Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

NAHOST/1022: UN-Menschenrechtsrat erhebt Vorwürfe gegen Israel (SB)


Streit um Untersuchung des Angriffs auf die Gaza-Hilfsflotte


Die Erstürmung mehrerer mit Hilfsgütern für den Gazastreifen beladener Schiffe am 31. Mai durch die israelischen Streitkräfte in internationalen Gewässern, in deren Verlauf neun türkische Aktivisten an Bord der "Mavi Marmara" getötet wurden, eskalierte in einer Demonstration militärischer Stärke. Hinsichtlich der Untersuchung dieses Angriffs entbrannte eine erbitterte Auseinandersetzung um die Deutungshoheit, da Mandat und Besetzung der zu diesem Zweck eingesetzten Kommissionen das zu erwartende Ergebnis maßgeblich beeinflussen. Wie schon in der Vergangenheit spricht die israelische Regierung dem UN-Menschenrechtsrat grundsätzlich die Kompetenz ab, eine unabhängige Untersuchung durchzuführen, und verweigert sich der Zusammenarbeit mit diesem Gremium.

Menschenrechte werden zwischen den Staaten zumeist ins Feld geführt, um einen Gegner ins Unrecht zu setzen und die Überlegenheit der eigenen Position geltend zu machen. Folglich bestimmen die militärisch potentesten Nationen und Kriegsbündnisse darüber, wem die Drangsalierung der eigenen Staatsbürger oder der Menschen in anderen Ländern vorgeworfen wird und wem nicht. Das alte Sprichwort, wer im Glashaus sitzt, dürfe nicht mit Steinen werfen, wird hier nur als Ausdruck der Ohnmacht von jenen zitiert, die nichts zu sagen haben.

Vor diesem Hintergrund war der UN-Menschenrechtsrat in Genf insbesondere den Vereinigten Staaten und deren Verbündetem Israel stets ein Dorn im Auge. Vorläufer dieses Gremiums war bis 2006 die UN-Kommission für Menschenrechte, die heftig unter Beschuß geriet und schließlich reformiert wurde, weil sie nach Auffassung der Führungsmächte Länder wie Libyen nicht energisch genug ins Gebet nahm. Der Menschenrechtsrat übernahm als Nachfolgeorganisation jedoch die Aufteilung der 47 Mitglieder in Regionalblöcke, die dazu führt, daß Afrika und Asien zusammen 26 Stimmen besitzen und damit Westeuropa und die USA neutralisieren können. Während die schwächeren und ärmeren Staaten fordern, daß in internationalen Gremien jedes Land eine gleichberechtigte Stimme haben müsse, ignorieren, umgehen oder unterlaufen die Großmächte dieses Prinzip. Ein Menschenrechtsrat, in dem die Afrikaner und Asiaten über derart großen Einfluß verfügen, ist daher ein ausgemachtes Ärgernis für jene Führungsmächte, die sich dieses Gremiums zu ihren Zwecken bedienen wollen, seine Beschlüsse jedoch nicht anerkennen, sobald sich diese gegen sie selbst richten.

Die US-Regierung unter Präsident George W. Bush hatte den Menschenrechtsrat insbesondere wegen dessen Fokussierung auf den Nahostkonflikt und der Kritik an der Politik Israels boykottiert. Als Barack Obama antrat, den abgewirtschafteten Ruf seines Landes als größter Kriegstreiber und Verletzer von Menschenrechten weltweit und das nicht minder brüchig gewordene Ansehen seines Juniorpartners Israel aufzupolieren, um die Verbündeten stärker in die Pflicht zu nehmen, kam die neue US-Administration zu dem Schluß, daß in Verfolgung dieser Absicht der Menschenrechtsrat aufgemischt werden müsse. Die USA bewarben sich um einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat und wurden am 12. Mai 2009 in diesen gewählt.

Wenn man jetzt im Menschenrechtsrat präsent sei, verfüge man über die günstigste Ausgangsposition, um auf die für 2011 avisierte Reform des Gremiums Einfluß zu nehmen, hieß es damals seitens der US-Regierung. Wie die US-Botschafterin bei der UNO, Susan Rice, erklärte, sei eine Mitarbeit im Menschenrechtsrat der beste Weg, diesen effektiver zu machen. Die USA wollen also dieses Gremium nicht länger ignorieren, sondern sogar von innen umkrempeln, um ihn aus einem unbedeutenden, aber lästigen Störfaktor in ein paßförmiges Instrument zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen zu verwandeln. Einig ist man sich jedenfalls darin, daß nur die USA der Praxis dieses Gremiums ein Ende machen können, den Finger auf die Wunde israelischer Menschenrechtsverletzungen oder der Islamfeindlichkeit westlicher Länder zu legen.

Im Zusammenhang der Untersuchung des Angriffs auf die Gaza-Flottille hat nun ein Vertreter des UN-Menschenrechtsrats schwere Vorwürfe gegen Israel erhoben, das seinen Angaben zufolge die Ermittlungen des Gremiums behindert. Wie der UN-Beamte Juan Carlos Monge heute in einer E-Mail an die Nachrichtenagentur AP monierte, habe Jerusalem den Ermittlern des Menschenrechtsrats nicht die Erlaubnis erteilt, israelische Soldaten zu der Militäraktion mit den neun Toten zu befragen. [1]

Dazu erklärte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums, man arbeite in den Ermittlungen um den umstrittenen Angriff auf die Gaza-Hilfsflotte mit einer anderen UN-Untersuchungskommission zusammen. Gemeint ist eine Untersuchungskommission, die UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am 8. August eingesetzt hatte. Dieser gehören neben dem früheren neuseeländischen Ministerpräsidenten Geoffrey Palmer und dem kolumbianischen Ex-Präsidenten Alvaro Uribe auch je ein Vertreter Israels und der Türkei an.

Unabhängig von dieser Kommission untersucht jedoch auch der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen die Erstürmung der Schiffe. Das dafür eingesetzte Ermittlerteam wird von einem früheren Richter am Internationalen Strafgerichtshof, Karl Hudson-Phillips, geleitet. Weitere Mitglieder sind der frühere Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals für Sierra Leone, Desmond de Silva, und der malaysische Menschenrechtsexperte Shanit Dairiam vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP. Der Menschenrechtsrat hat die Militäraktion gegen die Gaza-Hilfsflotte als "abscheulichen Angriff" verurteilt.

Der israelische Außenamtssprecher Jigal Palmor erklärte, seine Regierung lehne eine Zusammenarbeit mit dieser Gruppe ab, da der UN-Menschenrechtsrat Israel gegenüber voreingenommen sei. Diese Ablehnung hat eine lange Tradition, die sich unter anderem in der Kontroverse um den Goldstone-Bericht über den Angriffskrieg der israelischen Streitkräfte gegen den Gazastreifen niederschlug.

Nach Angaben des UN-Menschenrechtsrats hat ein von ihm beauftragtes Team in der vergangenen Woche bereits Zeugen in Genf und London befragt und in Genf die Botschafter der Türkei und Israels getroffen. Derzeit hält sich diese Gruppe zu einem mehrtägigen Besuch in der Türkei auf, wo Zeugen und Regierungsvertreter zum israelischen Angriff auf die Hilfsflotte befragt werden sollen. [2] Der britische Völkerstrafrechtler Desmond de Silva traf im Namen der Kommission mit Außenminister Ahmet Davutoglu zusammen, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu aus Ankara berichtete. Die Sonderkommission wolle bis zum Ende der Woche in Istanbul, Ankara und Iskenderun Zeugen anhören und die bei dem israelischen Einsatz verletzten Gaza-Aktivisten sprechen. Auch die Türkei untersucht die Vorfälle. [3]

Die drei Mitglieder der Sonderkommission bleiben bis zum 29. August in der Türkei und setzen anschließend bis zum 4. September ihre Untersuchungen in Jordanien fort. Bei der nächsten Sitzung des Menschenrechtsrats, die vom 13. September bis zum 11. Oktober dauert, soll die Kommission einen Bericht vorlegen.

Eine Untersuchung der israelischen Armee hat schwere Vorwürfe gegen die Aktivisten erhoben. Sie seien entschlossen gewesen zu töten oder getötet zu werden. Deshalb sei der Gebrauch von Schußwaffen durch die Soldaten gerechtfertigt gewesen. Kritik wurde lediglich an der Planung und Ausführung des israelischen Einsatzes geäußert.

In einer Pressemitteilung der Partei Die Linke im Bundestag vom heutigen Tage wird die Forderung erhoben, daß die Arbeit der UN-Untersuchungskommission zum Überfall auf Gaza-Flottille nicht behindert werden dürfe:

"Ich rufe alle Staaten, insbesondere Israel, dazu auf, die Arbeit der Untersuchungskommission zu unterstützen und uneingeschränkten Zugang zu allen relevanten Personen und Materialien zu gestatten", so Annette Groth anlässlich der Untersuchung des militärischen Angriffs auf die Gaza-Hilfsflotte. Ranghohe UN-Mitarbeiter haben Israel vorgeworfen, die Aufklärung der Vorfälle zu behindern. Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, die sich zur Zeit des Überfalls an Bord des Schiffes befand, erklärt weiter:

"Bei dem israelischen Angriff auf das Gaza-Hilfsschiff am 31. Mai wurden völkerrechtliche, humanitäre und menschenrechtliche Standards in schwerwiegender und tragischer Weise missachtet. Diese Verletzungen gilt es nun offen zu legen. Ich erhoffe mir, dass der Bericht, der dem Menschenrechtsrat im September vorgelegt werden soll, Klarheit über den Tathergang bringt." [4]

Anmerkungen:

[1] UN-Menschenrechtsrat erhebt Vorwürfe gegen Israel (24.08.10)
http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/israel-un-menschenrechtsrat-erhebt-vorwuerfe-gegen-israel_aid_544720.html

[2] UN-Team untersucht Israels Angriff auf Gaza-Hilfsflotte (24.08.10)
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5gDPy0cjrela_BVI4DaLe24ydL2LQ

[3] Uno-Ermittler untersuchen Einsatz gegen Gaza-Flotte. Auch die Türkei untersucht die Vorfälle (24.08.10)
http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/uno-ermittler_gaza-flotte_1.7307959.html

[4] Pressemitteilung vom 24.08.2010. Die Linke. im Bundestag (24.08.10)
http://www.pressrelations.de/new/standard/result_main.cfm?r=421930&sid=&aktion=jour_pm&quelle=0&n_firmanr_=109427&pfach=1&detail=1&sektor=pm&popup_vorschau=0

24. August 2010