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AFRIKA/1939: Hungersnot in Niger (SB)


Halb Niger hat nicht genug zu essen

Hilfsorganisationen können nur einen winzigen Bruchteil der Not lindern


Anfang Februar haben Hilfsorganisationen einen Appell an die internationale Gemeinschaft gerichtet, sie möge Niger im Kampf gegen den Hunger unterstützen. 7,8 Millionen Einwohner - mehr als die Hälfte der Bevölkerung von 15 Millionen - litten Nahrungsmangel; bei 2,7 Millionen von ihnen sei die Not sogar akut. Das halbe Land habe nicht mal mehr für zwei Monate zu essen, und die nächste Ernte werde erst im Oktober eingebracht. [1]

Ob aus humanitären Gründen oder aus eigennützigen, weil zu befürchten wäre, daß der Hunger in einem afrikanischen Land Fluchtbewegungen der betroffenen Einwohner auslöst, die versuchen könnten, "illegal" in die Europäische Union einzureisen - wäre nicht zu erwarten gewesen, daß die Geberländer auf den Appell reagieren und Niger Nahrung zukommen lassen? Aber die blieb weitgehend aus. Die Nahrungskrise wachse, meldet die Nachrichtenagentur afrol diese Woche Montag, rund sechs Wochen nach dem ersten Appell. [2]

Weiterhin leiden rund acht Millionen Einwohner Nigers unter Nahrungsmangel, bestätigten die Partnerhilfsorganisationen Internationales Rotes Kreuz und Roter Halbmond eine frühere Warnung vor Nahrungsunsicherheit, die von der nigrischen Regierung ausging. Die Organisationen bitten um Unterstützung in Höhe von einer Million Dollar (700.000 Euro), um die Folgen der schlechten Ernte aus dem vergangenen Jahr zu kompensieren.

Das von der US-Regierung finanzierte Hunger-Frühwarnsystem FEWS-Net (FEWS = Famine Early Warning Systems Network) bestätigt, daß die Not in Niger wächst. Im Januar 2010 läge die Zahl der unterernährten Kinder an den Nahrungsmittel-Ausgabezentren um 60 Prozent über der des Vorjahresmonats. FEWS-Net kündigt für dieses Jahr eine schwerwiegende Hungerkrise in Niger an. "Es bereitet uns ernsthafte Sorgen, daß mehr als die Hälfte der ländlichen Haushalte kein Getreide in den Lagern hat", sagte Mamane Issa, Generalsekretär von Niger Red Cross. Er befürchtet, daß einerseits Flüchtlingsströme entstehen, andererseits die ländliche Bevölkerung all ihre Habe verkauft, sollte die Hungerhilfe nicht rechtzeitig eintreffen.

Gegenwärtig unterstützt das Internationale Rote Kreuz 300.000 Einwohner in 120 Dörfern in den Regionen Diffa, Zinder und Tahoua. Die vom Hunger betroffene Bevölkerung erhält Geld, wenn sie als Gegenleistung daran arbeitet, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Außerdem werden Nahrungsmittel und Saatgut an örtliche Partner verteilt, und Gesundheitszentren werden darin unterstützt, daß sie den betroffenen Kommunen angemessen nährstoffreiche Nahrung zukommen lassen.

In der zurückliegenden Dekade fielen in der Sahelzone die Niederschläge üppig aus, was die Nahrungssituation der Bevölkerung verbessert hatte. In diesem Jahr jedoch liegt die Niederschlagsmenge in West- und Zentralafrika deutlich unter dem Durchschnitt. Hunger und Unterernährung tritt nicht nur Niger massiv auf, sondern auch jenseits seiner Grenzen. Am Montag haben westafrikanische Bauern und Hirten einen offenen Brief an die Führer der neun Staaten des Permanent Interstate Committee for Drought Control in the Sahel (CILSS), die sich am Donnerstag in der tschadischen Hauptstadt N'Djamena treffen, gesandt und um Unterstützung gegen die Dürre gebeten. Die akute Unterernährung in der gesamten Region beträgt 29,9 Prozent.

Die Versorgung von 300.000 Menschen, verteilt über 120 Dörfer, in einer von Straßen und sonstigen Verkehrsverbindungen nicht gerade gesegneten Region, erfordert zweifellos eine professionelle Logistik und nicht zuletzt großes persönliches Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dennoch bleibt die Hilfe offensichtlich kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Nach einer zugegeben sehr vereinfachten Rechnung, die jedoch das Ausmaß der Not erahnen läßt, müßten die Hilfsorganisationen ihre Bemühungen um das 26fache steigern, um die 7,8 Millionen Einwohner Nigers von der Nahrungsnot zu befreien. Zudem wäre es erforderlich, was in Ansätzen ja schon gemacht wird, parallel zur direkten Hungerhilfe die agrostrukturellen Bedingungen zu verbessern. Und selbst diese Hilfe würde zunichte gemacht, sollten nicht Maßnahmen ergriffen werden, durch die die globalwirtschaftlichen Bedingungen verbessert werden, um zu verhindern, daß in den afrikanischen Ländern ganze Wirtschaftszweige (beispielsweise die Produktion von Milch und Geflügel) aufgrund der EU-Subventionspolitik wegbrechen.

Gegen das Wetter können die Menschen - zumindest kurzfristig - nichts unternehmen, so daß die Dürre in Niger unvermeidlich war. Wohl aber können sie etwas machen, damit Menschen, die von einer solchen Naturkatastrophe getroffen werden, nicht im Stich gelassen werden. Das erforderte ein gänzlich anderes politisches System als das gegenwärtig vorherrschende, in dem die Bereicherung zum eigentlichen Fortschrittsmoment erhoben wurde. Solange Profitstreben und Besitzstandsvermehrung das Zusammenleben der Menschen fundamental bestimmen, wird es Mangel geben. Ohne ihn könnte kein Reichtum entstehen. Durch die partielle Linderung der Not - nicht die vollständige! - in Niger und anderen Armutsländern wird dieses System aufrechterhalten.


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Anmerkungen:

[1] "International aid appeal launched for Niger", afrol News, 11. Februar 2010
http://www.afrol.com/articles/35314

[2] "Niger food crisis growing", afrol News, 22. März 2010
http://www.afrol.com/articles/35734

[3] "West African farmers call for help as drought hits", AFP, 22. März 2010
http://www.terradaily.com/reports/West_African_farmers_call_for_help_as_drought_hits_999.html

23. März 2010