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AFRIKA/2081: Mali folgt den blutigen Fußstapfen Somalias (SB)


Erster Selbstmordanschlag in Mali



Der französische Präsident François Hollande will seine Interventionskräfte Anfang März aus Mali abziehen. Dann wird er vermutlich eine Lobrede auf "seine" Soldaten halten und von der Erfüllung der Mission sprechen sowie von der weiteren Unterstützung der malischen Regierung und davon, daß afrikanische Länder nun für die Stabilität bei ihrem Nachbarn sorgen sollen. Auf der anderen Seite ist nicht damit zu rechnen, daß Hollande Frankreichs aktuellen wie auch historischen Anteil an der Not der als Spielball fremder Interessen im Land hin- und hergehetzten Einwohner erwähnen wird.

In der allgemeinen Berichterstattung wird zwar darauf verwiesen, daß das Eingreifen Frankreichs und der NATO in den libyschen Bürgerkrieg zugunsten der Aufständischen ein Auslöser dafür war, daß die Tuareg in Diensten des libyschen Machthabers Muammar Ghaddafi nach Nordmali geflohen sind - dort hatten sie sich mit den einheimischen Tuareg verbündet und den unabhängigen Staat Azawad ausgerufen; wobei die Islamisten wiederum die Tuareg vertrieben und die Kontrolle über das Gebiet übernahmen. Aber es wird selten erwähnt, daß die französische Kolonialmacht den Tuareg einst versprochen hatte, daß sie einen eigenen Staat erhalten sollten.

Die Zusage wurde nie eingelöst und hat im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ständig für Unruhe gesorgt. Schon mehrmals nach der Entlassung Malis in die formale Unabhängigkeit 1960 haben sich die Tuareg gegen die Zentralregierung erhoben. Auch in jüngster Zeit berichteten sie, daß sich die malische Regierung nicht an Vereinbarungen unter anderem zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im Norden des Landes, den die Tuareg traditionell als ihre Heimat ansehen, gehalten hat. Am 5. April 2012 rief die MNLA, die Mouvement National de Libération de l'Azawad, den unabhängigen Tuaregstaat Azawad aus.

Sollten tatsächlich demnächst die französischen Soldaten aus Mali abziehen und Regierungssoldaten in Verbindung mit Truppen der Afrikanischen Union, später vielleicht sogar, wie von Frankreich im UN-Sicherheitsrat vorgeschlagen, der Vereinten Nationen die Kontrolle übernehmen, dann geht der Konflikt erst richtig los. Darauf lassen die zerrütteten Verhältnisse in einem anderen afrikanischen Staat mehrere tausend Kilometer weiter östlich schließen: Somalia. So verschieden die geographischen, wirtschaftlichen und politischen Ausgangsbedingungen von Mali und Somalia auch sind, es gibt deutliche Parallelen in ihrer jeweiligen Entwicklung.

Ähnlich wie die Islamisten in Nordmali hatten diese in Somalia Anfang 2006 handstreichartig große Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht und seit Juni 2006 gehalten. Am 24. Dezember 2006 marschierten äthiopische Truppen in das Nachbarland ein, um die Islamisten zu vertreiben. Das gelang scheinbar mühelos - auch Frankreich wähnt sich in Mali auf der Siegerstraße. Die Islamisten von Somalia hatten sich allerdings nur selten den äthiopischen Truppen im direkten Kampf gestellt, was wegen der waffentechnischen Überlegenheit der Invasoren vermutlich auch sehr schlecht für sie ausgegangen wäre. Vielmehr hatten sich die islamistischen Verbände aufgelöst und deren Kämpfer unter die Bevölkerung gemischt. In den Monaten danach verübten sie immer wieder Anschläge, darunter auch Selbstmordanschläge.

Anfang 2009 zogen die äthiopischen Streitkräfte wieder aus Somalia ab. Sie hatten eine humanitäre Katastrophe mit Tausenden Toten, darunter viele Zivilisten, und Hunderttausenden Vertriebenen hinterlassen. Auch in Nordmali befinden sich große Bevölkerungsteile auf der Flucht. Mußten die Einwohner bis vor kurzem die Gewaltherrschaft der Islamisten fürchten, so sehen sich jetzt insbesondere arabisch aussehende Malier Racheakten der Regierungsarmee ausgesetzt.

Am Freitag, den 8. Februar, hat sich ein Islamist in der Stadt Gao in die Luft gesprengt und dabei einen Soldaten verletzt. Ein Selbstmordanschlag - was für Mali ein Novum ist, wird in Somalia schon länger praktiziert. Bei dem Attentäter soll es sich um einen jungen Tuareg handeln, der als paramilitärischer Offizier verkleidet war und sich auf einem Motorrad einem Checkpoint der Armee genähert hatte, bevor er seinen Sprengstoffgürtel zündete. Eine größere Bombe, die er bei sich trug, habe nicht gezündet, heißt es. Die Verantwortung für das Selbstmordattentat übernahm Mujao, die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika. Schon einen Tag darauf wurden in Nordmali zwei junge Männer, die auf Eseln ritten und Sprengstoffgürtel trugen, verhaftet.

Die Organisation Mujao erklärte, sie sei zu Guerillataktiken übergegangen. Etwas Ähnliches hatten auch Vertreter der Islamisten in Somalia behauptet, nachdem sie sich vor den äthiopischen Streitkräften zurückgezogen hatten. Sie sollten recht behalten. In Somalia herrscht nach wie vor Bürgerkrieg. Der Konflikt am Horn von Afrika ist kaum noch aufzulösen, da dort die verschiedenen Interessensebenen aufs engste miteinander verwoben sind. Auf lokaler Ebene befehden sich die verschiedenen Gruppierungen der somalischen Clangesellschaft. Auf regionaler Ebene fechten Äthiopien und Eritrea, die 1998 den ersten sogenannten Hightech-Krieg auf afrikanischem Boden gegeneinander führten, einen Stellvertreterkrieg in Somalia aus. Auf globaler Ebene versuchen europäische Staaten wie zum Beispiel das Vereinigte Königreich, das 2006/2007 mit einigen Elitesoldaten am Einmarsch der Äthiopier beteiligt war, Einfluß zu gewinnen. Und der US-Geheimdienst CIA hatte 2005/2006 eine Gruppe von somalischen Warlords mit Geld und Waffen ausgestattet, damit sie die Islamisten der Scharia-Union vertreiben. Außerdem haben US-Kriegsschiffe und Drohnen gelegentlich Ziele in Somalia bombardiert, um mutmaßliche Islamisten auszuschalten.

Der Flottenaufmarsch unter Beteiligung zahlreicher Staaten (neben den USA und Staaten aus Europa sind dies unter anderem Rußland, China, Japan, Indien, Iran und Saudi-Arabien) vor der langen somalischen Küste am Horn von Afrika und im Indischen Ozean aus Anlaß der vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Pirateriebekämpfung sowie die Pläne Chinas, in Jemen, das der somalischen Küste gegenüberliegt, einen Marinehafen aufzubauen, sind ein deutliches Indiz, daß sich am Horn von Afrika geostrategische Interessen kreuzen.

Auch dazu lassen sich Parallelen in Mali ziehen: Chinas Einfluß in Afrika allgemein und speziell in Mali ist in den letzten Jahren stark gewachsen; Frankreich sorgt sich um seine kolonialzeitlichen Einflußgebiete in Afrika; die USA bauen jetzt eine Drohnenbasis in Niger auf und wollen Nordafrika stärker überwachen; Islamisten - ziemlich sicher von Katar und Saudi-Arabien unterstützt - wollen in Mali angeblich ihre Religion gewaltsam verbreiten, wobei sie im wesentlichen dafür sorgen, daß Staaten geschwächt werden und dies dauerhaft bleiben. Neben den bereits erwähnten Somalia, Mali und Libyen gilt das auch für Nigeria.

Sollte also demnächst der französische Präsident François Hollande offiziell "Mission accomplie" verkünden, bedeutete das vielleicht das Ende der direkten französischen Militärintervention, sicherlich jedoch weder das Ende der Konfrontation mit den Islamisten noch das Ende des Aufbegehrens der Tuareg gegen die malische Zentralregierung.

10. Februar 2013