Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


AFRIKA/2126: Schurkenstaatstigma (SB)


Herrschaftslogik: Wer bestraft wird, ist schuldig, sonst würde er ja nicht bestraft

Wie in einer Nebenbemerkung einer Meldung über die Atomenergiepläne Sudans von Zeit online ein bestimmtes Geschichtsbild bedient wird


Mehrere afrikanische Länder streben den Bau von Atomkraftwerken zur Energiegewinnung an. Die Pläne befinden sich in unterschiedlichen Stadien der Verwirklichung. So hat Sudan am Montag einen Rahmenvertrag mit China über die Errichtung eines Atomkraftwerks abgeschlossen. Damit werde ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit zwischen Sudan und China aufgeschlagen, sagte laut Xinhua der sudanesische Finanzminister Badr-Eddin Mahmoud bei der Vertragsunterzeichnung in Khartum. Die chinesische Nachrichtenagentur erklärte, daß das Abkommen einen Wandel im Verhältnis Sudans zu China darstelle, da China nun seine ganze Erfahrung und seine Fähigkeiten in dieses Atomenergieprojekt stecke. [1]

Weder wurden Angaben zu den veranschlagten Kosten und Kapazitäten noch dem möglichen Standort des Atomkraftwerks gemacht. Nach einer Präsentation Sudans bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Oktober 2015 in Wien will das Land ab 2021 mit dem Bau eines Akw mit zwei Druckreaktoren zu je 600 Megawatt Leistung beginnen, das sechs Jahre darauf kommerziell elektrischen Strom erzeugen soll, schreibt Zeit online. Sudan arbeite eng mit der IAEA zusammen, und sudanesisches Fachpersonal werde seit 2011 in China ausgebildet. Weiterhin heißt es dort:

Der sudanesische Präsident Omar al-Baschir ist im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in den Darfur-Provinzen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt. Die US-Regierung hatte ihm vor Jahren auch vorgeworfen, Giftgas herzustellen, und sogar eine Fabrik in Khartum bombardiert. Zur iranischen Regierung unterhält Al-Baschir enge Beziehungen, die IAEA geht jedoch davon aus, dass der Sudan die Atomkraft ausschließlich friedlich nutzt. [2]

Bemerkenswert an diesem Zitat ist die Art, wie Sudan, ohne daß es direkt ausgesprochen werden müßte, mit vermeintlich wertneutralen Worten beschrieben dennoch als möglicher oder tatsächlicher Schurkenstaat dargestellt wird. Dabei wird jedoch die Geschichte auf den Kopf gestellt, wenn zu lesen ist, daß die US-Regierung "sogar eine Fabrik in Khartum bombardiert" hat. Bei allen, die mit diesem Vorfall nicht vertraut sind, wird der Eindruck erzeugt, daß hier die USA eine legitime Maßnahme ergriffen haben, um schwereres Unheil zu verhindern. Dabei bleibt der Zusammenhang assoziativ: Anklage gegen al-Bashir vor dem IStGH wegen des Bürgerkriegs, Vorwurf der Giftgasherstellung und Vereitelung der Produktion durch die USA ...

Sudan war und ist ein repressiver Staat. Der ehemalige britische Kolonialstaat war und ist aber auch Objekt interventionistischer Absichten insbesondere der USA und einiger EU-Staaten. Die Spaltung des Landes im Jahr 2011 in den alten Sudan und den neuen Südsudan war maßgeblich von ausländischen Kräften unter Ausnutzung starker innersudanesischer Spannungen, die weniger aufgrund religiöser oder ethnischer, denn krasser sozioökonomischer Unterschiede entstanden, forciert worden. Vor der Abtrennung des Südens zu einem neuen Staat besaß Sudan die Größe Westeuropas - da überrascht es nicht, wenn massive Interessenkonflikte der Regionen untereinander und innerhalb der einzelnen Regionen gedeihen.

Vielleicht hat Sudan irgendwann einmal irgendwo Giftgas hergestellt - es wäre nicht verwunderlich, wurden doch auch andere Regime unter anderem von den USA und Deutschland mit entsprechenden Fabrikationsanlagen und Chemikalien zur Herstellung von Giftgas beliefert -, aber sicherlich wurde in jener 1996 von dreizehn Cruise Missiles restlos zerstörten Fabrik namens El Shifa (Asch Schifa), auf die Zeit online rekurriert, kein Giftgas hergestellt. Es handelte sich um eine der modernsten pharmazeutischen Fabriken des gesamten Kontinents. In El Shifa wurden unter anderem Tierarzneien für den Irak hergestellt, gegen den US-Sanktionen verhängt worden waren, was als "Kollateralschaden" rund 600.000 irakische Kinder mit ihrem Leben bezahlt haben. Infolge der Zerstörung der Medikamentenfabrik El Shifa dürften Zehntausende Sudanesen gestorben sein, wie der deutsche Botschafter in Sudan (1996-2000), Werner Daum, vermutete. [3]

Er hatte noch am selben Abend nach dem Raketenangriff auf das am Stadtrand von Khartum gelegene Fabrikgebäude ein Telex an den damaligen deutschen Außenminister Klaus Kinkel geschickt, in dem es hieß, "daß man die Firma Shifa beim besten Willen nicht als chemische Fabrik" bezeichnen könne. [4]

El Shifa hatte preisgünstige Medikamente hergestellt, die nicht ersetzt werden konnten, da die importierten Ersatzprodukte unerschwinglich für viele Sudanesen waren und es auch eine zeitliche Lücke von über drei Monaten gab, bis neue Medikamentenlieferungen eintrafen.

Nun wird dieser von den USA zu verantwortende, völkerrechtswidrige Vorgang von Zeit online verwendet, um Zweifel an der Glaubwürdigkeit Sudans zu nähren. Das ist typisch für eine keineswegs auf dieses Medium beschränkte, tendenziell überhebliche, da weitgehend unreflektierte Berichterstattung, sobald es um Staaten geht, denen das Stigma Schurkenstaat angehängt wird. Nicht zuletzt auf solche Weise verfestigt sich ein Geschichtsbild, das die Interessen der vorherrschenden Kräfte und deren Machenschaften verschleiern soll.


Fußnoten:

[1] http://news.xinhuanet.com/english/2016-05/24/c_135382600.htm

[2] http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/china-atomkraftwerk-sudan-energie

[3] http://www.freepatentsonline.com/article/Harvard-International-Review/75213375.html

[4] http://www.focus.de/magazin/archiv/sudan-usa-zerstoerten-pharmafirma_aid_173351.html

24. Mai 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang