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AFRIKA/1991: UN-Report - Ruandas Armee richtete im Kongo schwerste Massaker an (SB)


Blutiger Vormarsch der ruandischen Armee in die DR Kongo im Jahr 1996

Ruandas Staatspräsident Kagame und Verteidigungsminister Kabarebe im Zentrum der Verantwortlichkeit für genozidale Verbrechen


Der Entwurf eines UN-Sonderberichts [1], in dem die Kriegsverbrechen, die zwischen 1993 und 2003 in der Demokratischen Republik Kongo (vormals Zaire) begangen wurden, detailliert aufgelistet sind, kommt unter anderem zu dem Schluß, daß 1996 ruandische Soldaten Hutu-Flüchtlinge und einheimische, kongolesische Hutu zu Zehntausenden umgebracht haben. Frauen, Kinder, alte Menschen - niedergeknüppelt, erschlagen, abgestochen, erschossen, gefoltert, vergewaltigt. Es handele sich um Verbrechen, die von einem Gericht als Völkermord ausgelegt werden könnten, heißt es.

Die ruandische Regierung, dessen Präsident Paul Kagame 1996 Verteidigungsminister und Vizepräsident Ruandas und damit hauptverantwortlich für die Massaker war (und schon damals als erster Mann im Staat galt), weist jede Schuld von sich und versucht die UNO unter Druck zu setzen: Wenn der Bericht in der vorliegenden Form offiziell veröffentlicht wird, werde man die Zusammenarbeit beenden. Das betrifft vor allem den Abzug der ruandischen Blauhelmsoldaten in der westsudanesischen Provinz Darfur.

Mit solch einer harschen Reaktion war zu rechnen, denn der UN-Bericht legt die Axt an das unermüdlich bediente Bild, daß die heutige Regierung, die von Kagames Tutsi-Ethnie beherrscht wird, zu den Opfern eines 1994 von Hutu in Ruanda begangenen Völkermords zählt. Zwar hatte damals Kagames Ruandische Patriotische Front (RPF) die mutmaßlichen Völkermörder vertrieben, aber bis dahin sollen die Hutu bereits rund 800.000 Tutsi und moderate Hutu getötet haben. Daß mit dieser Sichtweise teilweise Verdrehungen der Abläufe um 180 Grad befördert werden, hat der Schattenblick in der Vergangenheit mehrfach ausführlich dargelegt [2] und soll hier nicht in der eigentlich gebotenen Ausführlichkeit wiederholt, sondern nur an einem Beispiel verdeutlicht werden: Wenn man eine Hauptopfergruppe der Massaker identifizieren will, dann waren es die Tutsi, die in Ruanda gelebt haben, nicht aber Kagames Armee aus Exil-Tutsi, die nichts anderes als eine Invasion begangen hatte. Erste Invasionsversuche gab es bereits 1990. Damals hatte Kagame, der zuvor militärischer Geheimdienstchef in der Armee Ugandas war, seine Spezialausbildung an einer US-Militärakademie abgebrochen und die Führung der RPF übernommen. Die Milizen waren somit nicht der bewaffnete Arm einer unterdrückten Minderheit innerhalb Ruandas, sondern Invasoren aus dem Nachbarland.

Als ruandische Soldaten 1996 in den Kongo einmarschierten und bei ihrem Vormarsch die von rund 20 UN-Ermittlern recherchierten Massaker begingen, brachten sie den Kongolesen Laurent Desiré Kabila an die Macht. Nach aufgedeckten Attentatsplänen gegen seine Person warf Kabila im August 1998 seine allzu aufdringlichen ruandischen und ugandischen "Berater" aus dem Land. Wenige Tage später drangen sie von Osten her in einer konzertierten Aktion, die möglicherweise von einem US-Kriegsschiff in der Mündung des Kongo unterstützt wurde, vor und wollten schon die Hauptstadt Kinshasa im Sturm nehmen, da erhörte Simbabwe die Beistandsbitte Kabilas und schickte seine Luftwaffe los, welche die Einnahme verhinderte. Mit dieser Intervention kam der simbabwische Präsident Robert Mugabe seiner Beistandspflicht nach, denn die DR Kongo war von anderen Staaten angegriffen worden. Angola und Namibia schlossen sich ebenfalls an, und so hatten die Invasoren den "ersten Weltkrieg auf afrikanischem Boden" entfacht. Abgesehen vom heutigen Präsidenten Paul Kagame spielte auch Verteidigungsminister James Kabarebe hierbei eine wichtige Rolle. 1996 war er Kagames rechte Hand und führte den Vormarsch der RPF an. Später koordinierte er die Plünderung der ostkongolesischen Rohstoffe, und er war Kommandant der ruandischen Blauhelmsoldaten in Darfur. 2006 beantragte der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière internationale Haftbefehle gegen Kabarebe und neun weitere hochrangige RPF-Mitglieder.

Entscheidend am aktuellen Entwurf des UN-Sonderberichts ist, daß in ihm der Mythos von den Hutu als alleinige Täter und Tutsi als immerzu Opfer entlarvt wird. Dieses Schwarz-weiß-Bild bildet seit 16 Jahren die Legitimationsgrundlage des Staates Ruandas. Damit wurden und werden nahezu alle Repressionen der Kagame-Administration begründet. Wie weit die Unterdrückung geht, wird daran deutlich, daß, wer heute anmerkt, daß 1994 nicht nur Tutsi umgebracht wurden, sondern auch Hutu, damit rechnen muß, wegen Verharmlosung des Genozids verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt zu werden. So wie die Präsidentschaftskandidatin Victoire Ingabire Umuhoza, die unter Hausarrest gestellt wurde und deren Partei FDU-Inkingi noch nicht einmal zu den Wahlen im August dieses Jahres zugelassen worden war.

Es wird sich zeigen, ob in der für diesen Monat angekündigten endgültigen Version des UN-Sonderberichts noch immer die ruandische Regierung, die Truppen zur Verfolgung von Hutu und zur Beteiligung am Sturz des damaligen Diktators Mobutu Sese Seko (1997) ins Nachbarland gesandt hatte, derart deutlich als Täter und die Hutu als Opfer beschrieben werden - also genau umgekehrt zur bisherigen Geschichtsschreibung. Die Vermutung liegt nahe, daß eben wegen der Möglichkeit einer Abschwächung der Vorwürfe der Entwurf lanciert wurde.

Jetzt, da deutlich wird, daß die RPF nicht die Guten sind, als die sie sich darstellen und als die sie auch von der westlichen Wertegemeinschaft behandelt wird - bis heute wurde noch kein RPF-Mitglied vom UN-Tribunal für Ruanda wegen 1994 begangener Kriegsverbrechen angeklagt - ist möglicherweise Platz entstanden, um weitergehende Fragen auch nach der Beteiligung des Westens an dem Gesamtkonflikt in der rohstoffreichen Region rund um die Großen Seen Ostafrikas und in Ostkongo zu stellen. Denn die dort abgebauten Rohstoffe wie Coltan, das für wärmeunempfindliche Bausteine in Handys, Spielekonsolen, aber auch elektronisch gesteuerten Waffensystemen verwendet wird, sind in den westlichen Produktionsstätten gelandet. Ohne diesen übergeordneten Zusammenhang hätten die Massaker möglicherweise gar nicht diese Größe angenommen.

Die Vereinten Nationen bringen nicht zum ersten Mal einen Bericht zum Kongo-Konflikt heraus, bislang blieb davon der geostrategisch Überbau, nämlich daß Frankreich seinen Einfluß in Ruanda verloren hat und er auch in der DR Kongo schwächer wird, während die anglo-amerikanische Achse den freigewordenen Raum besetzt hält, nahezu unberührt. Auch hierzu wäre zu fragen, warum nicht längst wirksame Maßnahmen gegen die Plünderung des Ostkongo und damit gegen die Fortsetzung von immer neuen Greueltaten ergriffen worden waren. Nicht in Form von Interventionen, wie es die EU administrativ [4] und direkt militärisch [5] getan hat, sondern indem man beginnt, die eigene Teilhaberschaft abzustellen. Das hieße, keine geostrategischen Absichten verfolgen, keine Waffen produzieren, da sie selbstverständlich immer in Konfliktgebieten landen werden, Plünderstaaten wie Ruanda beim Namen nennen und sie nicht auch noch mit Entwicklungshilfe eindecken - die deutsche Ex-Kolonie ist Schwerpunktland deutscher Entwicklungshilfe. [5] Es wäre bedauerlich, sollte die UNO den Sonderbericht verwässern, nur weil eine bis jetzt mit Samthandschuhen angefaßte Regierung ihren Ruf in Gefahr sieht.

Überraschen würde das allerdings nicht, hat sich doch die UNO von jeher recht "anpassungsbereit" im Zusammenhang mit den Konflikten in der DR Kongo und in Ruanda gezeigt. Sprich: Sie haben sich nicht gegen die Bevormundung durch die USA behauptet. Noch immer ist zum Beispiel völlig unverständlich und harrt nach wie vor der Klärung, warum die UN-Chefermittlerin Louise Arbour die Untersuchung des Attentats am 6. April 1994 auf die Präsidenten zweier Staaten, Juvenal Habyarimana aus Ruanda und Cyprien Ntaryamira aus Burundi, zunächst vorangetrieben, dann aber wie aus heiterem Himmel eingestellt hat, nachdem ihr Vor-Ort-Ermittler Michael Hourigan und sein Team von einer heißen Spur berichteten. Die führte in Richtung Paul Kagame, schon damals ein Schützling der USA.


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Anmerkungen:

[1] DEMOCRATIC REPUBLIC OF THE CONGO, 1993-2003. Report of the Mapping Exercise documenting the most serious violations of human and international humanitarian law committed within the territory of the Democratic Republic of the Congo between March 1993 and June 2003. Juni 2010
http://www.taz.de/taz/pdf/DRC_RAPPORT_FINAL_ENG_18062010-2.pdf

[2] Näheres unter:
AFRIKA/1807: Wieso hat sich das Ruanda-Tribunal noch nicht aufgelöst? (SB)
AFRIKA/1869: Ruanda-Genozid - Belastungszeuge Mugenzi widerruft Aussage (SB)
AFRIKA/1895: Ruanda - Hintergründe des Commonwealth-Beitrittsantrags (SB)

[3] AFRIKA/1945: James Kabarebe wird neuer Verteidigungsminister Ruandas (SB)

[4] "Missionen der EU in der Demokratischen Republik Kongo", letzte Änderung 11. September 2008, abgerufen am 1. September 2010
http://europa.eu/legislation_summaries/foreign_and_security_policy/cfsp_and_esdp_implementation/ps0005_de.htm

[5] "Der EU-Einsatz im Kongo", Auswärtiges Amt, Stand 04. Dezember 2006, abgerufen am 1. September 2010
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/Afrika/Kongo-Einsatz.html

[6] "Beschwiegene Massaker", german-foreign-policy.com, 31. August 2010
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57883?PHPSESSID=sr72qsrnu85hpavtdhaen16tc3

1. September 2010