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AFRIKA/2180: Sierra Leone - Kapital goes on ... (SB)



Bislang haben die meisten Menschen in Sierra Leone und anderen westafrikanischen Ländern nur Nachteile erfahren, wenn ausländische Investoren größere Flächen Land pachten, um sie zu bewirtschaften. Wenn ein Projekt - aus Sicht der Investoren und der Regierung - "erfolgreich" war, dann deshalb, weil die Agrarerzeugnisse außer Landes gebracht wurden und Devisen einbrachten. Doch in manchen Fällen waren die Vorhaben erst gar nicht so weit gediehen. Die Investoren gaben ihre Projekte auf und haben Agrarwüsten hinterlassen, mit denen sich anschließend die örtliche Bevölkerung herumschlagen mußte. Jetzt ist es erstmals in der Geschichte Sierra Leones einer lokalen Bevölkerung gelungen, ein Gerichtsurteil zu erwirken, demzufolge ein ausländischer Investor Land an sie zurückgeben muß und eine Geldstrafe zu zahlen hat.

Das Urteil des Obersten Gerichts von Sierra Leone ist eine große Ausnahme nicht nur für sierraleonische Verhältnisse. Vor fünf bis zehn Jahren hatte es einen Boom an Landgrabbing gegeben, da wurde den Menschen das Land teilweise mit dem Daumenabdruck eines Häuptlings als Rechtsbeleg abgeluchst. Jetzt, da die Weltmarktpreise für Getreide und Biotreibstoffe niedrig sind, ist der Landraub deutlich abgeflaut, aber nach wie vor sind die unmittelbaren Lebensvoraussetzungen lokaler Bevölkerungen dem Landraub durch kapitalstarke Unternehmen nahezu schutzlos ausgeliefert.

Im Jahr 2011 hat der in Singapur registrierte, indische Palmölkonzern Siva Group die Pachtverträge der Sierra Leone Agriculture Ltd (SLA) über 41.582 Hektar Land in drei Gemeinden im nordsierraleonischen Bezirk Port Loko für fünf Millionen Dollar übernommen und dort eine Plantage mit Ölpalmen aufgebaut [1]. Doch nachdem er drei Jahre lang keine Pacht an die Landbesitzer gezahlt hat und andere Unregelmäßigkeiten auftraten, entschied das Oberste Gericht von Sierra Leone, daß die Siva Group das Land an die örtlichen Gemeinden zurückgeben und Pachtrückstände in Höhe von 250.000 Dollar zahlen muß. Das meldete die sierraleonische Rechtsberatungsorganisation Namati in einer Presseerklärung vom 6. November 2018 [2].

Für die Plantage hatten Tausende Kleinbauern ihr Land aufgegeben. Die lediglich mündliche Zusage, mehr als 8.000 Arbeitsplätze schaffen und eine örtliche Infrastruktur aufbauen zu wollen, wurde von dem Unternehmen nicht eingehalten. Die örtlichen Gemeinschaften, deren landwirtschaftliche Fläche größtenteils umgewandelt wurde, erwägen nun, einen neuen Investor zu gewinnen, der mit ihnen eine Partnerschaft zu gleichen Anteilen eingeht, oder aber die Plantage in Eigenregie zu betreiben.

Das westafrikanische Land hat viele schlechte Erfahrungen mit ausländischen Investoren gemacht. Diese haben zwischen 2008 und 2013 mehr als ein Fünftel der Agrarfläche gepachtet, vorzugsweise um dort Palmen (Palmöl) und Zuckerrohr (Ethanol) anzubauen. Beispielsweise hat das Schweizer Unternehmen Addax in jener Zeit (2008) 54.000 Hektar beste landwirtschaftliche Fläche inmitten Sierra Leones übernommen. Dort sollte eine Zuckerrohrplantage entstehen, man wollte Straßen, Krankenhäuser, Schulen und vieles mehr bauen und, der Verheißungen nicht genug, Tausende Arbeitsplätze schaffen.

Auf einem Teil der Plantage wurde dann tatsächlich Zuckerrohr angebaut und daraus vor Ort Bioethanol destilliert, um den damals zunehmenden Bedarf der EU an Bioethanol für den Treibstoff E10 zu bedienen. Außerdem sollte aus der Bioenergie elektrische Energie generiert werden, das dann ins öffentliche Stromnetz eingespeist worden wäre.

Wenn, wäre, sollte ... das von Weltbank und anderen Entwicklungsbanken mit 140 Mio. Euro an Krediten geförderte Unternehmen ist gescheitert. Addax hat sich 2015 aus Sierra Leone zurückgezogen. All die Hoffnungen, nach Jahren des Bürgerkriegs endlich das Land aufzubauen und die Menschen aus der weitverbreiteten Armut zu holen, sind verflogen. Ob das britisch-chinesische Unternehmen Sunbird Bioenergy, das im Jahr darauf den Pachtvertrag von Addax übernahm, dauerhaft so wirtschaftet, daß die Menschen vor Ort tatsächlich Vorteile davon haben, ist zweifelhaft.

In einem Monitoring Report des mit Landgrabbing befaßten örtlichen Netzwerks Silnorf und der Schweizer Entwicklungsorganisation Brot für alle, der den Zeitraum Juli 2016 bis August 2017 abdeckt, ist zu lesen, daß Sunbird die Aktivitäten aufgenommen hat, aber sich in verschiedener Hinsicht sehr distanziert gegenüber den Anliegen der örtlichen Bevölkerung verhält. Weder hat man sich nach der Übernahme vorgestellt noch werden die vierteljährlichen gemeinsamen Treffen von Gemeinden und Unternehmen beibehalten. Von einem zukunftstauglichen Entwicklungsmodell kann hier sicher nicht die Rede sein [3].

Socfin Agricultural Company (SAC), eine Tochter des transnationalen Agrarkonzerns Socfin, hat in Sierra Leone 6.600 Hektar Land gepachtet und 2015 angefangen, Palmöl nach Europa zu exportieren. Wie so oft, bleibt die Zahl der Arbeitsplätze weit hinter den ursprünglichen Versprechungen zurück. Die Kleinbauern, die ihr Land überschrieben haben, weil sie hofften, ein genügend hohes Einkommen zu generieren, so daß sie ihre Familie ernähren und Kinder zur Schule schicken können, haben das Nachsehen. In einem Projektupdate vom 8. Oktober 2014 bringt die Welthungerhilfe die desolaten Verhältnisse in wenigen Sätzen auf den Punkt:

"Vor zwei Jahren machte die SAC mit Baggern ganze Dörfer und Felder dem Erdboden gleich, um Plantagen zu errichten. Die Welthungerhilfe musste daraufhin landwirtschaftliche Projekte in 21 Dörfern aufgeben: Die Menschen kamen plötzlich nicht mehr auf ihr Land. Nur wenige wurden angestellt: Nach Angaben des Unternehmens haben von den 9.000 Betroffenen im Bezirk Malen lediglich 189 einen dauerhaften Vollzeitjob bekommen. Weitere 1.938 von ihnen werden für wenige Wochen im Jahr als Saisonarbeiter verpflichtet. Ein Vollzeitarbeiter kommt inklusive Pachteinnahmen auf ein Jahresgehalt von rund 600 Euro. Früher verdienten sie diese Summe alleine durch den Verkauf ihrer Überschüsse an Kaffee, Kakao oder Palmöl auf den lokalen Märkten. Außerdem bauten sie zuvor ihre komplette Nahrung selbst an." [4]

Sogar die Weltbank hatte im Jahr 2016 einen Kredit in Höhe von 150 Mio. Euro an Socfin zurückgehalten, weil das Unternehmen nicht die internationalen Standards für Landpachtungen eingehalten hat [5].

Die örtlichen Gemeinschaften, die jetzt in Sierra Leone einen Gerichtserfolg gegen einen ausländischen Investor erringen konnten, haben damit mehr erreicht, als daß sie "nur" ihr Land zurückerhalten. Möglicherweise kann dies als Präzedenzfall dienen, den sich andere Gemeinschaften zunutze machen. Von 2014 bis 2016 erlitt Sierra Leone eine gravierende Ebola-Epidemie. Die Viruserkrankung hat fast 4.000 Menschen das Leben gekostet, und die Wirtschaft des Landes brach in Folge der Epidemie um ein Viertel ein. Davon hat sich das Land bis heute nicht erholt. Um so wichtiger ist es daher, wenn die Menschen ihre Interessen gegenüber den Renditemaßgaben transnationaler Konzerne durchsetzen.


Fußnoten:

[1] https://www.farmlandgrab.org/uploads/attachment/Sla_Bkm_1.pdf

[2] https://namati.org/news/court-orders-oil-palm-company-to-return-land-pay-arrears-sierra-leone/

[3] https://brotfueralle.ch/content/uploads/2017/09/2017-Monitoring-Report-Silnorf-Bfa.pdf

[4] https://www.welthungerhilfe.de/aktuelles/projektupdate/landraub-in-sierra-leone/

[5] https://www.grain.org/bulletin_board/entries/6049-ing-finances-controversial-palm-oil-companies-in-spite-of-sustainability-policy

14. November 2018


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