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AFRIKA/1958: Ruanda - Schulterschluß der ICTR-Verteidiger (SB)


Second International Criminal Defense Conference in Brüssel

Anwälte des Ruanda-Tribunals kooperieren, um sich gegenüber Vorverurteilungen und Siegerjustiz zu behaupten


Dem Anschein nach ist es dem ruandischen Präsidenten Paul Kagame und seiner Regierungspartei RPF gelungen, das kleine afrikanische Land nach dem Massaker an fast einer Million Einwohnern zwischen April und Juli 1994 zu befrieden. Unter der Oberfläche schwelt es jedoch, und das hat fast nichts mit ethnischem Denken zu tun, wie die Regierung der Bevölkerung unermüdlich weismachen will, sondern genau umgekehrt mit der gewaltsamen Unterdrückung ethnischer Kategorien. Vor allem aber hat es mit der massiven Geschichtsverdrehung nach 1994, durch die Hutu als quasi von Natur aus schuldig und Tutsi als gut dargestellt werden, zu tun.

Eben diese Leugnung ethnischer Unterschiede erinnert an die unsägliche Einteilung der Ruander in Tutsi und Hutu während der deutschen und belgischen Kolonialzeit. Wobei hier ethnisch in einem Sinne zu verstehen ist, wie er der Einteilung nach Volksgruppen vermutlich ursprünglich einmal zugrunde gelegen hat, nämlich nach Zugehörigkeit, die sich am gesellschaftlichen Einfluß und nicht an biologischen Kriterien der Herkunft festmachen läßt. Demnach waren Hutu vor allem Bauern, während Tutsi die ruandische Oberschicht bildeten.

In den 1990er Jahren hatte die RPF unter Paul Kagame von Uganda aus eine Invasion von Ruanda begonnen, Dörfer überfallen, Landminen ausgelegt, Infrastruktureinrichtungen gesprengt. Kurz zuvor war Kagame noch militärischer Geheimdienstchef in der Armee des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni und hatte eine Ausbildung am Command and General Staff College in Fort Leavenworth, einer militärischen Eliteakademie der United States Army, genossen. Die RPF bestand quasi aus Einheiten der ugandischen Armee und kämpfte anfangs teils sogar noch in ugandischen Uniformen. In der offiziellen Lesart hingegen wird die RPF als "Bürgerkriegspartei" angesehen.

Der Unterschied, ob Soldaten zu einer Invasionsarmee oder einer Bürgerkriegspartei gehören, ist von enormer Bedeutung. Denn ein Land, das von außen angegriffen wird, darf sich militärisch verteidigen, und der Angreifer müßte eigentlich von der internationalen Gemeinschaft ausgegrenzt und seine Rädelsführer wären wegen Kriegsverbrechen anzuklagen. Kagame und seinen Mitstreitern ist es jedoch gelungen, sich als Befreier Ruandas zu verkaufen, ganz so, als wäre die Entstehung der RPF ausschließlich als Folge der inneren Unzufriedenheit Ruandas entstanden. Dem muß entschieden widersprochen werden. Die RPF wurde von Exilruandern gegründet. Kagame beispielsweise ist Kind von Ruandern, die das Land bereits Anfang der 1960 Jahre verlassen mußten. Er ist englischsprachig aufgewachsen, in Ruanda wird dagegen neben dem ursprünglichen Kinyarwanda Französisch gesprochen.

Die internationale Protektion, die Kagame und die RPF seit zwanzig Jahren genießen, geht vor allem auf die beiden UN-Sicherheitsratsmitglieder USA und Großbritannien sowie auf die Vereinten Nationen zurück. Durch gezielte Maßnahmen und nicht weniger gezielte Versäumnisse zimmern diese Institutionen an dem Bild von der RPF und Kagame als Befreier Ruandas. Dieser Denkweise befleißigt sich selbst das vom Sicherheitsrat initiierte Ad-hoc-Tribunal ICTR (International Criminal Tribunal of Rwanda).

Obgleich der Auftrag lautet, daß das Gericht für sämtliche 1994 in Ruanda und angrenzenden Regionen begangene Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig ist, wurden bis heute lediglich Hutu angeklagt und verurteilt. Obgleich doch der Auftakt des 100tägigen Massakers mit hoher Wahrscheinlichkeit von Kagame ausgelöst wurde, indem er am 6. April 1994 das Flugzeug des damaligen ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana beim Landeanflug auf den Internationalen Flughafen von Kigali abschießen ließ. Mit an Bord befanden sich unter anderem der burundische Präsident Cyprien Ntaryamira, ruandische Militärs und Politiker sowie die französische Crew.

Die frühere Chefermittlerin des ICTR, Louise Arbour, brach die Ermittlungen zur Aufklärung des Attentats, durch das auf einen Schlag zwei fragile Staaten ihrer Führung beraubt worden waren, zu dem Zeitpunkt plötzlich ab, als sich erstmals eine heiße Spur zeigte. Die führte jedoch nicht zu militanten Hutu, die ihren eigenen Präsidenten beseitigen wollten, wie bis dahin unermüdlich kolportiert wurde, sondern schnurstracks zu dem Tutsi Paul Kagame. Arbours Nachfolgerin, Carla Del Ponte, hatte beschlossen, Vorermittlungen auch gegen Tutsi aufnehmen zu lassen. Das Ergebnis: Sie bekam von Seiten der ruandischen Regierung ständig Steine in den Weg gelegt und wurde der Unprofessionalität bezichtigt. Die Ermittlungen liefen sehr schleppend, 2003 verlor Del Ponte ihr Mandat für Ruanda (nicht das für Jugoslawien) - ein bis dahin einmaliger Vorgang bei den Vereinten Nationen.

Hassan B. Jallow wurde Del Pontes Nachfolger beim ICTR. Unter seiner Führung kehrte wieder "Ruhe" ein, das heißt, es wird Siegerjustiz betrieben. Das ICTR läßt sich durch nichts erschüttern. Da verschwindet ein wichtiger Zeuge der Verteidigung aus einem geschützten Gefängnis in Arusha, dem Sitz des Ruanda-Tribunals, spurlos ... kann ja mal passieren! Ein anderer Zeuge räumt vor Gericht ein, daß er und andere Zeugen von den ruandischen Behörden massiv unter Druck gesetzt wurden, Meineid zu begehen und die Angeklagten zu belasten - kein Problem, das Tribunal "arbeitet" weiter. Auch daß die Aussage dieses Zeugen zuvor bereits zur Verurteilung eines Angeklagten beigetragen hat, lockt den Verantwortlichen keine Sorgenfalten auf die Stirn. Weitere Belastungszeugen der Anklageseite, die bereits in einem früheren Verfahren haarsträubende Geschichten zum besten gegeben haben, dürfen beim nächsten Verfahren erneut Aussagen und pure Erfindungen von sich geben. Und so weiter und so fort.

Einen guten Einblick in die Machenschaften des ICTR sowie des für Jugoslawien zuständigen ICTY und des ICC (International Criminal Court) dürfte die von Anwälten der Verteidigung einberufene Second International Criminal Defense Conference, die unter dem Titel "Lessons from the Defence at the Ad Hoc UN Tribunals, and Prospects for International Justice at the ICC" vom 21. bis 23. Mai in Brüssel abgehalten wird, liefern. (Näheres auf der Website http://www.ictrlegacydefenseperspective.org/En.html)

Wenn von der heutigen Regierung Ruandas ethnische Unterschiede unter den Tisch gekehrt werden, dann ist das offensichtlich ein Vorwand, um die für viele Einwohner wesentlicheren Unterschiede, die sozialer Art sind und mit den Einkommen, aber auch politischen Einflußmöglichkeiten zu tun haben, zu verdecken. Es liegt nahe, daß solch eine rigide Politik nur unter Anwendung von Repressionen gegen politisch Andersdenkende betrieben werden kann. Ob das auf lange Sicht gelingt, ist allerdings zweifelhaft. Ungeachtet der großen Erfolge der ruandischen Regierung auf der nationalen wie internationalen Propagandafront - zu nennen ist die weitgehende Kontrolle über die Medien einerseits und die Aufnahme in den Commonwealth sowie die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Frankreich -, konnten nicht alle Stimmen, die wissen wollen, was sich rund um den sogenannten Ruanda-Genozid zugetragen hat, zum Verstummen gebracht werden. Das hat nichts mit dem Wühlen Ewiggestriger in der Vergangenheit zu tun, sondern damit, daß in ruandischen Gefängnissen Zehntausende sogenannte Genozidverdächtige seit vielen, vielen Jahren unter elenden Bedingungen festgehalten werden, ohne sich vor einem Gericht verteidigen zu können. Die Gefangenen sind nach wie vor ein gewichtiges Pfund in der Hand der Regierung, die sich darüber Legitimation für ihre harte Haltung gegenüber unliebsamen Teilen der Bevölkerung wie auch gegenüber Oppositionellen verschaffen will.

19. Mai 2010