Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1998: Sudan vor der Spaltung - Hegemoniestreben des Westens (SB)


Vorbereitung für das Referendum über Sezession Südsudans

Zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg - zwei Jahrzehnte westlicher Interventionismus


Sudan, der flächengrößte Staat Afrikas, steht vor der Spaltung. Anzunehmen, daß die Gründung eines neuen Staats konfliktfrei vor sich gehen wird, wäre vor allem deshalb naiv, weil ungeheuer viel auf dem Spiel steht. Dreiviertel des sudanesischen Erdöls liegen im Süden, der die Sezession anstrebt.

Im Januar nächsten Jahres werden zwei Referenden abgehalten, eines über die Abspaltung Südsudans, das bereits seit gut fünf Jahren einen weitgehenden Autonomiestatus genießt, und eines über den weiteren Verbleib der Region Abyei mit der gleichnamigen Stadt in ihrem Zentrum. Diese liegt nahe der Grenze zwischen Nord- und Südsudan und wurde im Mai 2008 bei Kämpfen weitgehend zerstört. In der Region Abyei und dem näheren Umfeld befinden sich die wichtigsten bekannten Ölvorkommen Sudans. Die Frage, wem das Gebiet zugesprochen wird, ist von entscheidender Bedeutung. Sowohl der Norden als auch der Süden haben die Jahre seit dem Friedensabkommen, dem Comprehensive Peace Agreement (CPA), vom 9. Januar 2005 zur massiven Aufrüstung genutzt und halten Truppen in Bereitschaft, um gegebenenfalls ihre territorialen Ansprüche mit Waffengewalt durchzusetzen. Eine internationale Schiedskommission, der Permanent Court of Arbitration in Den Haag, hatte im Juli 2009 Jahren den Grenzverlauf so festgelegt, daß der erdölreichere Teil der Abyei dem Süden zugerechnet wird. Der Norden hat das umstrittene Ergebnis nicht akzeptiert.

Vermutlich rechnet nicht einmal die Zentralregierung in Khartum damit, daß die Bevölkerung des Südens gegen die Loslösung stimmen wird. Die Frage, wie sich die Einwohner von Abyei entscheiden, gilt dagegen als weniger sicher. Laut dem US-Kongreßabgeordneten Donald M. Payne sind vom Norden her gezielt Mitglieder des Misseriya-Volks eingewandert, um den Stimmanteil zugunsten eines Verbleibs der Region im Norden zu erhöhen. Dies soll auf Initiative der nordsudanesischen Regierungspartei NCP (National Congress Party) erfolgt sein. [1]

Der Sudan-Konflikt ist vielschichtig. In der Berichterstattung der Mainstream-Medien, vor allem der angloamerikanischen Sphäre, wird häufig ein Schwarz-weiß-Bild gezeichnet, begleitet von der Forderung nach einem Militäreinsatz gegen die Zentralregierung. Das wird der Lage vor Ort und den beteiligten Interessen nicht gerecht. Der Konflikt in Sudan findet auf mindestens drei Ebenen statt, die miteinander teils bis zur Ununterscheidbarkeit verzahnt sind.

Auf nationaler Ebene ringen die verschiedenen innersudanesischen Interessengruppen um Einfluß, wobei der Gegensatz zwischen dem muslimisch geprägten Norden und dem unter christlichem Einfluß liegenden Süden bestenfalls grobe Anhaltspunkte liefert. Auf internationaler, rein afrikanischer Ebene versuchen Nachbarstaaten wie Uganda, Äthiopien, Tschad, Libyen in Sudan ihnen zum Vorteil gereichende Entwicklungen zu fördern. Auf transkontinentaler Ebene ringen Länder wie China auf der einen und die USA auf der anderen Seite um Zugriff auf das sudanesische Öl, wobei gegenwärtig das Reich der Mitte den größten Anteil an den sudanesischen Erdölexporten hat, während die USA außen vor stehen.

Das will die amerikanische Regierung ändern. Mit der finanziellen und waffentechnischen Unterstützung der seit vielen Jahren von ihr geförderten SPLA/M (Sudanese People's Liberation Army/Movement) will sie eine Sezession Südsudans herbeiführen. Vordergründig und nicht zu übersehen geht es um Zugriff auf das Erdöl, dahinter steht aber noch das geopolitische Ziel, keinen islamisch regierten Staat von der Größe und dem potentiellen Einfluß Sudans, das an der Schnittstelle zwischen dem schwarzafrikanischen und dem arabischen Raum liegt, zuzulassen. Ein funktionierender, konfliktarmer Sudan besäße Ausstrahlungskraft in beide Richtungen und wäre Vorbild für andere Staaten, die auf die Idee kommen könnten, sich der Bevormundung durch die USA entziehen zu wollen.

Außerdem verfügt Sudan über einen langen Küstenabschnitt an einer der bedeutendsten Seeverbindungen der Welt. Ein großer Teil des Warenverkehrs von Europa nach Asien wird über den Suez-Kanal, Rotes Meer, Indischer Ozean abgewickelt. Ein starkes Land, das nicht wie Sudan mit inneren Konflikte auf Trab gehalten wird, könnte versucht sein, diesen Vorteil als Druckmittel gegen westliche Interessen einzusetzen.

Zudem sollte bei der Einschätzung der Gesamtlage in Sudan die historische und geographische Frage nicht vernachlässigt werden. Es waren die britischen Kolonialherren, die unter Einsatz extremer Gewaltmittel das riesige Staatsgebilde, das sich heute Sudan nennt, zwangsvereinigt hatten. Das Land nimmt eine Fläche fast so groß wie Westeuropa ein, da liegen Interessenkonflikte aufgrund unterschiedlicher kultureller Herkünfte und Lebensweisen nahe, und die Spaltung ist potentiell angelegt.

Einer der prominentesten Propagandisten, die auch ein militärisches Eingreifen in Sudan gutheißen, ist der Schauspieler George Clooney. Er hatte gemeinsam mit einem weiteren Interventionisten, John Prendergast, Leiter des Enough Projects, den Südsudan bereist und sprach diese Woche im Weißen Haus mit US-Präsident Barack Obama über Sudan. Clooney und Prendergast betrachten nur das desaströse humanitäre Ergebnis: Zwanzig Jahre Bürgerkrieg Norden gegen Süden haben zwei Millionen Opfer gefordert, und der Darfur-Konflikt im Westen hat mehreren hunderttausend Menschen das Leben gekostet. Die Vertreibungen und Mißhandlungen nicht mal eingerechnet. Dafür ist die Bashir-Regierung verantwortlich.

Bei dieser Einstellung werden die Auswirkungen von Ebene zwei und drei des Sudan-Konflikts schlichtweg unterschlagen. Ohne die Unterstützung unter anderem der USA hätte sich die SPLA nicht zwei Jahrzehnte lang militärisch gegen Khartum zur Wehr setzen können. Und ohne das Friedensabkommen von 2005, das erst nach erheblichem Druck seitens des US-Gesandten Senator John Danforth zustandegekommen war, hätten die blutigen Auseinandersetzungen in Darfur möglicherweise kein so enormes Ausmaß angenommen. Denn es waren die USA, die darauf bestanden, daß an den Friedensverhandlungen nicht alle sudanesischen Interessengruppen, sondern nur Khartum und die SPLA/M teilnehmen dürften. Als dann bekannt wurde, daß sich beide Seiten auf die Teilung der Öleinnahmen geeinigt, aber andere Regionen im Westen und Osten außen vor gelassen hatten, begannen wenige Tage darauf zwei Rebellengruppen in Darfur Polizeistationen und Garnisonen anzugreifen. Die Gruppen SLM und JEM fühlten sich zurecht durch das Friedensabkommen ausgegrenzt.

Prendergast und Clooney möchten nur auf Ebene eins über den Sudankonflikt sprechen. Bei der Beurteilung der Vorgänge genügt es jedoch nicht, wenn man feststellt, daß der 1989 durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Präsident Omar Al Bashir die Verantwortung für Massaker und Massenvertreibungen in der westlichen Provinz Darfur trägt und deswegen vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag angeklagt wurde. Was übrigens ein Novum in der jungen Geschichte dieses Gerichts und Teil des Interventionismus ist. Noch nie zuvor hat das IStGH ein amtierendes Staatsoberhaupt per internationalem Haftbefehl gesucht.

Afrikanische Staaten wie Kenia, die zwar das Statut von Rom unterzeichnet und damit den IStGH anerkannt haben, liefern Bashir nicht aus, weil sie gemerkt haben, daß das Gericht ein weiteres Zwangsmittel hegemonialer Interessen des Westens ist, das auch sie treffen könnte. Mehr noch als die Politiker fragen die Menschen in Afrika, wieso nicht auch der ehemalige britische Premierminister Tony Blair oder der frühere US-Präsident George W. Bush und andere politische Entscheidungsträger angeklagt werden. Diese hatten unter von Anfang an durchschaubaren, inzwischen längst widerlegten Vorwänden Kriege in Irak und Afghanistan begonnen und damit das Völkerrecht grob verletzt.

Die für den 9. Januar anberaumten Referenden in Sudan besitzen bei der US-Regierung einen hohen außenpolitischen Stellenwert, gleich hinter Afghanistan und Irak. [2] Südsudanesische Politiker wie der Vizepräsident Sudans und Präsident des Südsudans, Generalleutnant Salva Kiir, werden in Washington hofiert und sozusagen "rumgereicht". Bei seinem Besuch sprach er nicht nur mit hochrangigen Regierungsmitgliedern, sondern wurde auch von dem Think Tanks Council on Foreign Relations (CFR) und dem International Peace Institute (IPI) herzlich empfangen. Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York sagte Salva Kiir, daß er zwar gegen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung sei, sollte die sudanesische Regierung in Khartum das Abhalten des Referendums über den Status Südsudans aus welchen Gründen auch immer verzögern, aber der Termin des Referendums läge fest. Darüber sei nicht zu diskutieren.

Der Zentralregierung war es 21 Jahre lang nicht gelungen, die SPLA zu bezwingen. Zwar wurden immer wieder Vorstöße unternommen und Bombenangriffe auf mutmaßliche Stellungen geflogen, wobei zahlreiche Zivilisten ums Leben kamen, aber angesichts der riesigen Fläche selbst nur der südlichen Hälfte des Landes versandeten diese Aktionen letztlich. Aus dieser Erfahrung dürfte der Norden den Schluß gezogen haben, daß der Süden nicht zu halten und ein Ringen darum mit zu hohen eigenen Verlusten verbunden sein würde. Gegenwärtig hat es den Anschein, als würde das Referendum über den zukünftigen Status des Südsudans mindestens zeitnah zum angesetzten Termin des 9. Januar abgehalten, nicht aber das Referendum zu Abyei. [2]

Sollte es zum Waffengang zwischen Nord- und Südsudan kommen, befände sich die internationale Gemeinschaft aufgrund der am 25. März 2005 vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Mission UNMIS inmitten des Konflikts. Die Bundesregierung hat für diese Mission drei Polizeiausbilder und 30 Militärbeobachter abgestellt. Wie auch immer, ob die Referenden abgehalten werden oder nicht, und welches Ergebnis sie bringen, die Verantwortung für die Millionen Toten und Vertriebenen, für Folter, Vergewaltigung und Plünderung, beschränkt sich nicht auf die Täter der Ebene eins, sondern ist auch auf Ebene zwei, insbesondere aber auf Ebene drei zu verorten. Über diese Täter sitzt niemand zu Gericht, sind sie es doch, welche die Gerichte einberufen und ihre Ausrichtung bestimmen.


*


Anmerkungen:

[1] "Sudan: Remarks to 'The Sudan Referendum - Dangers and Possibilities' at The Brookings Institution", Donald Payne, allAfrica.com, 13. Oktober 2010
http://allafrica.com/stories/201010130897.html

[2] "SUDAN - A New York divorce", Africa Confidential, Vol 51 No 20, 8. Oktober 2010
http://www.africa-confidential.com/article/id/3690/A-New-York-divorce

15. Oktober 2010