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AFRIKA/2149: "Compact with Africa" und andere Gefahren für den Tropischen Regenwald (SB)


Lokal, regional, global - Verwertung der Lebensvoraussetzungen der Menschen


Eine der wichtigsten Quellen zur Freisetzung von lebenswichtigem Sauerstoff droht allmählich zu versiegen, der Tropische Regenwald. Die Fähigkeit der Bäume, Sauerstoff aus Wasser abzuspalten und in die Atmosphäre zu entlassen, wird nur noch vom pflanzlichen Plankton in den Weltmeeren übertroffen. Ein Schutz der Tropischen Regenwälder läge aus diesem selten erwähnten und einer Reihe bekannterer Gründe nicht nur im vitalen Interesse der örtlichen Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch der Menschheit im allgemeinen.

In Afrika steht die Waldrodung noch auf der Bremse; verglichen mit Südamerika und Südostasien werden auf dem afrikanischen Kontinent sehr viel weniger Wälder abgeholzt. Das könnte sich jedoch ändern, warnt Elsa Ordway von der Universität Stanford auf der Website "The Conversation" (12.07.2017). Sie und ihre Forscherkollegen haben die Ausdehnung sowohl der lokalen als auch exportorientierten Landwirtschaft in Afrika untersucht. Demnach wird zwar die Erweiterung der landwirtschaftlichen Fläche nach wie vor hauptsächlich von Kleinbauern vorangetrieben, aber seit dem Jahr 2005 seien bereits 22,7 Mio. Hektar landwirtschaftliche Fläche von Großinvestoren erworben worden, und es zeichne sich ein Trend ab, daß dieser Anteil zunehmen wird, berichtete die Forscherin. Davon betroffen sei vor allem der Wald, denn zwischen 50 und 67 Prozent der für den landwirtschaftlichen Anbau überhaupt geeigneten Fläche ist von Wäldern besetzt.

Von besonderer Besorgnis sei die potentielle Bedrohung des Tropischen Regenwalds in vier Ländern des Kongo-Beckens, schreibt Ordway. Abgesehen von der Republik Kongo, der Demokratischen Republik Kongo, Kamerun und Gabun seien aber auch die westafrikanischen Länder Sierra Leone, Liberia und Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) von großflächigen Waldrodungen für den Anbau von Exportprodukten gefährdet. Diese Länder sind zu 58 Prozent von Wald bedeckt, besitzen aber nur rund ein Prozent verfügbarer landwirtschaftlicher Fläche außerhalb der Waldgebiete. Demnach konzentrieren sich 80 Prozent der ausländischen Investitionen auf die Palmölherstellung, bei einer durchschnittlichen Flächengröße der Investitionen von 41.000 Hektar.

Die Warnung Ordways, daß die afrikanischen Länder in den Fokus ausländischer Investoren geraten könnten und davon die Waldflächen bedroht sind, wird durch laufend aktualisierte Angaben der Website landmatrix.org, die das globale "Land Grabbing" dokumentiert, bestätigt. In dem Schaubild "WEB OF TRANSNATIONAL DEALS" (Netz transnationaler Verträge) nimmt die überaus waldreiche Demokratische Republik Kongo die Spitzenstellung unter den Ländern des Land-Grabbings ein, erst dann folgen Papua-Neuguinea, Indonesien und Brasilien, von denen hinlänglich bekannt ist, daß sie gegenwärtig noch den mit Abstand größten Anteil an den weltweiten Waldrodungen haben.

Es könnte sein, "dass die Welt die tropischen Regenwälder buchstäblich aufisst, da geeignete Flächen zur Ausweitung der Landwirtschaft anderswo kaum noch zur Verfügung stehen", schrieb 2015 Claude Martin in dem "neuen Bericht an den Club of Rome", der unter dem Titel "Endspiel - Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können" erschienen ist. Darin fordert der Schweizer Biologe und langjährige Generaldirektor des WWF International unter anderem die Einrichtung und Sicherung "entwaldungsfreier Lieferketten".

Dieser unterstützenswerte, allerdings bislang gar nicht oder nur mit Schlupflöchern umgesetzte Ansatz hat zwar das Potential, den Druck auf die Tropischen Regenwälder ein wenig herauszunehmen, aber behoben wird er damit vermutlich nicht. Denn die weitere Einbindung der Länder Afrikas in den Weltmarkt sowie ihre Not, den Schuldendienst zu begleichen, wird ebenso den Wunsch nach Ausdehnung der landwirtschaftlichen Fläche auch in vermeintlich ungenutzte Waldgebiete ebenso vorantreiben wie der steigende Nahrungsbedarf der schnell wachsenden Bevölkerungen vieler afrikanischer Länder.

Im übrigen existieren in Afrika überhaupt keine ungenutzten Waldgebiete. Dort leben zig Millionen Menschen entweder im oder vom Wald. Wenn Unternehmen oder Regierungen, die Land erschließen wollen, etwas anderes behaupten, dann muß man davon ausgehen, daß sie Vertreibungen und Verdrängungen von Menschen aus den angestammten Lebensräumen billigend in Kauf nehmen. Erst vor wenigen Tagen legte die Menschenrechtsorganisation FIAN eine Untersuchung über Landkonflikte durch europäische Investitionen in Ländern des Globalen Südens vor und schrieb, daß "die Politik auf die hiermit verbundenen menschenrechtlichen Probleme bislang kaum angemessene Antworten gefunden hat". 60 Prozent der Landgeschäfte der EU werden in Afrika getätigt (tinyurl.com/y9ffrq8r).

Roman Herre, Agrar-Referent von FIAN Deutschland, erklärte: "Die jüngste Absage von Bundeskanzlerin Merkel an die 'klassische Entwicklungshilfe' und die Ankündigung einer verstärkten Zusammenarbeit mit Konzernen und Finanzinvestoren lassen für die Landwirtschaft wenig Gutes erwarten." (tinyurl.com/yc2efp2p) Am 3. Mai 2017 hatte die deutsche Bundeskanzlerin beim G20-Dialogforum Wirtschaft in Berlin erklärt: "Wir wollen die wirtschaftliche Kooperation mit unserem Nachbarkontinent stärken. Jetzt geht es im Grunde darum, einen Schritt zu finden, der uns von der klassischen Entwicklungshilfe wirklich zu wirtschaftlicher Dynamik bringt." Und weiter behauptete sie, daß "diese beiden Felder (...) in der Vergangenheit immer sehr getrennt gedacht" wurden: "Auf der einen Seite: die klassische Entwicklungshilfe, die aber nicht unbedingt zu einem sich selbst tragenden Aufschwung geführt hat. Auf der anderen Seite verstehen wir, auch wenn wir die Agenda 2063 der Afrikanischen Union sehen, dass wir sehr viel stärker auch in Entwicklungskategorien denken müssen." (tinyurl.com/yckfsnxt)

Die Entwicklungshilfe von vor zwanzig oder dreißig Jahren hat deshalb zu keinem "sich selbst tragenden Aufschwung" (Merkel) in den afrikanischen Ländern geführt, weil es auch damals schon den sogenannten Geberländern vor allem darum gegangen war, sich die afrikanischen Länder entweder als Rohstoffproduzenten oder als Absatzmärkte für hiesige Produkte zu halten. Und wenn beispielsweise in die Bildungseinrichtungen dieser Länder investiert wurde, förderte dies den sogenannten Brain Drain, also die Abwanderung von ausgebildeten Fachkräften in die Länder des Nordens.

Merkels Absage an die klassische Entwicklungshilfe erweist sich als alter Hut, aus dem die gleichen Kaninchen hervorgezaubert werden sollen wie in der Vergangenheit. Rund 137 Jahre nach der Kongo-Konferenz in Berlin, auf der sich die europäischen Mächte darüber geeinigt haben, den afrikanischen Kontinent unter sich aufzuteilen, hat die deutsche Regierung unter Federführung des Bundesfinanzministeriums die Wirtschaftsinitiative "Compact with Africa" gestartet und dabei eine Neuzuordnung der afrikanischen Länder an außerkontinentale Nationen vorgenommen. Neben Tunesien werden auch die Elfenbeinküste und Ghana spezielle Partnerländer Deutschlands. Der Kolonialismus von heute trägt einen anderen Namen, aber die dabei verfolgten Absichten und Ziele sind stets die gleichen.

Es werde eine Verbesserung der "Rahmenbedingungen für private Investitionen" angestrebt, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Und weiter: "Die afrikanischen Länder werden mit den Internationalen Organisationen und bilateralen Partnern gemeinsam daran arbeiten, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern. Mit der G20-Afrika-Konferenz bieten wir den afrikanischen Ländern eine Plattform, um auf Investoren zuzugehen und so das Engagement des privaten Sektors in Afrika zu steigern." (tinyurl.com/y8h5nxdt)

Die Stärkung des privaten Sektors geht in der Regel zu Lasten der staatlichen Eingriffsmöglichkeiten und hat schon vor 30 Jahren, als die afrikanischen Staaten von den Ländern des Norden im Konzert mit Globalinstitutionen wie IWF und Weltbank mit dem Instrument der Strukturanpassungsmaßnahmen zur Preisgabe ihrer nationalen Souveränität gedrängt wurden, zu Landflucht, Verarmung der städtischen Bevölkerung und Abbau staatlicher Sozialleistungen beigetragen. In einem profitorientierten Wirtschaftssystem wäre nichts anderes von einer Stärkung privater Finanzströme zu erwarten.

Die Abholzung Tropischen Regenwalds zugunsten von Plantagen für den Export von Kaffee, Tee, Kakao und Palmöl droht auch durch die von Deutschland ausgehende "Compact with Africa"-Initiative forciert zu werden. Wenn beispielsweise als Maßnahmen für die Elfenbeinküste angestrebt wird, eine durchschnittliche BIP-Wachstumsrate von sieben Prozent über den Zeitraum 2016 bis 2020 und ein "wettbewerbsorientierteres Geschäftsklima mit dem Ziel eines Umbaus der Wirtschaft" (tinyurl.com/yc2sa6v6) zu erreichen, dann könnte eine Konkretisierung dieser Vorgabe darauf hinauslaufen, die Exportwirtschaft des Landes darüber stärken zu wollen, daß Wald abgeholzt wird, um weitere Kaffee- und Kakaoplantagen anlegen zu können.

Waldschutz ist zwar für die Bundesregierung ebenfalls ein Thema - zum Beispiel unterstützt sie finanziell die Versuche, die Rodung des Tropischen Regenwalds im Amazonasbecken zumindest zu verlangsamen -, aber sobald Zielkonflikte mit eigenen wirtschaftlichen Interessen in Afrika auftreten, besteht die Gefahr, daß diesen Vorrang eingeräumt wird.

Deutschland ist ein Akteur unter vielen, der von den mineralischen und pflanzlichen und folglich Arbeitskräfteressourcen Afrikas profitieren will. Der Tropische Regenwald, von dem die Lebensgrundlage von 100 Millionen Menschen in Afrika mehr oder weniger direkt abhängig ist, bedürfte eines besonderen politischen Schutzes, damit er angesichts der vielfältigen Nutzungsinteressen ausländischer Investoren und heimischer Eliten nicht auf dem Altar der Profitmaximierung geopfert wird.

17. Juli 2017


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