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AFRIKA/2034: Siegerjustiz - Ruanda-Tribunal entzieht Peter Erlinder das Mandat (SB)


Sieg für Ruandas Regierung

Wichtiger Anwalt der "Gegenseite" wird mundtot gemacht


Seit das UN-Tribunal für Ruanda (ICTR) seine Arbeit aufgenommen hat, betreibt es Siegerjustiz. Um das festzustellen, hätte es wirklich keines weiteren Beweises bedurft, aber daß sich das Gericht so unverblümt auf die Seite der ruandischen Regierung und gegen die Angeklagten und deren Verteidiger stellt, sollte zumindest nicht unerwähnt bleiben. Es geht um den "Fall" Erlinder. Dem amerikanischen Anwalt und Rechtsprofessor am William Mitchell College of Law in Minnesota, der vor dem Tribunal als Hauptverteidiger des ruandischen Majors Aloys Ntabakuze fungierte, wurde das Mandat entzogen. Als Hauptbegründung brachte das Tribunal vor, daß Erlinder nicht persönlich vor dem in der tansanischen Stadt Arusha ansässigen Tribunal erscheinen will, um seinen Mandanten zu verteidigen, meldete Hirondelle News am Mittwoch [1]. ICTR-Sprecher Roland Amoussouga sagte, Erlinders Behauptungen seien eine "Ausrede", sein Verhalten sei "unprofessionell". Die Appellationskammer habe keines seiner Argumente anerkannt.

Den Angaben zufolge hat Erlinder am 25. März die Appellationskammer in einem vertraulichen und Ex-parte-Brief in Kenntnis gesetzt, daß er aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung nicht persönlich vor Gericht erscheinen werde. Jenes moniert nun, daß Erlinder sein Fernbleiben wegen "keiner notfallmedizinischen Gründe" auf unangemessene Weise mitgeteilt habe; das hätte das Verfahren behindert und richte sich "gegen die Interessen seines Mandanten".

Doch dieser hat zuvor "verzweifelt", wie Hirondelle wörtlich schreibt, ein Gesuch beim Appellationsgericht einzureichen versucht und gebeten, daß Erlinder die Verteidigung per Video-Schaltung durchführen darf. Das wurde zurückgewiesen. Da kann man nur noch zynisch sagen, wie schön, daß sich das Gericht Sorgen um das Verhältnis von Verteidiger und Mandant macht ... da braucht es sich nicht ernsthaft mit Erlinders Gründen für seinen Fernbleiben zu befassen.

Denn die sind durchaus nachvollziehbar. Erlinder war am 28. Mai 2010 in Ruanda wegen Genozidleugnung verhaftet worden. Der US-Anwalt wollte lediglich Rechtsbeistand für die vorübergehend verhaftete und unter Hausarrest gestellte Oppositionskandidatin Victoire Ingabire leisten. Ihr waren im Vorfeld der Wahlen die größten Chancen zugesprochen worden, sich gegenüber dem amtierenden Präsidenten Paul Kagame einigermaßen zu behaupten. Doch der hat die Oppositionsbewegung systematisch und radikal ausgeschaltet. Leugnung des Genozids zählt zu den beliebtesten Vorwänden, mit denen die Kagame-Regierung die Opposition außer Gefecht zu setzen pflegt. In einigen Fällen hat das nicht genügt, so der Eindruck, denn es sind Menschen umgebracht worden. Wie beispielsweise Andre Kagwa Rwisereka, stellvertretender Vorsitzender der Demokratischen Grünen Partei von Ruanda. Im Juli 2010 wurde er getötet. Man fand seine Leiche, deren Kopf schwer verletzt und vom Körper nahezu abgetrennt war, rund zwei Kilometer von der Nationaluniversität entfernt in einem Feuchtgebiet. Laut CNN [2] sagte der Parteivorsitzende der Demokratischen Grünen, Frank Habineza, daß er und sein Stellvertreter seit Februar Morddrohungen erhalten hätten. Die Polizei habe ihnen jedoch keinen Schutz zugebilligt.

Eine Beteiligung der Kagame-Administration an dem Mord konnte nie nachgewiesen werden. Der Todesfall hatte aber zweifellos eine starke Wirkung hinterlassen und, in Verbindung mit permanenten und teils massiven Repressionen gegen Oppositionsparteien und -politiker, zur erheblichen Einschüchterung aller beigetragen, die nicht auf der Seite Kagame standen.

So wie Erlinder, der als Anwalt Einsicht in geheime UN-Unterlagen erhielt und unter anderem mit diesem Wissen das Narrativ vom Ruanda-Genozid hinterfragte, wonach militante Hutu ihren eigenen Präsidenten am 6. April 1994 abgeschossen und anschließend einen systematischen und von oben organisierten Genozid an den Tutsi begangen hätten. Erlinder liegen Beweise vor, wonach kein anderer als der heutige Präsident und damalige Warlord Paul Kagame, dessen entwickelte strategische Fähigkeiten den US-Ausbildern in Fort Leavenworth aufgefallen waren und der vor seiner Übernahme der Führung der RPA (Ruandische Patriotische Armee) im Jahr 1990 militärischer Geheimdienstchef in der ugandischen Armee war, das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana abschießen ließ.

Auch vertritt Erlinder die Auffassung, daß die RPA den Genozid hätte frühzeitig unterbinden können, dies aber aus taktischen Gründen unterlassen habe, weil Kagame als Befreier Ruandas erscheinen wollte. Zudem habe die RPA nach Ende des sogenannten Genozids Massaker an der Zivilbevölkerung verübt und sich 1998 an der Invasion der Demokratischen Republik Kongo beteiligt und die Rohstoffe des Landes geplündert, was bis heute andauere. Es würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, ausführlicher darauf einzugehen, aber selbst die Vereinten Nationen haben in mehreren umfangreichen Untersuchungen festgestellt, daß Ruanda bzw. ruandische Seilschaften in Ostkongo massive Plünderungen vornehmen [3].

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wiederum, der ebensowenig wie den Vereinten Nationen der Vorwurf gemacht werden kann, sie sei Genozid-Leugnerin, kritisieren regelmäßig das repressive Regime Ruandas. Beispielsweise schrieb die Organisation vor vier Jahren, daß die Todesfälle in Polizeigewahrsam zugenommen hätten. Zwischen November 2006 und Juli 2007 seien mindestens 20 Gefangene von der Nationalpolizei umgebracht worden [4]. Und im vergangenen Jahr forderte die Menschenrechtsorganisation, daß die Regierung die Angriffe auf Journalisten und Oppositionelle unterlassen solle [5].

Die Verhaftung Ingabires wäre schon als Skandal zu bezeichnen. Die Verhaftung ihres Anwalts allemal. Doch dem noch nicht genug. Während seiner dreiwöchigen Haftzeit mußte Erlinder viermal das Krankenhaus besuchen und wurde schließlich aufgrund seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung auf Kaution entlassen. Das weckt den Argwohn, daß der Anwalt in seiner Haftzeit gesundheitlich so sehr belastet werden sollte, daß er krank und arbeitsunfähig wird. In gewisser Weise hat das geklappt, denn als Folge dieser Behandlung reist er nicht nach Arusha und darf nun einen anderen Fall nicht mehr vertreten. Und der Vorwurf der Genozid-Leugnung ist noch nicht ausgestanden. Die ruandische Staatsanwaltschaft teilte mit, daß, sollte Erlinder der Aufforderung, vor Gericht zu erscheinen, nicht nachkommen, ein internationaler Haftbefehl gegen ihn ausgestellt werde.

Daß Peter Erlinder unter diesen Umständen nicht nach Tansania reisen will, wundert allein schon aus medizinischer Sicht nicht. Aber er hat auch allen Grund zu der Annahme, daß ein Attentat auf ihn verübt werden könnte. Denn als Kagame noch Verteidigungsminister Ruandas war und ihm eine Reihe von ruandischen Persönlichkeiten im Weg stand, verschwanden diese "irgendwie". Mal flüchteten echte oder vermeintliche Konkurrenten ins Ausland, mal wurden sie im Ausland umgebracht, mal zogen Zeugen völlig überraschend ihre Aussagen vor Gericht, die die RPA respektive Kagame belasteten, zurück. Selbst ein sogenanntes Sicherheitshaus des ICTR in Arusha erwies sich als unsicher. Jedenfalls verschwand ein für die Verteidigung zentraler Zeuge, trotz der Wachen, aus dem mit einer hohen Mauer umgebenden Gebäude. Vielleicht ist der Zeuge nicht geflohen, sondern wurde beseitigt, man weiß es nicht. Jedenfalls kam es der ruandischen Regierung überaus gelegen, daß der Zeuge, der das oben erwähnte Narrativ vom Ruanda-Genozid in Frage stellte, plötzlich nicht mehr aussagte.

Es wäre nicht zu meinem besten in Arusha, sagte Erlinder diesen Mittwoch laut der "New York Times" [6]. Wohingegen Peter Robinson, bis letztes Jahr Anwalt beim ICTR, mit den Worten zitiert wird, er habe sich niemals um seine Sicherheit in Arusha gesorgt. Allerdings war Robinson auch nie in den zweifelhaften Genuß einer dreiwöchigen Haft in einem ruandischen Knast gekommen! Offensichtlich hat er auch keine Drohungen erhalten, so wie Erlinder, ansonsten hätte er die reale Bedrohung durch die ruandische Regierung nicht so heruntergespielt. Gemäß dem journalistischen Grundsatz, beiden Seiten eine Stimme zu verleihen, gibt die New York Times die Aussage eines anderen ICTR-Anwalts, Chief Charles A. Taku, wieder, wonach er "verbalen Angriffen" seitens der ruandischen Behörde ausgesetzt gewesen sei.

Das ICTR geht im Falle Erlinders streng nach Vorschrift vor, in anderen Fällen werden dagegen fundamentale rechtstaatliche Gepflogenheiten ignoriert. Eigentlich hätte das Gericht nämlich gute Gründe gehabt, sich bereits vor einigen Jahren aufzulösen oder sämtliche bis dahin abgeschlossene Fälle neu aufzurollen. Ein Belastungszeuge, auf deren Aussage hin Menschen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt wurden, berichtete, er sei von ruandischen Behörden unter Druck gesetzt worden, die Angeklagten zu bezichtigen [7]. Was das mit rechtsstaatlichen Prinzipien zu tun haben soll, so weiterzumachen, als sei nichts geschehen, entzieht sich dem Verständnis.


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Anmerkungen:

[1] "ICTR/Military I - Appeals Chamber Sanctions Counsel Erlinder and Orders his Replacement", Hirondelle News, 27. April 2011
http://www.hirondellenews.com/content/view/14287/1209/

[2] "Opposition politician found dead in Rwanda", CNN, 14. Juli 2010
http://edition.cnn.com/2010/WORLD/africa/07/14/rwanda.politician.dead/?fbid=uDs6MDmeIhb

[3] DEMOCRATIC REPUBLIC OF THE CONGO, 1993-2003. Report of the Mapping Exercise documenting the most serious violations of human and international humanitarian law committed within the territory of the Democratic Republic of the Congo between March 1993 and June 2003. Juni 2010
http://www.taz.de/taz/pdf/DRC_RAPPORT_FINAL_ENG_18062010-2.pdf

[4] "Rwanda: Police Killings Tarnish Rule of Law. Authorities Should Investigate Deaths in Custody, End Collective Punishments", Human Rights Watch, 24. Juli 2007
http://www.hrw.org/en/news/2007/07/23/rwanda-police-killings-tarnish-rule-law

[5] "Rwanda: Stop Attacks On Journalists, Opponents - Government Actions Undermine Democracy As Presidential Election Draws Near", Human Rights Watch (Washington, DC), 26. Juni 2010
http://allafrica.com/stories/201006270101.html

[6] "U.S. Lawyer Is Barred From Rwanda Tribunal Work", New York Times, 27. April 2011
http://www.nytimes.com/2011/04/28/world/africa/28rwanda.html

[7] Näheres dazu unter:
AFRIKA/1807: Wieso hat sich das Ruanda-Tribunal noch nicht aufgelöst? (SB)

29. April 2011