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AFRIKA/2136: Äthiopien weiht Staudamm Gibe III ein - zweifelhafter Fortschritt (SB)


Fortschritt in die Energieabhängigkeit - Staudammprojekt in Zeiten des Klimawandels

Energiegewinnung zu Lasten Hunderttausender Menschen


Am Samstag wurde in Äthiopien der umstrittene Staudamm Gilgel Gibe III am Omo-Fluß eingeweiht. [1] Das zweitgrößte Stauwerk des Kontinents nach dem ägyptischen Assuan-Staudamm soll den wachsenden Energiehunger des Landes stillen und zugleich Energie an Länder wie Kenia, Dschibuti und Sudan liefern. Auf der Strecke bleiben dafür Hunderttausende Menschen, die entweder aus dem Gebiet des Stausees vertrieben wurden oder am Omo leben und nicht mehr genügend Wasser erhalten. Auch die Anwohner des in Kenia liegenden Turkana-Sees, der zu 90 Prozent vom Omo gespeist wird, befürchten, daß dem See langfristig Wasser entzogen wird, er dadurch noch schneller versalzt als sowieso schon und irgendwann das gleiche Schicksal wie der zentralasiatische Aralsees erfährt, der großflächig verschwunden ist.

In Kenia und Äthiopien werden viele Menschen durch den Entzug des Wassers für den Stausee unmittelbar geschädigt und verlieren ihre Lebensgrundlage. Es ist damit zu rechnen, daß etliche Betroffene vom Land abwandern und versuchen werden, sich in einer der größeren Städte ein notdürftiges Auskommen zu sichern - so wie zig Millionen andere Menschen, die für sich und ihre Familien in den ländlichen Regionen Äthiopiens keine Zukunft sehen.

Das 243 Meter hohe Sperrwerk des Gilgel Gibe III, das knapp 300 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Addis Abeba liegt und von dem italienischen Konzern Salini Impregilo gebaut wird, hat eine Leistung von 1870 Megawatt. Die Wasserfläche des Stausees soll in der Endphase 210 km² einnehmen. Weil die Bauern entlang des Omo bisher von den regelmäßigen Überschwemmungen ihrer Felder profitiert haben, hat die Regierung versprochen, künstliche Überschwemmungen auszulösen. Das hätte zudem den Vorteil, daß dann auch keine Menschen mehr ertrinken müßten, da sie nicht von dem Hochwasser überrascht werden, so die Argumentation.

Die Organisation Survival International weiß allerdings zu berichten, daß die Menschen, die angeblich von dieser Regelung profitieren, das Projekt kritisieren. Sie seien inzwischen auf Lebensmittelhilfe und die ersatzweise Versorgung mit Wasser angewiesen. Aber erstens komme die Lebensmittelhilfe unregelmäßig und genüge sowieso nicht und zweitens hätten die beiden letzten Jahre, in denen das künstliche Hochwasser ausgelöst worden war, gezeigt, daß die Wassermenge nicht ausreicht. Der Omo führe immer weniger Wasser, und es werden immer weniger Fische gefangen, berichteten Dorfbewohner.

"Was wurde tatsächlich heute eingeweiht?", fragt deshalb Survival-Direktor Stephen Corry und gibt selbst darauf die Antwort: "Wachsender Hunger, Unsicherheit und Umweltzerstörung. Seit Jahren haben Experten die Regierung und Salini gewarnt, aber sie haben nicht darauf gehört. Sie werden vielleicht versuchen, die kommende Hungersnot als Naturkatastrophe zu bezeichnen. Doch das Unglück haben sie selbst herbeigeführt." [2]

Das Staudammprojekt Gilgel Gibe III, zu dem in den nächsten Jahren noch zwei weitere Staudämme hinzukommen sollen, könnte man in zweifacher Hinsicht als Musterbeispiel bezeichnen. Hieran zeigt sich, wie ein Staat, dessen Bevölkerung ein sehr hohes Wachstum verzeichnet und der einen steigenden Energiehunger der Gesellschaft befriedigen soll, versucht, mit Hilfe internationaler Unterstützung (u.a. mit China beim Bau des Staudamms und der Weltbank beim Bau von Stromtrassen, über die die elektrische Energie abgeführt wird) diesen Anforderungen durch den Bau von Großprojekten zu begegnen.

Abgesehen von dem insgesamt fünf Stauwerke umfassenden Gilgel-Gibe-Projekts am Omo soll auch der Blaue Nil gestaut werden. Worüber einst nur als "Projekt X" geflüstert worden war, hat inzwischen die offizielle Bezeichnung Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre erhalten. Hier, an der Grenze zu Sudan, soll mit einer Leistung von 6.000 MW das größte Kraftwerk gebaut werden und der größte Stausee des Kontinents entstehen.

Sollten sich die Projektionen der Klimawissenschaft erfüllen, dann dürfte Äthiopien in Zukunft heißer und trockener werden. Das bedeutet, daß der Omo weniger Niederschlagswasser aus seinem Quellgebiet und seinen Zuflüssen erhält. Dann würden Gilgel Gibe III und die anderen Staudämme der Region weniger Wasser als geplant durchlassen, während zugleich bei wachsender Erderwärmung die Verdunstung aufgrund der großen Seeoberfläche wächst.

Gilgel Gibe III ist ebenfalls ein Musterbeispiel dafür, wie man als Staat so ein Projekt nicht machen sollte. Laut Survival International und anderer internationaler und lokaler Initiativen wurde die örtliche Bevölkerung, die am stärksten unter dem Bau leidet, nicht in die Projektplanung einbezogen. Es wurde über ihre Köpfe hinweg entschieden, und daraus erwachsen soziale Spannungen. Die summieren sich in Äthiopien und lösen häufiger Massendemonstrationen gegen die Regierung aus. Diese reagiert bereits heute mit harschen Repressionen auf den Unmut der Bevölkerung. Der Klimawandel dürfte diesen Gegensatz noch verstärken.


Fußnoten:

[1] http://allafrica.com/stories/201612170254.html

[2] http://www.survivalinternational.org/news/11544

18. Dezember 2016


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