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AFRIKA/1989: Kenia - Rußlands Exportstopp treibt Weizenpreis in die Höhe (SB)


Grundnahrungsmittel Weizen wird weltweit teuer

Bislang relativ geringe Auswirkungen auf Kenias Märkte


Die schwerste Hitzewelle und Dürre in Rußland seit Beginn der Aufzeichnungen hat zur Zerstörung von rund 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche geführt. So mußte einer der weltweit wichtigsten Weizenexporteure, der einen Weltmarktanteil von acht Prozent hat, ein Ausfuhrverbot verhängen, ansonsten hätte die Gefahr eines starken Preisanstiegs und der Spekulation mit gehortetem Weizen bestanden. Die Folgen der Restriktionen sind weltweit in Form eines kräftigen Anstiegs der Weizenpreise um 80 Prozent zu spüren, zumal auch in anderen Regionen, beispielsweise Kasachstan, Ukraine und Kanada sowie in Pakistan, die Ernte unterdurchschnittlich ausfällt. Die russische Mißernte wird nach Einschätzung des International Food Policy Research Institute (IFPRI) die globale Weizenproduktion um 1,6 Prozent verringern. [1]

Die kenianischen Weizenproduzenten betrachten das Weizenexportverbot der russischen Regierung als Segen, denn dadurch können sie höhere Preise für ihre Ware erzielen. Menschlich gesehen ist es allerdings pervers, daß Mangel und Not in der einen Weltregion den Bauern in einer anderen Weltregion zum Vorteil gereichen. Ermöglicht wird dies durch ein Wirtschaftssystem, dessen primäre Aufgabe nicht darin besteht, Mangel und Not zu beheben, sondern die Akkumulation von Kapital zu ermöglichen, was zur Folge hat, daß Mangel und Not regelrecht erzeugt und als Vitalfaktor instrumentalisiert werden. Dieses System bringt Profiteure hervor, zu denen sich die kenianischen Landwirte allerdings nur vorübergehend zählen dürfen, und ob sie wirklich profitieren, wäre ebenfalls zu fragen.

Weizen ist in Kenia das zweitwichtigste Grundnahrungsmittel. Das Land erzeugt nur rund 30 Prozent seines Jahresverbrauchs von circa einer Million Tonnen. Der Exportbann für Weizen durch Rußland trifft in dem ostafrikanischen Land auf die besondere Situation, daß dort seit längerem darüber gestritten wird, die Importzölle für Weizen in Höhe von gegenwärtig 35 Prozent auf zehn Prozent zu senken. Das entspricht dem Niveau der Bündnispartner Uganda und Tansania in der East African Community (EAC) und sollte nach der Vereinbarung der Gemeinschaft zum 1. Juli 2010 verwirklicht worden sein. [1] Als aber Finanzminister Uhuru Kenyatta im Juni die Zollabsenkung ankündigte, hatte das bei den Landwirten heftige Proteste ausgelöst, da sie die Konkurrenz befürchteten. Bis heute wurde die Ankündigung nicht umgesetzt. Auf der anderen Seite drängen die Müller und Bäcker darauf, daß die Zölle gesenkt werden, denn sie stehen wiederum im Wettbewerb mit ihren Kollegen aus den beiden anderen EAC-Ländern, die weniger Abgaben entrichten müssen und deshalb konkurrenzfähiger sind.

Welche Seite dieser Auseinandersetzung sich auch immer durchsetzt, die Verbraucher rechnen auf jeden Fall mit höheren Brotpreisen als Folge des Weizenmangels. Wobei Expertinnen wie Mary Mathenge, Direktorin des Tegemeo Institute of Agricultural Policy and Development, nicht davon ausgeht, daß das Exportverbot größere Auswirkungen auf den kenianischen Markt haben wird. Gleichzeitig räumt sie aber ein, daß die ostafrikanischen Länder die Preissteigerungen des Weltmarkts als Folge der schlechten Erntezahlen abbekommen werden. [1] Wohingegen Diamond Lalji, Vorsitzender der kenianischen Cereal Millers Association, von vornherein die Verbraucher auf steigende Mehl- und Brotpreise eingestimmt hat. In den letzten 30 Jahren hätten sie um 44 Prozent zugelegt, gibt er zu bedenken. [2] Wenn die Müller ihre Lager räumen, werden die Preise steigen, und der kenianische Markt werde mit zollfreiem Mehl aus Uganda und Tansania überschwemmt, prophezeit Lalji.

Die kenianische Landwirtschaftsministerin Sally Kosgey hat den Streit zwischen Landwirten und Müllern bzw. Bäckern zu schlichten versucht und beide Seiten aufgefordert, miteinander zu reden und keine überzogenen Ansprüche an die anderen zu stellen. [3] So soll erreicht werden, daß die Landwirte keine roten Zahlen schreiben müssen, aber gleichzeitig die Mehl- und Brotpreise einigermaßen stabil bleiben. Kein leichtes Unterfangen, ist doch die Tonne Weizen, die im Hafen von Mombasa angelandet wird, innerhalb eines Monats um die Hälfte gestiegen. Dem folgte nicht ganz so steil der Preis für Weizenmehl. [3]

Obgleich wegen der rückläufigen Getreideernte erneut eine globale Preisexplosion für Grundnahrungsmittel wie in den Jahren 2007, 2008 eintreten könnte, sind Experten unter anderem der FAO und des IFPRI um Beschwichtigung bemüht. Vielleicht aber auch gerade deshalb, denn sie wollen das Unheil nicht herbeirufen. Jedenfalls können Vorgänge wie das Anziehen des Weltmarktpreises für Weizen oder auch der drängende Versuch des Bergbauunternehmens BHP Billiton, den kanadischen Düngemittelhersteller Potash zu übernehmen, als Indizien dafür gedeutet werden, daß der Agrarbereich für Investitionskapital attraktiv ist und bleiben wird, weil die Nachfrage nach Getreide größer ist als das Angebot. Die Spanne dazwischen wäre das Äquivalent zu Mangel, und der hat zur Konsequenz, daß sich ärmere Bevölkerungsschichten immer weniger Nahrung leisten können. Sie trifft es existentiell, daß bei ihnen keine Nahrung ankommt. Bei der letzten Preisexplosion stieg die Zahl der Hungernden weltweit um mindestens hundert Millionen an. Die Not wäre im Zuge einer weiteren Preisrunde durchaus steigerbar.


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Anmerkungen:

[1] "Kenya: How Country Will Be Affected by Russia Wheat Export Ban", The East African (Nairobi), 16. August 2010
http://allafrica.com/stories/201008160900.html

[2] "Kenya: Wheat Import Duty Row May Push Up Costs", The Nation (Nairobi), 14. August 2010
http://allafrica.com/stories/201008161103.html

[3] "Kenya: Be Fair Over Wheat Prices, Says Kosgey", The Nation (Nairobi), 16. August 2010
http://allafrica.com/stories/201008161378.html

26. August 2010