat (SB)


Allenfalls halbherzige Unterstützung der Palästinenser


Nachdem US-Präsident Barack Obama seinen markigen Worten keine Taten folgen und sich von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu auf ganzer Linie ausmanövrieren ließ, schwanden die ohnehin illusorischen Hoffnungen der palästinensischen Führung auf eine erfolgreiche Vermittlung Washingtons im Nahostkonflikt. Da sich US-amerikanische Unterhändler in jüngerer Zeit kaum noch in Jerusalem und Ramallah blicken ließen, setzen die Palästinenser um so mehr auf die Europäer. So hofft Ministerpräsident Salam Fajad, daß die EU-Mitgliedsstaaten den Antrag der PLO auf eine Anerkennung Palästinas als Vollmitglied der Vereinten Nationen unterstützen werden: "Was wir brauchen und worauf wir bestehen sollten, ist ein wirklicher Staat, der seinen Söhnen und Töchtern das Leben eines freien Volkes ermöglicht, unter der Souveränität des Gesetzes und im Respekt gegenüber allen Freiheitsrechten. Es kann nicht geschehen, wenn die Besatzung nicht aufhört. Wir erwarten die aktive Hilfe der internationalen Gemeinschaft, um das zu erreichen." [1]

Die EU zahlt jedes Jahr 300 Millionen Euro an die Palästinensische Autonomiebehörde sowie an Hilfs- und Entwicklungsprojekte im Westjordanland und im Gazastreifen, womit sie das israelische Besatzungsregime stabilisiert und in gewissem Umfang finanziell für dessen Folgen aufkommt. Wäre die Unterstützung der Palästinenser mehr als ein Feigenblatt, müßten die Europäer entschieden gegen die Ursache palästinensischen Elends zu Felde ziehen und ihre Haltung zu Israel überprüfen. Vor allem die besondere Beziehung zwischen Berlin und Jerusalem steht jeder Revision der Positionierung im Nahostkonflikt im Wege. Sollten die Palästinenser auf ihrem Vorhaben beharren und in der UNO-Generalversammlung ein Votum für die Aufnahme ihres Staates erwirken, will die israelische Regierung alle bisherigen Friedensverträge mit ihnen streichen. Dann werde es einen neuen Krieg im Nahen Osten geben, wie der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Ariel Muzicant, für den Fall einer Abstimmungsniederlage Israels prognostizierte. [2]

Präsident Mahmoud Abbas will am 20. September UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon einen von der Arabischen Liga unterstützten Antrag überreichen. Dieser sieht vor, einen palästinensischen Staat "in den Grenzen von 1967" anzuerkennen oder den 1988 in Algier ausgerufenen Staat Palästina als Vollmitglied in die Vereinten Nationen aufzunehmen. Bei der Tagung der UNO-Vollversammlung in New York gilt eine breite Zustimmung zur Aufnahme eines palästinensischen Staates als sicher. Bisher haben annähernd 130 Länder Palästina als Staat in den Grenzen von 1967 (Westjordanland mit Ost-Jerusalem und Gazastreifen) anerkannt. Allerdings wird die zu erwartende Empfehlung der UNO-Generalversammlung keine bindende Wirkung haben. Über eine tatsächliche Anerkennung und Aufnahme entscheidet der Sicherheitsrat - und dort haben die USA bereits ihr Veto angekündigt. Kann sich der Sicherheitsrat nicht zu einer neuen Palästina-Resolution durchringen, wollen die Palästinenser in der UNO-Generalversammlung eine Aufwertung ihres Beobachterstatus beantragen. [3]

Die Generalversammlung könnte der palästinensischen Selbstverwaltung einen Status wie dem Vatikanstaat geben, der nicht Mitglied der UNO ist, in der Generalversammlung aber erweiterte Rechte und Möglichkeiten hat. Dieser Status läge zwischen dem derzeitigen Beobachterstatus der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und einer Vollmitgliedschaft. Unklar ist noch, ob eine Aufwertung in der Generalversammlung den Palästinensern auch den Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof öffnen würde. Wäre das der Fall, könnten sie dort beispielsweise wegen Kriegsverbrechen Klage gegen Israel einreichen. [4]

Im Vorfeld dieser Abstimmung der Vereinten Nationen war die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton des öfteren nach Ramallah gereist, um sich ein Bild von den Vorbereitungen für die Schaffung eines eigenen Staats zu machen: "Ich habe mit der Palästinensischen Autonomiebehörde auch darüber diskutiert, was sie tut, wie sie die Fundamente legt für die Staatlichkeit." Alle, die sie dabei unterstützen, seien "sehr ermutigt durch den Fortschritt, der gemacht wurde. Wir wünschen Ministerpräsident Fajad allen Erfolg bei seiner Arbeit."

Derzeit versuchen die EU-Außenminister, sich auf eine gemeinsame Linie zu einem palästinensischen Staat zu einigen. Bei einem informellen Treffen im polnischen Ostseebad Sopot beraten die Ressortchefs über die von der Arabischen Liga beschlossene Initiative. Die Mitgliedstaaten der EU sind in der Frage der Anerkennung eines Palästinenserstaats gespalten. Frankreich, Spanien, Belgien, Zypern, Griechenland, Irland, Malta, Norwegen, Portugal und Schweden stehen einem Staat Palästina positiv gegenüber, Deutschland, Italien, Dänemark, die Niederlande und Tschechien lehnen diesen derzeit ab. Österreich hat öffentlich noch keine Position bezogen.

Als entschiedenster Befürworter trat Frankreichs Präsident Sarkozy in Erscheinung, der gestern die 27 Mitgliedstaaten dazu aufrief, "mit einer Stimme zu sprechen" und gemeinsam der Verantwortung gerecht zu werden. Die "einzig echte Sicherheit" im Nahen Osten sei Frieden, und dieser könne "in erster Linie durch die Gründung eines palästinensischen Staates" erreicht werden. Mit einem "demokratischen, modernen und lebensfähigen palästinensischen Staat" könne besser für die Sicherheit Israels gesorgt werden. Frankreichs Nahost-Sondergesandte Valerie Hoffenberg war ihres Postens enthoben worden, nachdem sie sich privat gegen eine offizielle Anerkennung des Palästinenserstaates ausgesprochen hatte.

Die europäischen Staaten könnten auch eine eigene Nahost-Resolution einbringen. Grundlage einer solchen Resolution könnte die 2009 und 2010 gefundene Sprache der EU sein, wonach die Union für eine Zweistaatenlösung eintrete, die Basis eines Nahostabkommens die Grenzen von 1967 wären und Jerusalem Hauptstadt beider Teile sein müsse. Man hatte sich zwar darauf verständigt, den Staat Palästina, "wenn es angemessen ist", anzuerkennen. Bei dieser vagen Stellungnahme setzte die EU auf eine neue Resolution des UNO-Sicherheitsrats mit klaren Vorgaben für neue Friedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern. Sollten sich die 27 EU-Länder an diesem Wochenende nicht auf eine gemeinsame Initiative einigen, würden sie in der Generalversammlung gespalten abstimmen.

Zum Auftakt der Beratungen in Sopot erklärte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, es gehe nicht um die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates Palästina: "Über die Eigenstaatlichkeit entscheiden die einzelnen Staaten selbst." Zudem sei es Sache der Palästinenser zu entscheiden, welchen Antrag sie bei den Vereinten Nationen stellen wollten: "Im Moment gibt es noch keinen Text, zu dem wir Stellung nehmen könnten." [5]

Insgeheim hoffen die EU-Diplomaten offenbar, daß die Palästinenser einen Rückzieher machen und in ihrem Antrag eine halbherzigere Forderung als die Aufnahme in die UNO stellen. Nachdem das Thema einer Anerkennung des Palästinenserstaats und dessen Mitgliedschaft in der UNO von der palästinensischen Führung derart hoch aufgeladen wurde, kann Mahmoud Abbas schlechterdings nicht mit leeren Händen heimkehren. Daher steht zu befürchten, daß es die europäischen Staaten darauf anlegen werden, den Palästinensern eine Kompromißformel aufzudrängen, die sich als halber Erfolg verkaufen läßt, aber erwartungsgemäß ihre Lage nicht im geringsten verbessert.

Fußnoten:

[1] http://www.tagesschau.de/ausland/palaestinenser118.htm

[2] http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/welt/393685_EU-ringt-um-Linie-zu-Palaestina.html

[3] http://kurier.at/nachrichten/4147944.php

[4] http://www.sueddeutsche.de/V5W38j/178587/EU-uneins-ueber-Palaestin.html

[5] http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews%5Btt_news%5D=119349&tx_ttnews%5BbackPid%5D=23&cHash=a4bbd804a4e822bcb51fe0dd19cee956

2. September 2011