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AFRIKA/1792: Nigeria - US-Gericht erkennt Klage gegen Pfizer an (SB)


Klage wegen ungenehmigter Trovan-Studie in den USA zugelassen


Als im April 1996 in Nigeria eine schwere Epidemie mit bakteriologischer Meningitis, Masern und Cholera ausbrach, eilte der US-Pharmakonzern Pfizer zur Hilfe. Die Seuche breitete sich rasch aus. Die Hilfsorganisation Medecines sans frontieres (Ärzte ohne Grenzen) richtete auf dem Gelände des größten Krankenhauses der Region ein provisorisches Behandlungszelt ein und verteilte von dort aus Mittel gegen die Meningitis. Auch die Pfizer-Ärzte arbeiteten in dem Feldlazarett. Dort sonderten sie 200 Kinder und Jugendliche aus und verabreichten der Hälfte von ihnen oral das ungetestete Antibiotikum Trovan.

Die andere Hälfte erhielt das gegen Meningitis zugelassene Mittel Ceftriaxon des Pharmakonzerns Hoffman-Laroche, allerdings absichtlich in einer so geringen Dosis, daß nicht damit zu rechnen war, daß die erforderliche Heilwirkung eintrat. Man wollte Trovan positiv erscheinen lassen und hat, wenn man es genau nimmt, die Kinder aus der Ceftriaxon-Gruppe eine Behandlung nur heimtückisch vorgetäuscht. Schon kurz nach der Trovan-Behandlung bekamen einige Kinder Fieber und Fieberkrämpfe. Den höchst besorgten Eltern wurde beschieden, sie sollten mit ihrem Nachwuchs nach Hause gehen, es sei alles in Ordnung. In dieser Gruppe starben fünf, in der - eigentlich unbehandelten - Ceftriaxon-Gruppe sechs Kinder. Eine unbekannte Zahl erkrankte schwer und ist taub, blind, gelähmt oder hat unheilbare Hirnschäden erlitten.

Seit Jahren wollen die betroffenen Angehörigen der Opfer eine Entschädigung für die unfreiwilligen Medikamentenversuche erhalten. Auch der nigerianische Bundesstaat Kano, in dem die Trovan-Behandlung durchgeführt wurde, hat den Pharmakonzern mit einer Milliardenklage überzogen. Pfizer behauptet, es habe die Genehmigung von Nigerias Regierung und den Eltern für die Behandlung erhalten. Die Regierung wiederum leugnet dies. Es wurde bekannt, daß ein Forscher des nigerianischen Pfizer-Ablegers ein Dokument, aus dem hervorgehen sollte, daß die Regierung Nigerias das Medikamentenexperiment gestattet hat, zurückdatiert hatte, um die bereits gelaufenen Experimente nachträglich als genehmigt erscheinen zu lassen.

Im Januar 2009 hat das Bundesberufungsgericht von New York das frühere Urteil eines unteren US-Gerichts aufgehoben und entschieden, daß die Eltern ihre Klage in den USA vorbringen dürfen und nicht in Nigeria einreichen müssen.

Der Trovan-Skandal, der an ähnliche Medikamentenversuche in Afrika und Lateinamerika erinnert, birgt einen weiteren Aspekt, der damit indirekt zusammenhängt: Die muslimischen Führer Nordnigerias hatten im Jahr 2003 unter dem Eindruck des von US-Präsident George W. Bush ausgerufenen "Kreuzzug gegen das Böse", der sich zweifellos gegen die muslimische Welt richtete, eine Polio-Impfkampagne der WHO nicht gestattet. Sie befürchteten, daß die Maßnahme ein Vorwand ist, um muslimische Mädchen unfruchtbar zu machen und das Aids-Virus unter den Muslimen zu verbreiten. Die Imame begründeten ihre Vorbehalte auch mit den unsäglichen Trovan-Experimenten.

Die WHO hatte gehofft, Polio weltweit auszurotten, und Nigeria war einer der letzten Staaten, in denen die Krankheit noch in größerer Zahl vorkam. Infizierte Muslime pilgerten nach Mekka und steckten andere an, die die Krankheit in zuvor zu poliofrei erklärten Ländern verbreiteten. Die Ausbrüche konnten zwar wieder eingedämmt werden, zumal die Imame nach einjährigen Verhandlungen einlenkten, aber der WHO-Kampagne war kein endgültiger Erfolg beschieden. Im übrigen mußte die Weltgesundheitsorganisation im Jahr 2007 einräumen, daß einige Einwohner Kanos erst durch die Impfung mit Polio angesteckt worden waren.

Trovan wurde 1997, also ein Jahr nach den Experimenten in Nigeria, von der US-Genehmigungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassen, und dann auch nur für Erwachsene, nicht für Kinder. 1999 schränkte die FDA die Trovan-Vergabe weiter ein, nachdem Berichte über Leberschäden und Todesfälle aufkamen. Für Europa besitzt das Mittel keine Zulassung.

Pharmakonzerne sind bei der Entwicklung neuer Medikamente auf Menschenexperimente zwingend angewiesen, weil sie die Giftigkeit einer Substanz herausfinden müssen. Typischerweise werden solche potentiell gefährlichen Versuche in Entwicklungsländern durchgeführt. Dort ist das "Menschenmaterial" billiger. Und in der Regel williger, nicht zuletzt weil dort Armut und Not größer sind ... zur Zeit jedenfalls.

4. Februar 2009