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AFRIKA/1807: Wieso hat sich das Ruanda-Tribunal noch nicht aufgelöst? (SB)


Manipulierte Zeugen am laufenden Band

Siegerjustiz des UN-Tribunals für Ruanda soll die Geschichtsschreibung der herrschenden Interessen untermauern


Das vom UN-Sicherheitsrat einberufene Ad-hoc-Tribunal für Ruanda ist eine Farce. Hier wird das unsägliche Leid von Millionen Ruandern, die während des Bürgerkriegs zu Beginn der 1990er Jahre und bei seinem Höhepunkt 1994 mit dem Massenabschlachten von schätzungsweise 700.000 Tutsi und 100.000 moderaten Hutu umgekommen sind, verletzt oder vertrieben wurden, politisch instrumentalisiert und auf ihre Kosten Siegerjustiz betrieben.

Ruanda ist ein Paradebeispiel dafür, daß Geschichte immer aktuell von denjenigen geschrieben wird, die die Macht innehaben. Heute steht der Tutsi Paul Kagame an der Spitze des Landes. Der Umstand, daß er ein Tutsi ist, also zur Ethnie der Opfer des Völkermords von 1994 gehört, sollte nicht zu der Täuschung verleiten, daß auch er ein Opfer der Umstände war. Es spricht einiges dafür, daß es sich genau umgekehrt verhält.

Um die Eingangsbehauptung zu verstehen, weswegen das Ruanda-Tribunal eine Farce ist und es Siegerjustiz betreibt, kann auf einen gerafften Blick auf die jüngere Geschichte Ruandas und der Drahtzieher der historischen Entwicklung nicht verzichtet werden. Ende der 1980er Jahre lebte Kagame, Sohn von 1961 im Zuge der "Hutu-Revolution" ins Exil geflohenen Ruandern, weiterhin im Nachbarland Uganda. Er hatte sich in der ugandischen Armee bis zur der einflußreichen Funktion des Geheimdienstchefs emporgearbeitet und galt einerseits als Vertrauter des ugandischen Staatspräsidenten Yoweri Museveni, an dessen Machtergreifung Kagame beteiligt war, andererseits als dessen "Konkurrent". Jedenfalls dürfte Museveni froh gewesen sein, daß sich Kagames Ambitionen nicht auf Uganda erstreckten, sondern auf seine Heimat Ruanda.

1990 begann Kagame eine Ausbildung an der militärischen Eliteakademie der USA, dem Command and General Staff College in Fort Leavenworth. Dort wurde er von seinen Ausbildern als gewiefter Stratege eingeschätzt. Kagame brach die Ausbildung ab, als der RPF-Führer Fred Rwigema starb, und übernahm am 2. Oktober 1990 dessen Funktion. Bis 1993 attackierte die RPF, die sich aus Teilen der ugandischen Armee rekrutierte, Ruanda. Mit einiger Berechtigung könnte man sagen, daß es sich bei diesem Konflikt um keinen Bürgerkrieg gehandelt hat, sondern um ein Invasions- und Umsturzversuch seitens Ugandas, des Verbündeten der USA und Britanniens. Wenn ein Land ein anderes überfällt, wäre das eigentlich etwas, mit dem sich der UN-Sicherheitsrat befassen müßte. Wenn das nicht geschieht, liegt der Verdacht nahe, daß die maßgeblichen Kräfte in diesem Gremium - und das sind zweifellos die USA, wenn nicht allein, so doch in wechselnden Bündnissen, häufig mit Britannien -, ein Interesse am militärischen Erfolg der RPF und Kagames besaßen.

Jedenfalls versuchten Ende der 1980er Jahre die USA und Britannien, ihren Einfluß in Afrika vor allem zu Lasten der früheren Kolonialmacht Frankreich auszudehnen. Das frankophone Ruanda wurde zum Spielfeld der angloamerikanischen Machenschaften. Der langjährige ruandische Präsident und gute Freund der französischen Regierung Juvenal Habyarimana sollte geschwächt, wenn nicht gar gestürzt werden. Diese Aufgabe sollten die Milizen der Ruandischen Patriotischen Front übernehmen.

Sie erzwangen 1993 einen Waffenstillstand mit weitreichenden Zugeständnissen. Beispielsweise sollte sie an der Regierung (einschließlich dem Militärapparat) beteiligt werden. Die ruandische Regierung wie auch die RPF waren mit dem Ergebnis unzufrieden und rüsteten jeder auf seine Weise militärisch auf. Am 6. April 1994 wurde auf Anordnung Kagames der ruandische Präsident Juvenal Habyarimana, sein burundischer Amtskollege Cyprien Ntaryamira, der Generalstabschef der ruandischen Armee und weitere Personen beim Anflug auf den Flughafen von Kigali mit Boden-Luft-Raketen abgeschossen. Diese stammten ursprünglich aus dem Irak, wo sie vermutlich 1991 beschlagnahmt worden waren, und wurden über Uganda nach Kigali eingeschleust. Mehrere an dem Attentat beteiligte Personen sagten später gegenüber dem UN-Ermittler Michael Hourigan, einem Anwalt aus Australien, aus, daß sie zu einer RPF-Spezialeinheit gehörten, die das Attentat ausgeführt habe, und daß der Auftrag dazu auf Paul Kagame zurückging.

Hourigan berichtete mit gewisser Zufriedenheit den Ermittlungserfolg seiner Vorgesetzten Louise Arbour. Immerhin hatte der Anwalt seinen Auftrag erfüllt, er sollte den oder die Attentäter ausfindig machen. Doch Arbour ließ von heute auf morgen die Ermittlungen einstellen, behauptete plötzlich, sie seien nicht mehr von Belang, und Hourigan möchte bitte schön aus seine privaten Aufzeichnungen zu den Ermittlungen vernichten. Die Zeugen wurden nicht angehört. Aus Zorn und weil er wußte, daß hier einiges schief lief (man könnte statt dessen auch sagen, daß die Geschichte anders geschrieben werden sollte, als sie seinen Ermittlungen zufolge hätte geschrieben werden müssen), nahm er seinen Hut.

Wenige Stunden nach dem Flugzeuganschlag setzte der Völkermord ein. Ob und inwiefern er geplant war, über diese Frage streiten sich Rechtsexperten bis heute. Nicht zuletzt vor dem Ruanda-Tribunal, das in der tansanischen Stadt Arusha eingerichtet wurde, um sämtliche 1994 in Ruanda begangene Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden. Die Betonung liegt auf "sämtliche", denn bislang wurden nur Hutu verurteilt.

Neben den am Völkermord beteiligten Hutu-Anführern zählt selbstverständlich der Tutsi Kagame zu den ersten, der hätte verhaftet und vor Gericht gestellt werden müssen. Doch weit gefehlt. Kagame ist heute Präsident Ruandas. Er gilt als "Befreier" des Landes in die Geschichte ein, schließlich hat seine RPF nach 100 Tagen die Völkermörder vertrieben - und das Attentat wurde radikalen Hutu in die Schuhe geschoben.

Man könnte heute mit einiger Berechtigung den Standpunkt vertreten, daß das alles Schnee von gestern ist, der Ruanda-Genozid keine nennenswerte Relevanz mehr besitzt und aktuelle Machenschaften der vorherrschenden Weltordnungskräfte aufzuzeigen dringlicher sei. Tatsächlich hat sich der Charakter der auf afrikanischem Boden ausgetragenen hegemonialen Kämpfe verändert, insbesondere da mit China spätestens seit Beginn dieses Jahrzehnts ein neuer Machtfaktor aufgetreten ist, der in fast allen afrikanischen Ländern an Einfluß gewonnen hat. (Die aktuelle Darfur-Krise ist zu einem Teil dem Ränkespiel internationaler Akteure, zum anderen innersudanesischen Interessengegensätzen zuzuschreiben.)

Dennoch sollte der Ruanda-Genozid und seine Folge nicht der Geschichte überantwortet werden. Genauer gesagt, nicht der Geschichtsschreibung jener Interessen, die erneut und immer wieder Millionen Menschen über die Klinge springen lassen, um ihre Vorherrschaft zu sichern. Das betrifft zum einen weniger einflußreiche Spieler wie Paul Kagame, dessen Armee seit 1996 im benachbarten Kongo zündelt, was zum Tod von schätzungsweise vier Millionen Menschen beitrug. Es betrifft zum anderen Global Players wie die USA, die Israel Bomben und Phosphor lieferten, damit es die Palästinenser töten konnte, die das irakische Volk zuerst dem jahrelange Siechtum überantwortet und dann auch noch bombardiert und überfallen haben, die im Jahr 2002 Afghanistan attackierten, weil die dort vorherrschenden Taliban ihrer Tradition des Gastrechts treu geblieben waren und den von den USA gesuchten (ehemaligen?) CIA-Mann Osama bin Laden nicht auslieferten, und die gemeinsam mit europäischen Verbündeten die Bundesrepublik Jugoslawien wirtschaftlich und militärisch zerrütten und zerschlugen, bis aus dem einst blockfreien Vielvölkerstaat mundfertige Happen wurde, die zu assimilieren oder in Schach zu halten leicht fiel.

Der Ruanda-Genozid ist nicht nur deshalb nicht obsolet, weil die gleichen Akteure von damals noch immer ihre Spielchen treiben, sondern auch weil das UN-Tribunal für Ruanda nach wie vor tagt und Angeklagte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Dabei hätte das Tribunal längst einräumen müssen, daß es nicht in der Lage ist, Recht zu sprechen, weil die Prozesse nach Strich und Faden manipuliert werden. Ende 2007 wurde ein Zeuge zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, weil er den angeklagten ehemaligen Minister für höhere Bildung Jean de Dieu Kamuhanda fälschlicherweise belastet hatte. Im Mai 2008 wollte ein anderer Zeuge, der in mehreren Prozessen des Tribunals ausgesagt hatte, seine ursprüngliche, die Angeklagten belastenden Aussagen zurückziehen. Bei Vorermittlungen hatte der Zeuge vor laufender Kamera erklärt, er und andere Insassen ruandischer Gefängnisse seien von den ruandischen Behörden unter Druck gesetzt worden, falsche Aussagen zu machen. Der reumütige Zeuge konnte seine Aussage nicht mehr widerrufen, er verschwand auf mysteriöse Weise aus einem bewachten "sicheren Haus" in Arusha. Geschichte wird gemacht ...

24. März 2009