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AFRIKA/2043: Dreckiges Gold - Erdölförderung im Nigerdelta (SB)


UN-Studie über Ölverseuchung im Ogoniland


Nach einem halben Jahrhundert Erdölförderung im Ogoniland des Nigerdeltas hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) eine umfangreiche Studie zu den dabei angerichteten Umweltschäden durchgeführt [1]. Was die Bewohner ebenfalls seit einem halben Jahrhundert beklagen, steht nun schwarz auf weiß: Die Ölverseuchung hat regional extrem gesundheitsgefährliche Ausmaße angenommen.

Während eine ungeheuer reiche nigerianische Elite und ausländische Ölgesellschaften von der Erdölförderung profitieren, bleibt für die überwiegende Mehrheit der Bewohner des Hauptfördergebiets nur der Dreck. Darüber hinaus wird den Einwohnern des Nigerdeltas, die traditionell vom Fischfang leben, die Lebensgrundlage geraubt, denn die Fische und die ihnen Schutz bietenden Mangrovenwälder sind verseucht und sterben.

Wollte man die Ölverschmutzung im Ogoniland beseitigen, wäre das vermutlich die weltweit umfangreichste und lang anhaltendste Umweltschutzmaßnahme, konstatiert das UN-Umweltprogramm. Vierzehn Monate lang haben dessen Mitarbeiter mehr als 200 Orte aufgesucht, 122 Kilometer Ölleitungen überprüft, mehr als 5000 Gesundheitsakten ausgewertet und über 23.000 Personen zu öffentlichen Treffen mobilisiert. Darüber hinaus wurden an 69 Flächen, die zwischen 1300 Quadratmeter (Barabeedom-K.dere, Gokana local government area; LGA) und 79 Hektar groß (Ajeokpori-Akpajo, Eleme LGA) waren, über 4000 Boden- und Grundwasserproben, die unter anderem aus 142 Grundwasser-Überwachungsbrunnen und 780 Bohrlöchern entnommen wurden, analysiert.

Die Umweltermittler stellten fest, daß manche Stellen, die oberflächlich sauber aussahen, im Untergrund schwer belastet waren und unverzüglich dekontaminiert werden sollten, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Zu den typischen Schadstoffen zählen Benzol und andere Kohlenwasserstoffe. Sie können Krebs auslösen.

So bezieht eine Familie aus Nisisioken Ogale, das im Westen des Ogonilands liegt, Trinkwasser aus Brunnen, in denen der Benzolgehalt mehr als das 900fache über dem von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Grenzwert liegt. Ganz in der Nähe der Brunnen verläuft eine Pipeline der Nigerian National Petroleum Company (NNPC). Die UNEP-Ermittler entdeckten oberhalb des Grundwasserhorizonts eine acht Zentimeter dicke Schicht mit Erdöl, von dem angenommen wird, daß es vor sechs Jahren aus einer Leckage entwichen war.

Wenngleich das UN-Umweltprogramm generell dazu aufruft, einen Plan zur Bekämpfung der Ölverseuchungen aufzustellen, richtet es besonderes Augenmerk auf jene Benzolkontamination; sie müsse dringend beseitigt werden, lautet die Mahnung. Auf eine ganze Generation, 25 bis 30 Jahre, schätzt das UNEP die Dauer der Dekontamination des Ogonilands. Und das wäre wiederum nur ein Teil des Nigerdeltas, in dem auch an anderen Stellen Ölleckagen auftreten.

UNEP-Direktor Achim Steiner erhofft sich von dem Report, der vom Ölkonzern Shell finanziert wurde [2], daß er die Grundlage für Umweltschutzmaßnahmen bildet und so ein jahrzehntelanger Stillstand in Nigeria durchbrochen wird. Regierung, Ölgesellschaften und die Ogoni sollten zusammenarbeiten. Die Studie könnte eine Blaupause dafür sein, wie Behörden und die Ölindustrie in ganz Afrika und darüber hinaus mit mehr Verantwortung als bisher zusammenarbeiten, in einer Zeit, da in vielen Regionen des Kontinents zunehmende Erdölexplorations- und Produktionsarbeiten begännen, so Steiner.

Der Report listet sehr genau die unterschiedlichen Quellen und Stadien von teils jahrzehntealten und nie behobenen Ölverseuchungen auf, zudem wird das Abfackeln von Erdgas kritisiert. Einige Beachtung verdient auch die Erkenntnis der Umweltschützer, daß das zur Ölentseuchung verwendete Verfahren RENA (Remediation by enhanced natural attenuation), bei dem die Fähigkeit ölabbauender Mikroorganismen verstärkt werden soll, gescheitert ist. Angeblich soll die Methode im Ogoniland funktionieren, weil die hohen Temperaturen einen schnellen Abbau des Erdöls unterstützen und die Lehmschicht im Untergrund ein Eindringen des Erdöls in tiefere Bodenbereiche verhindern soll. Das sei jedoch nicht der Fall, konstatiert UNEP, man habe an 49 der untersuchten Stellen Kohlenwasserstoffe in mehr als fünf Metern Tiefe nachgewiesen.

Das UN-Umweltprogramm erklärt, daß vor Beginn einer umfangreichen Entseuchung des Nigerdeltas sichergestellt werden müsse, daß nicht neue Ölleckagen auftreten. Dann sollten drei neue Institutionen geschaffen werden, um die Ölbeseitigung zu unterstützen: Eine Ogoniland Environmental Restoration Authority, welche für die ersten fünf Jahren ihrer Arbeit zur Wiederherstellung der Umwelt eine Milliarde Dollar erhalten sollte. Dieser Betrag sollte vom staatlichen Ölkonzern NNPC und Shell aufgebracht werden. Desweiteren wird ein Integrated Contaminated Soil Management Centre gefordert, das sich der örtlichen Bodendekontamination annimmt und damit im Ogoniland hunderte Arbeitsplätze schaffe, sowie ein Centre of Excellence in Environmental Restoration in Ogoniland, das Lehren aus der Ölentseuchung für andere Gebiete im Nigerdelta und der ganzen Welt ziehe.

Erdöl wird gern als "schwarzes Gold" bezeichnet. Dreckiges Gold wäre die treffendere Bezeichnung - und das "Gold" könnte man weglassen. Teils liegt das ausgetretene Erdöl zentimeterdick auf den Felder, in den Dörfern oder bedeckt eine der zahlreichen Flußwindungen des Nigerdeltas. Darüber hinaus wird das Abfackeln von Erdgas, das bei der Förderung von Erdöl austritt, viele Jahre lang aufgeschoben und ist bis heute übliche Praxis. Der ölhaltige Ruß legt sich auf Felder und Gemüsegärten, er belastet die Atemluft und trägt zu einer Häufung schwerer Krankheiten der Bewohner des Nigerdeltas bei.

Die Hauptprofiteure der Erdölgewinnung in Nigeria leben nicht in den Fördergebieten. Das ist für die Armen bestimmt. Insofern berührt der UNEP-Bericht im Kern keinen Umwelt-, sondern einen gesellschaftlichen Konflikt. Typischerweise erhalten ausgerechnet jene Einwohner Nigerias, die am meisten unter dem Reichtum aufgrund des Erdölexports zu leiden haben, keine adäquaten Mittel, um wenigsten den Schaden klein zu halten. Geschweige denn, daß sie zu Reichtum gelangten. Die Bewohner des Nigerdeltas sind verarmt, weshalb es kein Wunder ist, daß sich Volksgruppen wie die Ogoni oder Ijaw gegen die Vernachlässigung ihrer Gebiete mit Waffengewalt zur Wehr gesetzt haben.

Fußnoten:

[1] www.unep.org/nigeria
Dazu eine Zusammenfassung:
http://www.unep.org/newscentre/Default.aspx?DocumentID=2649&ArticleID=8827&l=en

[2] "UN-Bericht zur Ölpest im Niger-Delta. Leidende Menschen, verheerende Umweltschäden", tagesschau, 5. August 2011
http://www.tagesschau.de/ausland/nigeria318.html

5. August 2011